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Schwarze Magie. Flüssiger Stickstoff muss sein, auch wenn René Frank im „Coda“ keine Molekularküche serviert. Seine Desserts sind kein Süßkram, sondern außergewöhnliche Kreationen, die selbst ein Fünfgang-Menü tragen. Auf Zucker und Fett verzichtet der Spitzenpatissier weitgehend.
© Mike Wolff

Das "Coda" ist Berlins erste Dessertbar: Nachtisch in fünf Gängen

Ein Spitzenpatissier kombiniert in Neukölln avantgardistische Kreationen mit ausgeklügelte Drinks – ein Novum und ein echtes Erlebnis

Wenn zwei unabhängig voneinander eine Idee haben, kommt manchmal der Zufall zu Hilfe. Sagen wir: Ein Spitzenpatissier tüftelt vier Jahre lang an einem Projekt, es heißt: Dessertbar. Dann trifft er auf einen Profi für Gastronomiekonzepte, der sich schon seit zwei Jahren denkt, Mensch, ein Pairing von Dessertmenü plus Drink müsste doch gefallen in Berlin, der Stadt, die offen ist für Experimente und Neues. Restauranträume mietet er vorsorglich mal an im sich wandelnden Kreuzkölln.

Es ist passiert. Der Traum von René Frank, 31, vielfach ausgezeichneter Chefpatissier des Drei-Sterne-Restaurants „La Vie“ in Osnabrück, und Oliver Bischoff, 37, Geschäftsführer des Designbüros „ett la benn“, wurde umgesetzt. Im „Coda“ kann man seit Mitte August ausgefeilte Drinks genießen und dazu Desserts. Oder wegen des Desserts hingehen und sich für den empfohlenen, exakt abgestimmten Drink entscheiden. Oder gleich drei oder fünf Gänge als Kombination nehmen. Klingt ungewöhnlich, funktioniert aber. Auf dem Teller und im Glas: Avantgarde, alles andere als süß, alles andere als erwartbar. Das Lokal eher leger, das Ambiente reduziert, dunkle Wände, Leder bezogene Hocker am Tresen, blanke Steintische, Bistrostühle, offene Küche. „Wir sind nicht schickimicki“, sagt Frank.

Er sei kein Konditor und kein klassischer Patissier. „Pâte“, sagt er gleich, „heißt ja Teig.“ Er macht keine Törtchen, sondern hochklassige Desserts. Er lässt weg, was nicht bekömmlich ist: Weißmehl, Laktose, Zucker und Fett weitgehend, arbeitet mit der Grundsüße der Produkte und Techniken der Patisserie, dem Spiel mit Temperaturen, friert ein, bäckt, röstet, schlägt auf. Er sagt: „Am Ende bleibt das Spiel zwischen Salz, Süße und Säure.“ Keine Speise wirkt mächtig.

Traumhaft: Sherrymix zur Pekannuss-Mousse mit Aubergine, Apfel und Lakritzsalz
Traumhaft: Sherrymix zur Pekannuss-Mousse mit Aubergine, Apfel und Lakritzsalz
© ett la benn/promo

Jeder Gang wird am Tisch kurz erklärt, die Zutaten liest man auf dem dazu servierten Kärtchen nach. „Paprika: Pfirsich: Büffelmilch“, darunter kleiner: „Milchbisquit, Granitée.“ Die mit Honig aufgeschäumte Büffelmilch in der steilen weißen Schale gießt René Frank mit feuerrotem Sirup von natursüßen, entsafteten Paprika an. Pochierter Pfirsich addiert eine fruchtige Note, das Granitée ist die perfekte Kombination zum cremigen Milchschaum, knuspriger Bisquit bereichert das Mundgefühl. Der Drink dazu liefert Komplementäraromen, die Frank sonst im Dessert verarbeiten würde. Das Kärtchen sagt fett: „Vanille:Orange:Ingwer“ und feiner: „Barbados Rum, Zitrone“. Ein prickelnder Cocktail, sanft süß und ingwerherb, leicht scharf und zitronengras-duftig. Der Alkohol bleibt immer dezent – ein Konzept, auf das Bartender Julian Kunzmann achtet.

Mehr? Die zartgrüne Eisschlange aus Dinkelgras kriegt als Gegenpart Himbeere, Kiwi und Dinkelcrunch, Cremigkeit liefert selbst hergestellte Mandelmilch. Der Drink greift die grünen Aromen auf: Traube, Alge, Nuss. Aprikosenkernöl liefert eine Bittermandelnote, Cognac spendiert dem unschuldig aussehenden Cocktail ein paar Umdrehungen. So ausgefeilt geht es weiter mit Sake und Tequila zum Dessert mit Kirsche und Azukibohne. Mit traumhaftem Sherrymix zur Pekannuss-Mousse plus Aubergine, Apfel und Lakritzsalz. Mit im Fass ausgebautem Sake zum lang gereiften, milbenfermentierten und so laktosefreiem Cironékäse auf einer Sulz aus Karottengrün plus Roggenchips. Mit Single-Malt-parfümiertem Lambrusco Amabile zur dicken, super fluffigen, 70-prozentigen Schokomousse-Praline, Pflaume und Zichorie mit Raucharoma. Perfekt!

Frank und Bischoff und Bartender Julian Kunzmann überlassen nichts dem Zufall: Säfte, Kombucha, Gingermost sind selber angesetzt, Zugekauftes – Weine, Craft-Beer – akribisch ausgewählt. Convenience hat keinen Platz im

Überraschend: Käsegang aus Cironé und Cashewnuss, Roggen und Earl Grey plus einer Creme aus Karottengrün begleitet Sake.
Überraschend: Käsegang aus Cironé und Cashewnuss, Roggen und Earl Grey plus einer Creme aus Karottengrün begleitet Sake.
© ett la benn/promo

„Coda“-Konzept. Eines von Franks großen Anliegen ist es, das Diktat der Industrie zu brechen. Bei Tee, Keramik, Käse arbeitet man mit Kiezmanufakturen zusammen. Gekühltes Neuköllner Tafelwasser kommt gratis auf den Tisch. Statt Champagner gibt’s sehr guten Winzersekt und Crémant. Bloß nicht zu schick werden, wir sind in Neukölln.

Wann man Lust aufs „Coda“ hat? Statt eines großen Abendessens, idealer noch fürs kleine, feine Danach. „Wieso nicht Köfte um die Ecke und dann zu uns“, sagt René Frank locker. Erst die Pflicht, dann die Kür: Der Begriff Coda meint in der Musik das sanfte Ende einer Komposition. Gut gewählt, das kommt hin.

- Friedelstr. 47, Neukölln, Tel. 91 49 63 96, coda-berlin.com. Di-Sa ab 19 Uhr.

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