Verkehrsverbund entsetzt über 365-Euro-Ticket: „Müllers Vorstoß gefährdet den VBB Berlin-Brandenburg“
Die Verkehrsunternehmen halten nichts vom 365-Euro-Ticket für Bus und Bahn. Sie wollen höhere Preise und kritisieren die Berliner Politik als „verworren“.
Bei den Fachleuten im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) löst Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) blankes Entsetzen aus. Vor einer Woche hatte Müller in Zürich erklärt, in Berlin nach dem Vorbild Wiens eine 365-Euro-Jahreskarte für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) einführen zu wollen. Nun legte er nach: Es sei ein realistisches Ziel. „Das bestätigen auch viele positive Reaktionen.“
Doch was Berlins Verkehrsstaatssekretär Ingmar Streese am Donnerstag bei einem Krisengespräch mit seiner Brandenburger Amtskollegin Ines Jeese (SPD) von Vertretern der 38 VBB-Mitgliedsunternehmen zu hören bekam, war nicht positiv. Frank Wruck, Chef des VBB-Beirats der Unternehmen und der Barnimer Busgesellschaft, sagte dem Tagesspiegel: „Wir haben deutlich gemacht, dass wir diese Idee für den falschen Ansatz halten.“
Er warnte: „Alleingänge des Landes Berlin sind nicht förderlich für den Bestand des VBB.“ Mit dem 365-Euro-Ticket statt der aktuellen Umweltkarte für 761 Euro, „wenn man nur aus Berliner Sicht denkt, zerschlägt man den VBB“.
Der VBB gehört je zu einem Drittel den Ländern Berlin, Brandenburg und den 14 Landkreisen und vier kreisfreien Städten in der Mark. Klaus-Peter Fischer, einst selbst Beiratsvorsitzender und noch Chef der Oberhavel Verkehrsgesellschaft (OVG), wird noch deutlicher: „Herr Müller ist offenbar ein Mikrofon hingehalten worden und er hat ohne Vorbereitung reingesprochen.“
Es habe über Müllers Vorschlag im Umfeld der VBB-Unternehmen nur Gelächter oder Kopfschütteln gegeben. „Wenn man in der Politik Verantwortung trägt, muss man die Zusammenhänge im Kopf haben, muss ein Konzept haben, wie es umzusetzen und zu finanzieren ist.“ Es gehe um den Nahverkehr der Zukunft und um Mobilität in Ballungsräumen: „Da arbeitet Berlin dran, aber politisch sehr verworren.“
Die VBB-Unternehmen fordern unisono höhere Fahrpreise
Für die VBB-Unternehmen kommt Müllers Vorschlag zur Unzeit, unisono fordern sie höhere Fahrpreise zum Jahresbeginn 2020. Im September befindet der VBB-Aufsichtsrat darüber. Auch bei der Krisensitzung hat Beiratschef Wruck klargemacht, dass eine Anhebung der Preise erforderlich sei. Die laufenden Kosten der Unternehmen seien in der Zeit von der letzten Fahrpreiserhöhung 2017 bis Ende 2018 im Schnitt um zehn Prozent gestiegen, eine weitere Nullrunde nicht machbar.
„Es wird immer schwieriger, ein wirtschaftlich ausgeglichenes Ergebnis darzustellen“, sagte Wruck. Es gehe zunächst darum, in Berlin und im Umland, wo Kapazitätsgrenzen längst erreicht sind, den Nahverkehr, die Qualität und die Pendlerstrecken auszubauen, und in den berlinfernen Regionen den Status quo zu halten. Jeder Brandenburger Pendler würde bei einem 365-Euro-Ticket mit dem Auto bis zur Stadtgrenze fahren und erst dann in Bus und Bahn steigen.
Geprüft werden noch ein Bürgerticket und eine City-Maut
Zudem sind die Investitionen in neue Fahrzeuge, dichtere Takte und bessere Pendlerstrecken gerade erst angelaufen. Wer die Fahrpreise senken wolle, „muss politisch ehrlich sein“ und sagen, woher das Geld kommen soll, etwa vom Steuerzahler, sagte Wruck. Doch die Arbeitsgruppe Verkehr des Senats legt dazu erst 2020 Vorschläge vor, woher neben Zuschüssen der Länder und den Fahrpreiseinnahmen Extrageld herkommen soll. Geprüft werden laut Wruck auch ein Bürgerticket und eine City-Maut.
Auch VBB-Chefin Susanne Henckel hatte vor einem Alleingang Berlins gewarnt, es drohten jährliche Millionenverluste. Wichtiger als allein der Fahrpreis seien Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit und Sauberkeit – und der Ausbau. Müller dagegen verwies jetzt darauf, dass der Senat viel angeschoben habe, um den ÖPNV attraktiver zu machen.
Er erinnerte an die Ausweitung des Angebots, die Investitionen in neue Fahrzeuge, das VBB-Azubi-Monatsticket für 365 Euro, das kostenlose Schülerticket und das neue Firmenticket. Weitere Schritte seien spätestens im übernächsten Doppelhaushalt 2022/2023 möglich. Natürlich müsse, sagt Müller, das wie bisher mit Brandenburg abgestimmt werden.