Ein Pfarrer macht mobil: Mit Gottes Segen gegen die Kampfradler
Auf dem schmalen Bürgersteig vor der Neuköllner Nikodemus-Kirche gab es schon viele Unfälle wegen rabiater Radfahrer. Der Gemeindepfarrer redet den Verkehrssündern jetzt ins Gewissen.
Der Kreuzköllner Radlerkrieg fällt aus an diesem Vormittag. Zwar hat Pfarrer Jörg Gemkow vor seiner Kirchentür in der Nansenstraße Stellung bezogen, und die Rückendeckung der Polizei steht. Nur Radler lassen sich kaum blicken. „Vorführeffekt“, sagt der 51-Jährige seufzend, „nachher kommen sie dann wieder in Massen.“ Gemkow, selbst Radfahrer, hat gute Gründe, den Kampfradlern ins Gewissen zu reden.
Denn die evangelische Nikodemus-Kirche ist nach Alt-Berliner Art in die Häuserzeile eingebaut, und wer heraustritt, landet direkt auf dem schmalen Bürgersteig. Zwei älteren Frauen ist das in den letzten Monaten zum Verhängnis geworden: Sie wurden hier von Radlern über den Haufen gefahren und erlitten Knochenbrüche. Auch die Kita-Erzieherinnen der Gemeinde klagen. „Seit etwa einem Jahr wird das immer schlimmer“, sagt Gemkow, der die Gemeinde seit 2004 leitet, „es hat sicher mit der Aufwertung der Gegend zu tun.“
Tatsächlich schwebt über dem einst grauen Reuter-Kiez zwischen Maybachufer und Hermannplatz längst mehr als ein Hauch Prenzlauer Berg. Junge Familien hohen Bildungsniveaus ziehen zu, Bioläden florieren, und die Kneipen werden langsam durch modisches Fast-Food von italienisch bis sudanesisch verdrängt. Gemkow freut sich darüber, sieht auch neue Gesichter in seinem Gemeindehaus, „aber das sind eben auch sehr viele neue Radfahrer.“
Was das Kopfsteinpflaster vor der Kirche mit den Unfällen zu tun hat, lesen Sie auf der nächsten Seite.
In der Nansenstraße vor der Nikodemus-Kirche liegt Kopfsteinpflaster. Nicht besonders schlimm, aber doch so, dass es ein Fahrrad ordentlich durchrüttelt. Also zeigt jeder, der dem Pfarrer auf dem Gehweg dann doch noch in die Arme fährt, auf die Straße und sagt: „Da kann man ja gar nicht fahren“. Gemkow ist geduldig. „Ich kann ja die Fahrbahn nicht teeren lassen“, antwortet er, bittet aber doch mit Nachdruck darum, zu schieben oder die Nansenstraße zu umfahren. „Ich komme aus dem Osten,“ sagt er fröhlich, „da bin ich Kopfsteinpflaster gewöhnt und mag es eigentlich beim Radeln ganz gern“.
Carsten Buhtz vom Polizeiabschnitt 54 mischt sich routiniert ein, er weiß, was da kommt: „Das ist diese Aber-Mentalität“, sagt er, „die Radler geben meist zu, dass sie einen Fehler gemacht haben. Aber es kommt immer dieses Aber – aber die Autofahrer sind ja viel schlimmer“. Doch heute, antwortet er, gehe es um Radfahrer.
Die, die sich an diesem Vormittag erwischen lassen, passen selten ins Klischee des Kampfradlers. Es sind junge Ehepaare, auch eine ältere Frau, die sich auf dem Gehweg sicherer fühlt als zwischen den Autos auf der Straße. Jüngere Radfahrer reagieren manchmal so verblüfft auf die Ermahnungen, dass man ihnen glauben möchte: Sie wissen nicht, was sie tun, und dass es illegal ist. Mag sein, dass der Handzettel vom Pfarrer wenigstens sie etwas klüger macht.