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Grundeinkommen für alle: Michael Müllers Modellprojekt.
© Jutrczenka/dpa

Langzeitarbeitslose in Berlin: Müllers Grundeinkommen zieht nicht

Ist das vom Regierenden initiierte Grundeinkommen ein Flop? Bisher wurden in dem Pilotprojekt nur 48 Arbeitsverträge geschlossen.

Von Ronja Ringelstein

Es ist Chefsache im Senat, und trotzdem läuft das solidarische Grundeinkommen schleppend an. Nur 48 Arbeitsverhältnisse sind bislang aus dem seit Juli 2019 laufenden Berliner Pilotprojekt entstanden. Das geht aus einer bislang unveröffentlichten Antwort der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales auf die parlamentarische Anfrage des CDU-Abgeordneten Jürn Jakob Schultze-Berndt hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.

„Meine Befürchtung, dass das solidarische Grundeinkommen ein Flop wird, sehe ich bestätigt“, sagte Schultze-Berndt. Da habe sich Michael Müller (SPD) „ein Prestige-Projekt geschneidert und mehr nicht“.

Wenige glauben, dass es das SGE wirklich braucht

Das solidarische Grundeinkommen – kurz SGE – geht auf die Initiative des Regierenden Bürgermeisters zurück. Das Pilotprojekt richtet sich an 1000 freiwillige Arbeitslose, die vor allem nach Übergang in das Arbeitslosengeld II mit einer Arbeitslosigkeit von einem bis maximal drei Jahren einen Arbeitsvertrag bei Landesbetrieben, Bezirken, Hauptverwaltung und gemeinnützigen Trägern mit einer vollen Fünf-Jahres-Förderung erhalten sollen.

Auf Anfrage des Tagesspiegels teilte die Senatsverwaltung mit, sie gehe davon aus, dass sich die Zahlen im ersten Quartal deutlich verbessern würden. Man gibt sich optimistisch im Hause der Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke), die Startphase sei erfolgreich verlaufen. Doch selbst aus Koalitionskreisen ist zu hören, dass eigentlich jeder im Senat wisse, dass niemand das SGE brauche.

1000 Arbeitsverhältnisse waren gewünscht

Die Zahl von lediglich 48 geschlossenen Arbeitsverhältnissen – bei 1000 gewünschten – erklärt die Senatsverwaltung damit, dass „Abstimmungsprozesse mit allen Partnern, insbesondere den Jobcentern, aufwendiger“ gewesen seien als sie anfangs gedacht hatten.

Mit dem Projekt habe man „Neuland“ betreten, Erfahrungen und Routine fehlten bisher. Da die Teilnahme an dem Pilotprojekt freiwillig sei, hätten „Findungsprozesse“ länger gedauert. In anderen Fällen habe es mehrere Bewerber auf eine Stelle gegeben, es mussten also Bewerbungsgespräche organisiert werden. „Diese Art und Weise der Arbeitsvermittlung ist nicht vergleichbar mit der ansonsten üblichen verbindlichen Vermittlungsstruktur.“

Es finden sich zu wenig Bewerber

Von Seiten der Arbeitgeber wurden im Sommer bereits 1893 Stellenangebote bei der Senatsverwaltung eingereicht, davon erachtet die Senatsverwaltung tausend als förderungsfähig – das heißt, eigentlich könnte die Sache laufen. 400 von den Stellen seien auch schon bei den Jobcentern gelistet. Nur: Bewerber scheinen sich nicht ausreichend zu finden.

Sabine Bangert, arbeitspolitische Sprecherin der Grünen, findet, der Beweis, dass es dieses Instrument am Arbeitsmarkt brauche, sei nicht erbracht. „Für die Menschen, die recht kurz arbeitslos sind, ist das kein attraktives Angebot“, sagte Bangert. Für diejenigen, die an der Schwelle zwischen Arbeitslosengeld I und II stünden, gebe es bereits einige arbeitsmarktpolitische Instrumente, die sich bewährt haben. Es gebe „keine neue Zielgruppe, die nicht schon durch andere Instrumente abgedeckt wäre“.

56 Millionen Euro sind im Doppelhaushalt vorgesehen

Von landeseigenen Unternehmen wurden bisher 224 Stellen zur Förderung freigegeben. Davon unter anderem 120 bei den Berliner Verkehrsbetrieben, wo auch Arbeitsverträge geschlossen wurden. Die Arbeitslosen sollen künftig etwa als Kitahelfer, Obdachlosenlotsen, Quartiersläufer eingesetzt werden.

Damit entstehen neue Beschäftigungen, neben dem regulären Arbeitsmarkt. Bangert befürchtet, dass das Instrument von Freien Trägern, etwa in Kitas, genutzt werde, um deren Personalengpässe zu kompensieren. Dafür sei es aber nicht gedacht, denn wie solle so im Anschluss der Übergang auf den regulären Arbeitsmarkt stattfinden? Für das solidarische Grundeinkommen sind im Doppelhaushalt 2020/2021 insgesamt 56,2 Millionen Euro vorgesehen.

CDU will lieber Schulabbrecher unterstützen

Der arbeitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Schultze-Berndt, sagt der Senat sollte lieber mehr in die Verhinderung von Arbeitslosigkeit investieren. Die CDU schlägt etwa vor, für diejenigen Schüler, die nach der zehnten Klasse keinen Abschluss haben, ein elftes Pflichtschuljahr einzuführen.

„Die Berliner Schulabbrecherquote liegt bei 11,7 Prozent, das sind die, die in eine prekäre Situation hineinwachsen, die Langzeitarbeitslosen und Altersarmen von morgen“, sagte Schultze-Berndt. Außerdem schaffe die Koalition mit dem SGE keine Hilfe für Langzeitarbeitslose, sondern für jene Arbeitslose, die erst rund ein Jahr lang arbeitslos und damit noch sehr „arbeitsmarktnah“ seien. Diese sollten besser „mit Fortbildungsangeboten zu den dringend benötigten Fachkräften weiterqualifiziert werden“, fordert Schultze-Berndt.

Am kommenden Donnerstag steht im Ausschuss für Arbeit im Abgeordnetenhaus eine Anhörung zum Umsetzungsstand des solidarischen Grundeinkommens auf der Tagesordnung. Vertreter der freien Träger und der landeseigenen Unternehmen sollen über ihre Erfahrungen berichten.

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