Blumen statt Kronkorken: Muss Berlin denn so hässlich sein wie hier am Nolle?
Wo Spielhallen sich breitmachen, ist die Stadt krank. Ein Spielcasino hat am Nollendorfplatz den prominentesten Ort besetzt. Fehlt in Berlin der Gestaltungswille und Schönheitssinn, um solche urbanen Zwischen- und Freiräume zu beleben?
Das Werbegerüst vor einer Baulücke lockt Prekarier aller Länder ins Spielerparadies. Am Eckhaus Billigläden und Imbissbuden, Fensterluken und Verkleidungen wie Eierkartons. Dreist greift das Spielcasino über auf den Jugendstiltempel nebenan.
Es ist das 1904 errichtete Neue Schauspielhaus, später Kino Metropol und heute Club Goya, der Giebel auf monumentalen Pfeilern, von Türmen gerahmt, über dorischen Säulen ein Relief dramatischer Leidenschaften, in der Mitte ein Rundbogenfenster, die mächtig aufragende Front ein Bühnenbild für Stücke aus Athen, Babylon und Berlin. Eine Tafel erinnert an Erwin Piscator, der 1927 mit Ernst Tollers Stück „Hoppla, wir leben“ hier die „Piscatorbühne“ eröffnete. Es ist neben der Kuppelsilhouette des Hochbahnhofs der U-Bahn der markanteste Bau des Platzes, Denkmal der Zeit, als Berlin noch Weltstadt war. Zwei Reihen abgestellter Autos verhindern den würdigen Auftritt des geschichtsträchtigen Kulturdenkmals. Es ist Zeit, dass der autogerechte Stellplatz einem menschengerechten Stadtplatz weicht. Drei mächtige Platanen warten darauf, ihre Arme auszubreiten über einem Platz, der Platz hat zum Verweilen. Rund um den Nollendorfplatz hat der Krieg Tabula rasa gemacht. An den Radialstraßen türmen sich bunte Hochhäuser und Großbauten zu abstrakten Skulpturen; schnittige Balkon- und Fensterbänder künden vom technischen Fortschrittsgeist der sechziger Jahre.
Der prächtige U-Bahnhof mit der Hochbahn über zwei Tiefebenen, monumental die steinernen Sockelbauten und Brückenpfeiler, filigran die Eisen- und Glaskonstruktionen, überbrückt und unterfährt den weiten Verkehrsraum. Unter Hochbahn und Bäumen bietet eine Insel viel freien Platz. In Paris würde hier Boule gespielt. Oder auf Bänken ausgeruht, zwischen Blumenbeeten, geschnittenen Hecken, schlanken Pollern und hübschen Gittern.
Fehlt in Berlin der Gestaltungswille und Schönheitssinn, um solche urbanen Zwischen- und Freiräume zu beleben? Muss Berlin so hässlich sein wie hier am Nolle? Wo ist ein freundlicher Blumenstand? Ein Gartencafé? Ein großes Schachbrett? Der in Muschelkalk gehauene Neptunbrunnen unter der Hochbahn könnte plätschernd den Straßenlärm mildern. Doch die Brunnenschale dient als Mülleimer. Wer sich ausruhen will, sitzt auf Betonkanten überwucherter oder verkümmerter Hochbeete. Statt Blumen Kronkorken. An Geländer aus schmutzig weißen Rohren sind wild geparkte Fahrräder gekettet. Platz wäre da – etwa für eine Radstation: Bewachung, Vermietung und Reparatur von Fahrrädern. Der Benzinpreis macht auch Berlin zur Fahrradstadt. Am Eingang zur Motzstraße findet sich dann doch eine Überraschung! Ein Geschenk an den Bezirk Tempelhof-Schöneberg: eine „Regenbogenstele“ in einem Schamdreieck aus Rosen, Gladiolen und Lupinen. Sie weist als überlebensgroßer Buntstift spitz und heiter himmelwärts.
Der Autor ist Stadtplaner. Von 1995 bis 2009 war er Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung.
Liebe Leserinnen, liebe Leser: Jetzt haben Sie die Möglichkeit, sich einzumischen, mit den Planern, mit Bezirksstadträten und anderen Anwohnern über die Gestaltung Ihres Platzes zu diskutieren. Denn zu jeder Folge gibt es einen Ortstermin direkt am Platz. Sagen Sie uns Ihre Meinung. Wir laden Sie ein, am Freitag, 8. Juni, über diese Konzepte zu diskutieren. Mit dabei sein werden Sibyll Klotz, Stadträtin für Gesundheit, Soziales und Stadtentwicklung in Tempelhof-Schöneberg, Martina Schneider (Verein „Pink Schöneberg“), Hubert Pelz (Initiative „Lärmfreier Nolle“) und Florian Mausbach (ehem. Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung).
Ort: Veranstaltungshaus Goya, Nollendorfplatz 5. Die Veranstaltung beginnt um 16.30 Uhr mit einem kurzen Beamervortrag der Planer, anschließend Diskussion über die Ideen. Ende: 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.