Berlin: Demonstration gegen Homophobie-Gesetz: „Mr. Putin, tear down this law!“
Unter dem Motto „Genug ist genug“ gingen am Samstag mehr als 4000 Menschen in Berlin gegen das umstrittene russische Anti-Homosexuellen-Gesetz auf die Straße.
„Verantwortung – I’m lovin’ it“, steht auf dem Plakat, das an den Fastfood-Konzern McDonalds appelliert. „Samsung – Russlands Zukunft liegt jetzt in eurer Hand“ steht auf einem anderen, und: „Panasonic. Ideas for human rights“. Während einer Demonstration vom Kurfürstendamm zur Russischen Botschaft Unter den Linden, an der mehr als 4000 Menschen teilnahmen, wurde auf Transparenten häufig an die Sponsorenfirmen der Olympischen und Paralympischen Spiele appelliert: Sie sollten gegen das neue Gesetz zur „Homosexuellen-Propaganda“ die Stimme erheben. „Geld machen und Menschenrechte kann man nicht voneinander trennen“, sagte die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Renate Künast.
Sponsorenkonzerne loben eigene "Diversity"-Konzepte für Schwule und Lesben
Viele der Finanziers und Förderer der größten Sportveranstaltungen der Welt, die im Winter 2014 in Sotschi stattfinden, legten in ihrer Unternehmensphilosophie Wert auf „Diversity“, gab Künast zu bedenken. So wie nach Tagesspiegel-Recherchen die „Coca-Cola Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Ally (LGBTA) Business Resource Group“ oder die Volkswagen Financial Services AG, die auch schon bei einem CSD dabei war. VW lobt sich im Internet als "Beispiel für Toleranz gegenüber homosexuellen Mitarbeitern". Die Volkswagen-Gruppe verwandle solche Diversitäts-Werte "durch die bewusste Akzeptanz in eine Stärke", ist auf der internationalen Seite zu lesen. Und auf der Lufthansa-Website im Netz heißt es auf Englisch: "Es ist uns ein Vergnügen, mit der LGBT-Community zu arbeiten und ihr zu dienen".
Firmen sollen jetzt verstärkt in Russland Benachteiligte einstellen
„Diese Firmenvertreter sollten jetzt nach Russland reisen und die Firmen durch ihre Einstellungspolitik ein Zeichen setzen – wie zu Apartheidszeiten in Südafrika, als ausdrücklich schwarze Mitarbeiter erwünscht waren“, sagte Künast.
Im flächenmäßig größten Land der Erde ist seit Juni das öffentliche Reden über Themen wie Homo-, Bi- oder Transsexualität vor Minderjährigen unter Strafe gestellt. Sie sollen vor „schlechtem Einfluss“ geschützt werden. Laut den Organisatoren der Demo würden nun zunehmend Lesben oder Schwule attackiert, und auch Multiplikatoren in Russland sprächen sich für Zwangsbehandlung, Isolierung oder gar „Liquidierung“ aus.
Jetzt müssten Olympia- und Paralympia-Sponsoren wie die Lufthansa, die mit dem „Trevor Projekt“ Krisenintervention und Suizid-Prävention bei jungen Homosexuellen finanziert, sich einmischen, so wünscht es sich Jens Petersen. Der 43-Jährige hatte sich sein Plakat mit den Olympia-Ringen als Handschellen aus dem Internet ausgedruckt. Wie ein Mini-CSD, nur ohne Partytrucks, zog die Demo vorbei an Ku’damm-Läden, in denen reiche Russen gern shoppen. „Ich fürchte, dass Geschäftsleute von Firmen das nur dann thematisieren, wenn jemand aus der Szene mitarbeitet“, sagte Demo-Teilnehmerin Ploy Ceebell, 30, DJane und Social-Media-Expertin aus Friedrichshain. Ein anderer Teilnehmer sagte, man müsse den Firmen zur Motivation deutlich machen, dass die Homo-Zielgruppe oft über viel Geld verfüge, da ihre Mitglieder in der Regel keine Familie ernährten. Brigitte Dinant, 65, aus Lichterfelde-Ost, war einfach aus Solidarität dabei. Die Wirtschaftsmacht hinterm kommerziellen Sportereignis ist das eine, die Politik das andere. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit lief bei der von sieben Privatpersonen organisierten Demo „Enough is enough“ nicht mit, hatte sich aber in einem Brief an seinen Amtskollegen Sergej Sobjanin in Berlins Partnerstadt Moskau besorgt geäußert. Es werde „Angst geschürt, anstatt sie abzubauen“. Wowereit mahnte mehr Akzeptanz unterschiedlicher Lebensweisen an. Ihn würden täglich viele besorgte, aber auch wütende Briefe erreichen. Dabei gehörten gerade weltoffene und liberale Städte auch im wirtschaftlichen und sozialen Bereich zu den erfolgreicheren Metropolen.
Verhältnismäßig viele Bi- und Homosexuelle unter Leistungssportlern
„Ich möchte den Russen früh entgegenwirken“, sagte der 37-jährige Mayk Opiolla, „bei uns in Deutschland hätte vielleicht vieles verhindert werden können, wenn andere Länder sich in den frühen 30er Jahren eingemischt hätten.“ Törless Löffler, 24, aus Wedding, verwies angesichts des „Propaganda-Gesetzes“ darauf, dass man Studien zufolge gar nicht zur Homo- oder Bisexualität erziehen könne. Anja Kofbinger von den Grünen sagte, es gebe eine Untersuchung, nach der der Anteil Nicht-Heterosexueller in der katholischen Kirche, aber auch im Leistungssport höher liege als der sonst statistische Wert von drei bis zehn Prozent der Bevölkerung. Sie hoffe auch auf Outings vor den Spielen.
Dann musste ihre Partei indes das Logo auf dem Plakat auf Wunsch des Demo-Hauptorganisators umklappen und wegkleben. Alfonso Partisano wollte keinen Wahlkampf. „In Russland würden sich Menschen freuen, wenn Parteien gegen Diskriminierung auf die Straße gingen“, konterte Künast - und ihr ginge es doch um das Thema. Auch der Bezirksbürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf, Reinhard Naumann (SPD), sprach sich in seiner Rede leidenschaftlich für Menschenrechte und Toleranz aus. Er forderte IOC - bei den Paralympics ist das das IPC - sowie den Deutschen Olympischen Sportbund auf, sich gegen die rigiden Regeln zu engagieren statt Sportler, wie zuletzt, zu warnen, ihre Stimme zu erheben.
Derweil verbreiten viele Berliner über Facebook etwa Fotos von Schauspielerin Tilda Swinton, demonstrativ mit der Regenbogenflagge mitten auf dem Roten Platz. In Berliner Kinos laufen jetzt Gratis-Toleranz-Spots der Berliner Demo-Facebook-Initiative „Enough is Enough - Open your Mouth. Stop Homophobia“. Am Montag tagt der Sportausschuss zum Thema. Und am 8. September gibt es ein Kiss-In vor der Russen-Botschaft: „Mr. Putin, tear down this law“. Auf einem der an die Sponsoren gerichteten Plakate in der Menge ist zu lesen "Omega - Your Choice". Und weiter, auf Englisch: "Du wählst nicht bewusst aus, in wen Du Dich verliebst."