ExRotaprint: Modell Erbbaurecht
Die nachhaltige Lösung: Das ExRotaprint-Gelände in Wedding wird im Erbbaurecht betrieben.
Als Lidl kam, wussten Daniela Brahm und Les Schliesser, dass sie handeln mussten. Das war im Sommer 2004. Die beiden Künstler hatten damals seit vier Jahren Ateliers in der früheren Druckmaschinenfabrik Rotaprint in Wedding, die 1989 Konkurs angemeldet hatte. Übrig waren 2004 noch der Teil des Geländes, der mittlerweile unter Denkmalschutz stand, und eine leere Fläche. Der Liegenschaftsfonds übernahm damals das Gelände, die Brache verkaufte er sofort an den Discounter.
„Für uns war das ein Warnschuss: Wir mussten uns kümmern, um bleiben zu können“, erzählt Daniela Brahm. Und das wollten sie unbedingt. Sie sitzt im Büro der gemeinnützigen ExRotaprint GmbH, die das Gelände heute verwaltet und deren Gesellschafterin Brahm ist. Ihr gegenüber Les Schliesser, der Mitstreiter und ebenfalls Gesellschafter. Brahm und Schliesser haben es geschafft: Sie konnten in ihren Ateliers bleiben. Ihre Geschichte ist ein Modell dafür, wie Bürger die Stadt mitgestalten können. Aber sie zeigt auch, wie schwierig das bisher ist.
Auch das denkmalgeschützte Gelände mit 10.000 Qudratmeter Fläche wurde 2004 zum Verkauf angeboten. Die Künstler ließen Pinsel und Leinwände stehen und erarbeiteten ein Konzept: Ein Drittel der Räume sollte an Künstler vermietet werden, ein Drittel an soziale Projekte, ein Drittel an Gewerbebetriebe. Den Weddingern sollte es möglich sein, in ihrem Bezirk günstige Gewerberäume mieten zu können. Die Mischung auf dem Gelände sollte den Kiez beleben. Brahm und Schliesser sind Konzeptkünstler, ExRotaprint wurde zu ihrem wichtigsten Werk.
"Wir boten einen Euro und unser Superkonzept"
2005 baten sie um einen Termin bei den Verwaltern des Liegenschaftsfonds. Mittlerweile hatten sie mit den anderen Mietern – damals waren 40 Prozent des Geländes vermietet – den Verein ExRotaprint gegründet. In dessen Namen präsentierten sie das Konzept und baten um einen Optionsvertrag. Zwei Jahre wollten sie Zeit haben, um Finanzierungsplan und Verwaltungsstruktur zu erarbeiten. Die Verantwortlichen gingen auf den Vorschlag nicht ein. Stattdessen schrieb der Liegenschaftsfonds kurz nach dem Gespräch den Verkauf des Geländes offiziell aus, innerhalb von sechs Wochen mussten Gebote vorliegen. Eine Untergrenze gab es nicht, doch der Verkehrswert wurde auf 2,4 Millionen Euro geschätzt.
„So viel Geld konnten wir in der Kürze der Zeit unmöglich aufbringen, und wir hielten den Wert auch für überzogen“, sagt Daniela Brahm. „Also boten wir einen Euro und unser Superkonzept.“ Am Ende war der Verein ExRotaprint der einzige Bieter.
Es war der richtige Ort und der richtige Zeitpunkt: Die Immobilienbranche hatte Wedding noch nicht entdeckt. Die Stadt, in die Bredouille geraten, bot ExRotaprint an, das Gelände im Erbbaurecht zu übernehmen. „Aber die Stadt hatte nie ernsthaft Interesse an dieser Lösung“, sagt Les Schliesser. Während er und Brahm Unterlagen zur betriebswirtschaftlichen Situation des Geländes anforderten und den Erbbauzins aushandelten, suchten die Verantwortlichen eilig nach Alternativen. Zu dieser Zeit schnürte der Liegenschaftsfonds ein Paket aus 45 Immobilien für einen isländischen Investor – und bot kurzerhand das Rotaprint-Gelände im Paket mit an.
Das Gelände sollte raus aus dem Kreislauf der Spekulation
Doch dann sprang der Investor ab, mittlerweile war es Anfang 2007. ExRotaprint war wieder im Spiel. Schliesser und Brahm hatten inzwischen ihr Konzept weiterentwickelt und eine Bank gefunden, die den Kauf finanziert hätte. Doch die Künstler lehnten ab. Denn sie hatten auch die Stiftung Trias kennengelernt. Deren Ziel: Spekulation mit Grundstücken verhindern und neue Wege im Umgang mit Grund und Boden fördern. „Genau das wollten und wollen wir auch: Das Gelände sollte für immer aus dem Kreislauf der Spekulation genommen werden und langfristig sozial, kulturell und ökonomisch für alle Beteiligten interessant sein“, sagt Daniela Brahm.
Trias schloss sich schließlich mit der Stiftung Edith Maryon zusammen, um das Gelände vom Liegenschaftsfonds kaufen zu können. Gleichzeitig gründeten neun Mitglieder des Vereins ExRotaprint die gemeinnützige GmbH mit demselben Namen. Noch am Tag des Kaufs im Jahr 2007 schlossen die Stiftungen mit der Gesellschaft ExRotaprint einen Erbbaurechtsvertrag mit einer Laufzeit von 99 Jahren.
„Uns überzeugte das Konzept Erbbaurecht, weil auf diese Weise die Nutzung des Gebäudes garantiert ist“, erklärt Schliesser. „Sollten wir pleitegehen, werden die Stiftungen einen neuen Betreiber suchen, der ähnliche Ideale wie wir vertritt.“ Die Rechtsform der gemeinnützigen GmbH wählten sie, um den Profitgedanken vollständig zu bannen. „Wären wir eine normale GmbH, könnten wir Gewinne erzielen und an die Gesellschafter verteilen“, sagt Schliesser. „Selbst wenn wir uns heute einig sind, dass wir das nicht wollen: Vielleicht geht in ein paar Jahren einer von uns nach Los Angeles und braucht Geld – er könnte uns zwingen, seinen Anteil zuzüglich Wertsteigerung auszuzahlen.“ Die gGmbH muss jetzt jeden Gewinn in das Baudenkmal oder in Kunst und Kultur stecken. Außerdem hat sie sich die Mischnutzung in die Satzung geschrieben – und dass die Mieten günstig bleiben müssen. Derzeit kostet der Quadratmeter zwischen drei und fünf Euro, netto kalt.
Fazit: Dass ExRotaprint den Zuschlag bekommen hat, ist auch den Umständen zu verdanken. Aber das Modell Erbbaurecht ist eine sehr nachhaltige Lösung. Das Grundstück bleibt Eigentum der Stadt, das Gebäude gehört während der Laufzeit den Erbpachtnehmern. Sie müssen jährlich den Zins bezahlen und das Gebäude in Schuss halten.
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