Katja Ebstein wird 60: Mit Trotz und Timbre
Neben der Musik engagierte sie sich auch immer politisch. Diese Woche wird Katja Ebstein 60 Jahre alt
So zart. So zerbrechlich. So kampfeslustig: Katja Ebstein. Die Sängerin und Schauspielerin mit der kecken buntkarierten Mütze auf dem feurigen Haar, den langen braunen Stiefeln und dem dickgestrickten Pulli soll angeblich am kommenden Mittwoch 60 Jahre alt werden, jedenfalls dementiert sie dieses Ereignis nicht, nimmt lächelnd alle Komplimente („Wie bitte? Das glaubt Ihnen ja wirklich kein Mensch!“) entgegen und macht den Eindruck, als wolle sie die runde Sache hurtig überspielen, weil sie nicht so wichtig ist. „Vielleicht gehe ich mit meiner Familie essen, ansonsten wird gearbeitet“. Die Feier findet „wenns wärmer ist, im Sommer, auf irgendeiner Wiese“ statt, und was sie sich wünscht? Naja, „Gesundheit und vor allem geistigen Reichtum.“
Ein Geschenk hat sie sich und ihren Fans im 35. Jahr ihrer Karriere selber gemacht: die neue Zurück-zu-den-Wurzeln-CD „Witkiewicz“. Das ist Katjas Mädchenname, mit dem sie am 9. März 1945 im schlesischen Girlachsdorf zur Welt kam, aber sofort mit Mutter und Schwester auf den Treck Richtung Hauptstadt ging. In Berlin wuchs sie auf, in der Reinickendorfer Epensteinstraße, die später, am Beginn der Karriere, zum Künstlernamen umgedichtet wird. Ihre Musikalität und die Naturstimme mit dem gewissen Timbre habe sie von der Mutter geerbt, die Beredtsamkeit vom Vater – beides wird, verbunden mit Neugier, Fleiß, Unruhe und Energie, zum Kapital einer Frau, die sich leise und laut in die Dinge des Lebens mischt und auch künftig „gegen die Gleichgültigkeit anackern“ möchte.
Die Erscheinungen der Zeit haben sie nie kalt gelassen. Im Jahre 1972 geht die Sängerin mit Günter Grass für Willy Brandt auf Wahlkampftour („Katja sehen, wählen gehen – Willy, wen denn sonst!“). Sie nimmt Brandts Aufforderung, in den anderen Teil Deutschlands zu gehen und so unseren Landsleuten das Gefühl des Isoliertseins zu nehmen, ganz ernst und persönlich und gastiert 1974 zum ersten Mal im alten Friedrichstadtpalast. Auch das half, sagt sie heute, im Sinne von Brandt und Egon Bahr „das Feindbild zu kippen“. Das Publikum war begeistert, Ebstein kam öfter, auch mit Petra Kelly und Gert Bastian zu einer Friedensmanifestation – es war die Anti-Raketen-Zeit mit Sitzblockaden gegen die Pershings, die ihr eine Vorstrafe einbrachte.
Später gehörte sie zum Star-Ensemble, das den Palast der Republik eröffnete, und schließlich war „die Ebstein“ mit dem Fahrrad „unterwegs in der DDR“ – in einer Serie, die vom Hessischen Rundfunk unter der Regie von Ebsteins Mann Klaus Überall produziert und vom DDR-Fernsehen übernommen wurde. So etwas gab es ganz selten, „das war schon ein bisschen Mauerfall“. Dabei wollte das Publikum natürlich ihre Pop-Hits hören, „Wunder gibt es immer wieder“ oder „Theater“, bis heute aus fast jedem Sender tropfende Lieder, deren eingängige Melodien beim Grand Prix ganz vorn landeten.
Aber schieben wir doch einfach mal die Schlager-Schublade zu: Katja Ebsteins Repertoire ist längst nahezu unüberschaubar. Kabarett. Chanson. Schauspiel. Musical. Und Folksong. Die Sängerin tourt mit fünf verschiedenen Programmen, vom Heinrich-Heine-Abend über Bert Brecht, Frauenlyrik bis zu „Berlin… trotz alledem“. Deutsche Geschichte, an der Hauptstadt festgemacht, „ein trotziges und mutiges Programm, vorgetragen ohne Allüren, mit lachendem und weinendem Auge, mit leiser Hoffnung auf Veränderung: eine deutsche Lehrstunde“, schrieb der Rezensent der „Fürther Nachrichten“. Und sie selbst sagt dazu, dass sie sich weder als Liedersängerin noch als Popsängerin, „sondern ganz einfach als Sängerin“ fühle: „Ich bin ein Mensch, der sich singenderweise mit seiner Stimme Gehör verschafft.“ Leise, still, ohne jedes Aufheben und quasi hinter den Kulissen verläuft Katja Ebsteins ehrenamtliches gesellschaftliches Engagement, erst vor kurzem gründete sie eine Stiftung zugunsten in Not geratener Kinder.
Kann man Zustände mit Liedern ändern? Wohl nicht, aber „ich kann den Menschen Impulse geben, ein kleines Licht anzünden, zum Nachdenken anregen.“ Im Konzert am Montagabend im „Tipi“ singt sie „In diesem Land“. Da werden Zukunftsängste benannt: „Jetzt sind alle am Jammern/Ausgebremst, wie gebannt,/ wo ist Hoffnung/in den Schatten der Wand.“ Viel deutlicher wird die Interpretin ihrer Chansons bei der Bewertung gegenwärtiger Zustände: „Mich kotzt an, dass diese Politszene in einem so schwierigen Zeitpunkt wie jetzt nicht zusammenhalten kann, wo man hofft, dass alle zusammenwirken, um das Bestmögliche für unser Land zu erreichen.“ Wir brauchen die Reformen, die Skandinavier haben es geschafft, und auch wir werden dieses Tal bis zum Ende durchschreiten: „Hol mir Kraft aus dem Chaos der Freude / schau den Fußspuren nach da im Sand / fanden Kinder grad’n paar neue Wege / in diesem Land.“
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