zum Hauptinhalt
Auf dem Petriplatz, dem ältesten Ort Berlins, trafen sich die Mitglieder der verschiedenen Religionen, um für Frieden in Nahost zu beten.
© dpa

Kolumne "Meine Heimat": Mit jüdischem und arabischem Witz gegen Fanatismus und Hass

Unsere Kolumnistin Hatice Akyün versucht trotz der deprimierenden Weltlage einen klaren Kopf zu behalten. In einer Welt voll sich überschlagender Katastrophen, Hass und Terror helfen ihr jüdische Witze und arabischer Humor.

Ich mag jüdische Witze, wie beispielsweise den: Mosche besucht das Grab seines kürzlich verstorbenen Freundes. Als er zurückkehrt, berichtet er kreidebleich seiner Ehefrau, man habe dort zwei Fremde begraben. Wie er darauf komme, fragt ihn seine Frau. Er antwortet: Da stand auf dem Grabstein, hier liegt ein gütiger und ein großzügiger Mensch. Abgründig, hintersinnig, selbstironisch ist der Humor dieses Volkes, der entstand, damit man in 2000 Jahren Unterdrückung, Verfolgung, Vertreibung und Ermordung nicht zerbrach. Das hat etwas Großes und zutiefst Menschliches.

Darf man angesichts von Hass und Terror überhaupt noch gute Laune haben?

Ich mag auch arabischen Humor, wie den aus Geschichten vom Herrn Keuner von Bertolt Brecht: „Zu einem alten Araber kamen drei junge Leute und sagten: Unser Vater ist gestorben, er hat uns siebzehn Kamele hinterlassen und im Testament verfügt, dass der Älteste die Hälfte, der zweite ein Drittel und der Jüngste ein Neuntel der Kamele bekommen soll. Jetzt können wir uns über die Teilung nicht einigen, übernimm du die Entscheidung. Der Araber dachte nach und sagte: Wie ich es sehe, habt ihr, um gut teilen zu können, ein Kamel zu wenig. Ich habe selbst nur ein einziges Kamel, aber es steht euch zur Verfügung. Nehmt es, teilt und bringt mir nur zurück, was übrig bleibt. Sie bedankten sich für diesen Freundschaftsdienst, nahmen das Kamel mit und teilten die achtzehn Kamele nun so, dass der Älteste die Hälfte, das sind neun, der Zweite ein Drittel, das sind sechs, und der Jüngste ein Neuntel, das sind zwei Kamele bekam. Zu ihrem Erstaunen blieb, als sie ihre Kamele zur Seite geführt hatten, ein Kamel übrig. Dieses brachten sie, ihren Dank erneuernd, ihrem alten Freund zurück.“

Wie ich darauf komme? Nun, mir geht durch den Kopf, ob ich in Anbetracht der sich überall überschlagenden Katastrophen von Tod, Verstümmelung und dem Auslöschen ganzer Familien, Hass und Gegenhass, Terror und sich unendlich aufschaukelnder Gegengewalt überhaupt noch gute Laune haben darf. Einige meiner Freunde äußerten auch ihr Missfallen darüber, dass ich in dieser nicht enden wollenden Ouvertüre von Weltuntergang fröhliche Urlaubsbilder aus einer Idylle über Twitter und Facebook veröffentlichte.

Wir müssen uns zwischen Falsch und Falsch entscheiden

Mache ich es mir zu leicht? Keineswegs. Die sogenannten prorussischen Rebellen schießen ein Passagierflugzeug ab und jeder gibt jedem die Schuld dafür. Drei Jugendliche, Kinder von Siedlern, werden auf dem Rückweg von der Toraschule ermordet. Ein palästinensischer Junge wird in Jerusalem daraufhin bei lebendigem Leib verbrannt. Jetzt fliegen die Raketen der Hamas nach Israel, und die kämpfen mit Drohnen, Kampfflugzeugen und Soldaten. Und bei uns in Deutschland? Hier skandieren Solidarische den Hitlergruß mit Typen, die sie früher auf dem Nachhauseweg an der Haltestelle totgeschlagen hätten. Nur die Weltengemeinschaft prügelt sich um den letzten Heiligenschein. Rechthaben hat Hochkonjunktur, Recht kriegen ist Nebensache.

Und ich? Für mich haben ganz viele ihre Glaubwürdigkeit verloren. Wir leben in Zeiten, in denen man zwischen Falsch und Falsch entscheiden muss. Wo die Unvernunft auftritt, ist ein intakter emotionaler Kompass Gold wert. Ich lasse mich nicht von denen missbrauchen, die für ihren Mangel an Souveränität Mitläufer instrumentalisieren. Ich habe nämlich nichts gegen Juden und Muslime. Nichts gegen Russen, Ukrainer, Amerikaner, Israelis, Palästinenser, Libanesen, Iraner, Iraker, Libyer, Kongolesen, Nigerianer, Kenianer und Somalier. Aber ich habe etwas gegen Fanatiker und ihre menschenverachtende Ideologie. Oder wie mein Vater sagen würde: „Bin kere düsün, bir kere konus.“ Denke tausend Mal, sprich ein Mal.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

Zur Startseite