Kolumne: Meine Heimat: Mitkreischen im Deutschland-Dirndl? Selbstverständlich!
Unsere Kolumnistin Hatice Akyün hat sich fürs Finale ein Dirndl in Deutschlandfarben designen lassen. Für sie ist es selbstverständlich, heute in schwarz-rot-gold zu jubeln - und hat noch ein paar Tipps für ihre deutschen Landsleute.
Wann ist man eigentlich in einem Land integriert? Das entscheidet der Fußball. Schweinsteiger, Klose, Müller und Schürrle sind mir näher als die türkischen Nationalspieler Onur, Nuri oder Selcuk. Anmalen, ausflippen, mitkreischen in einem Deutschland-Dirndl? Fahne, Ohrringe, Girlanden? Selbstverständlich. Als ich noch in Mitte wohnte, konnte ich von meiner Wohnung aus sehen, wie die deutschen Fahnen am Reichstag unter freiem Himmel Wellen schlugen. Und während der WM 2006 sah ich, wenn ich die Nase ganz dicht an die Fensterscheibe drückte, ein kleines Stück von der Fanmeile. Dort wehten bei einem Tor der deutschen Mannschaft hunderte Stoffbahnen in Schwarz-Rot-Gold im Wind. In dieser Zeit trug ganz Deutschland diese Farben, und es war für mich ein erhabenes Gefühl, dazuzugehören.
Mal ehrlich, mit Karneval und Fasching kann ich nichts anfangen. Bitte, feiert eure Büttenreden mit den ganzen Schenkelklopfern, bei denen man sich dadurch erhebt, andere runterzumachen. Im Festzelt um die Wette schunkeln und auf Knopfdruck lustig sein, ist auch nicht meine Ausgelassenheit. Was also bleibt noch, uns Ex-Ausländern? Wahlsiege, die merkelich abgekühlt sind und die deutsche Einheit, die brav mit klassischer Musik und Reden begangen wird. Es würde uns ein kollektives, gemeinsames Freudenfest fehlen, wenn es den Fußball nicht gäbe.
Ja, wir Zugewanderten, Eingewanderten, nennen Sie uns, wie Sie wollen, sind genauso fußballverrückt wie die Alteingesessenen. Viele meiner deutschen Landsleute sind gehemmt, wenn es um Fahne, Hymne und Nation geht. Aber selbst die sollten wissen, dass es besser ist, wenn unsere Symbole von ausgelassenen, weltoffenen Bürgern als Feierdeko benutzt werden als von Hütern der Deutschtümelei.
Wir Altdeutsche und Neudeutsche haben die bunteste Truppe bei dieser WM. Dort, wo es egal ist, woher man kommt, da, wo sich alle vereinen können, weil wir mit unserem Land für etwas stehen, da wollen wir Neuen auch dabei sein. Wir gehören dazu und wollen nicht erklären, warum und weshalb. Wir können endlich feiern, es krachen lassen und zeigen, dass wir ein Teil vom Ganzen sind. Und das, verzeihen Sie uns das, geht nun mal am effektvollsten mit einem Autokorso. Früher brauchten wir noch türkische Hochzeiten, um einen Grund zu haben, hupend und feiernd durch die Stadt zu fahren. Jetzt haben wir den Erfolg unserer Jungs.
Wenn wir Neudeutschen unsere Lebensfreude ausleben, geben wir gerne etwas davon ab. Aber gönnt ihr Altdeutschen uns dafür einen Weltmeister im Fußball. Denn noch nie war eine Nationalmannschaft uns so ähnlich wie diese. Vielleicht lieben wir diese Jungs deshalb so sehr. Mein Herz gehört Deutschland – der Mannschaft und dem Land.
Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Im Tagesspiegel schreibt sie wöchentlich über ihre Heimat.
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