Schlauchboot-Rave in Kreuzberg: Mit nacktem Oberkörper zu koksen, ist noch keine Freiheit
Der als Demo angemeldete Rave bestätigt das Vorurteil einer Technoszene, die vor allem sich selbst im Sinn hat. Und zerstört so die Arbeit vieler Engagierter.
Wunsch und Wirklichkeit der Berliner Technoszene lagen lange nicht mehr so weit auseinander wie zu Pfingsten. Man präsentierte sich als depperte Masse Hedonisten, die wenig mehr als den größtmöglichen Exzess im Kopf hat. Anders sind die fast ikonischen Bilder vom Landwehrkanal nicht zu erklären. Sie machten sich gut im Lexikon, um den Begriff „Selbstherrlichkeit“ zu illustrieren.
Die 3.000 Raver bestätigten alle tausendmal erzählten Vorurteile über Berlin und seine Clubs: Sie hinterließen das Ufer dreckig wie nach einer Loveparade und übersahen, dass ihr angeblicher Protest für den Erhalt der Clubkultur in diesen Zeiten maximal eine Demonstration ihres Eigensinns war. Sie sollten das Koksen mit nacktem Oberkörper künftig nicht mehr mit politischem Protest verwechseln, nur weil einer dabei ein Transparent hochhält.
Die Initiatoren haben sich mittlerweile entschuldigt. Für den Ort der Abschlusskundgebung – vor einem Krankenhaus. Und die große Zahl an Menschen – man habe „nicht damit gerechnet“. Dabei hatten sich mehr als 5.000 Menschen schon Tage vorher bei Facebook für die Veranstaltung angemeldet.
Die Raver schaden den Clubs
Während die gesundheitlichen Folgen bislang kaum abschätzbar sind, haben die Raver auch ihrer eigenen Szene den größtmöglichen Bärendienst erwiesen. Seit Wochen arbeitet etwa die Clubcommission, Vertretung der Berliner Clubs, an Plänen, um die Clubs langsam und infektionssicher wieder öffnen zu dürfen – und ihnen damit die Existenz zu retten.
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Die Solidarität mit den Partyorten war bislang groß. Dieses Mitgefühl dürfte sich bei vielen abrupt erschöpft haben – auch wenn sich die Clubcommission rasch von der potenziellen Virenparty distanzierte. Die Pfingstraver haben so vor allem dem politisch engagierten Teil der eigenen Szene das Überleben schwer gemacht. Dort bemüht man sich seit Jahren, das ätzende und nun frisch aufgewärmte Baller-Techno-Klischee loszuwerden.
Die Clubs sind für Berlin mehr als nur Party
In vielen Clubs wird längst über Nachhaltigkeit und grünes Feiern geredet, über bewussten Konsum sowieso. Es wird Nachbarschaftshilfe geleistet und Flüchtlingsintegration. Berlins Clubs gelten als weltweit fast einmalige Safe Spaces für queere Menschen. Es waren die Clubbetreiber, die 2018 mehr als 40.000 Menschen gegen Rechtspopulismus und Rassismus auf die Straße brachten.
Die Strahlkraft der Technoschuppen scheint auch deshalb heute wichtiger für Berlin als Brandenburger Tor und Co. Die Feierszene sieht sich längst als Teil des Kulturbetriebs und verlangt mittlerweile – nicht zu Unrecht – entsprechend geschützt zu werden. Nun kritisierte aber auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Feiernden. Die Belange der Clubs haben so die höchste politische Ebene erreicht – allerdings deutlich anders als erhofft.
Auch die Öffnungsperspektiven in Berlin sehen eher düster aus, glaubt man Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci. Für sie schließen sich „Pandemie und Party“ aus. Es ist den Clubs daher zu wünschen, dass künftige politische Voten nicht allein von den Ballermannbildern des Wochenendes abhängen. Es geht eigentlich um mehr als Feiern.