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Ins Gesicht geschrieben. Miloš Kozon ist einer der Berliner, die ab Sonnabend im Schillertheater auf der Bühne stehen.
© Vincent Stefan/Promo

"Originale" im Schillertheater: Mit Drehorgel und Mischpult

Die Staatsoper im Schillertheater bringt an diesem Sonnabend das Stück „Originale“ auf die Bühne – mit Berliner Originalen. Dabei ist Miloš Kozon, der sonst am Pariser Platz musiziert.

Miloš Kozon steht normalerweise mit seiner Drehorgel auf dem Pariser Platz, umringt von vielen Touristen, lautem Geschrei und einer Menge Trubel. Ihn stört das Chaos nicht, er macht in Ruhe weiter seine Musik. Heute ist der Straßenmusiker in einer ganz anderen Art von Chaos gelandet: Um ihn herum laufen fünf Menschen und rufen wild durcheinander. Die einen lauter, die anderen leiser, nur Wortfetzen sind zu hören. Ein Mann tritt auf, bringt sie alle zu einer Gruppe zusammen – und zum Schweigen. Dann lässt er sie nacheinander sprechen. Miloš Kozon beginnt auf seiner Drehorgel zu spielen, die Klänge wollen nicht so recht harmonieren. Im Hintergrund erklingen abstrakte elektronische Klänge, verzerrt, dazu Klavier und Schlagwerk. Musik wie aus einem Horrorfilm. Die Stimmen werden lauter, reden wieder durcheinander, Gesang gegen Wort, die Musik wird verzerrter. Dann herrscht Schweigen.

Karlheinz Stockhausens „Originale“ wird in der Werkstatt des Schillertheaters geprobt, und mit Miloš Kozon ist auch ein echtes Berliner Original dabei. Entstanden ist „Originale“ aus Stockhausens Komposition „Kontakte“, einem elektroakustischen Stück. Elektro, das war zu seiner Zeit eine musikalische Revolution. Das Stück, 1961 in Köln und 1964 in New York aufgeführt, wurde sofort zum Skandal, vor allem wegen seines Happeningcharakters und der Musik, in der mit Reglern experimentiert wurde, nicht mit Instrumenten. Seitdem wurde es nur dreimal neu inszeniert. Hält man die Partitur des Stücks in den Händen, sieht man tatsächlich nur zwei Achsen: Zeitangaben und Aktionen. Die wurden an der Staatsoper gefüllt mit Textstücken, Videosequenzen, Mailboxnachrichten.

„Es ist wie Erdbeeren essen“

„Das ist keine perfekte Theatersituation für den Zuschauer“, sagt Regisseur Georg Schütky. Denn das Stück begründe sich aus sich selbst: keine dramaturgische Linie, kein verhandelter Inhalt. Vielmehr sind die Zuschauer Zeugen, in der Mitte des Raumes auf einem weißen Podest sitzend, von einer intensiven Beschäftigung mit diesen Figuren selbst. Und jede Aufführung ein bisschen anders: „Jedes Original ist ein Original.“

In der neuen Schillertheater-Inszenierung "Originale" treffen altes und neues Berlin aufeinander.
In der neuen Schillertheater-Inszenierung "Originale" treffen altes und neues Berlin aufeinander.
© dpa

Die Originale auf der Bühne sind Schauspieler, Musiker, Aktionskünstler – aber auch das Plus-Size-Model Caterina Pogorzelski, die als „Modedame“ auftritt, und eben Miloš Kozon, für den die Arbeit am Theater eine ganz neue Erfahrung ist. Als nach der Rolle des Straßenmusikers gesucht wurde, erinnerte sich der Produktionsfotograf an den Drehorgelspieler vom Pariser Platz. Kozon war sofort dabei. „Es ist wie Erdbeeren essen“, sagt er und grinst dabei breit über das ganze, vollkommen tätowierte Gesicht. Aufgewachsen ist er in den slowakischen Karpaten, bevor er vor 16 Jahren nach Deutschland kam, auf der Suche nach Arbeit. Irgendwann begann er Drehorgel zu spielen – und blieb.

Das alte Berlin kollidiert mit der hippen Szene

Natürlich seien die Proben „wahnsinnig anstrengend“, sagt Regisseur Schütky. Überall stehen bunte Requisiten, die Darsteller tragen auffällige Kostüme, in der Mitte steht das aufwendige Mischpult, und dazwischen rennt ein kleiner Junge herum, der durch ein Blasrohr Papierkügelchen auf die Menschen schießt. Und immer wieder beißen sich die Töne der Drehorgel mit den elektronischen Klängen aus den Lautsprechern. Als kollidiere das alte Berlin mit der hippen Stadtszene. Ein Original jagt das nächste.

Das Stück ist gleichzeitig die Eröffnung des „Infektion!“-Festivals mit dem Titel „Fluxus reloaded“. Das Geschehen ist so abstrus wie einzigartig: Da gibt es eine Szene, in der näht die Schlagzeugerin, gekleidet im Fechtanzug, Obst an einen Baum, das dann später von anderen Mitspielern wieder abgepflückt wird. Meist passieren mehrere Aktionen gleichzeitig, rund um den Zuschauer herum. Was der sich anschaut, wo er zuschaut, das entscheidet er selbst. Aber wer einmal drin ist, muss bis zum Ende bleiben. Denn vom Zuschauerpodest in der Mitte gibt es kein Entkommen.

Am Sonnabend, 20 Uhr, feiert das Stück Premiere im Schillertheater, Bismarckstraße 110, Charlottenburg. Weitere Vorstellungen am 20.6., 24.6., 25.6. und 27.6.

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