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Die Texte des Musiktheaters stammen von Jon Fosse.
© Adrienne Meister

Festival für Neue Musik: Mit der Rente kam der Sommertag

Der Komponist Nikolaus Brass zeigt auf dem Festival für Neue Musik sein erstes Musiktheater. Unsere Reporterin Gerrit-Freya Klebe (18) hat sich die Proben angesehen und sich mit ihm über die Entstehung des Stückes unterhalten.

Eine Frau wartet auf ihren Mann, der vor langer Zeit auf das Meer hinausgefahren und spurlos verschwunden ist. In Rückblenden erinnert sie sich an diesen Tag, den Besuch ihrer Freundin, die Sprachlosigkeit in ihrer Beziehung, ihre Angst und ihr allmähliches Begreifen. Während die Schauspieler das Theaterstück Sommertag im Berliner Kulturzentrum Radialsystem V proben, ist nur einer nicht zu sehen: Der Münchner Komponist Nikolaus Brass (65). Dabei war er es, der die Textvorlage von Jon Fosse in die Musik übersetzt und so zum Leben erweckt hat. Im Interview spricht er über sein Leben, das Stück und was er sich von seinen Zuschauern wünscht. 

Sie haben Medizin studiert und bei einer Wissenschaftszeitung gearbeitet. Wie sind Sie dann zur Musik und zur Komposition gekommen?

Also, es ist vielleicht andersrum. Als Jugendlicher waren Musik und Medizin bei mir gleichberechtigt. Ich hatte damals das feste Berufsziel, Psychiater zu werden. Das habe ich dann auch studiert, aber ich habe immer nebenbei Musik gemacht. Durch die Notwendigkeiten des Lebens habe ich letztendlich als Arzt gearbeitet, um mir dadurch mein Leben als Künstler zu finanzieren. Um eine Familie ernähren zu können und um unabhängig von Auftraggebern zu sein. Und um mir die Freiheit zu schaffen, in der übrigen Zeit, die ich dann noch hatte, Musik zu komponieren. Das habe ich so bis zu meinem 60. Geburtstag durchgehalten. Zuletzt habe ich dann noch in einer Wissenschaftsredaktion gearbeitet. 

Und wie sind Sie dann hauptberuflich Komponist geworden?

Weil ich es immer gemacht habe und es nie sein gelassen habe. Auch wenn ich wenig komponieren, pro Jahr vielleicht nur ein Stück schreiben konnte. Aber über die Jahre sammelt sich dann schon so etwas wie ein Werk an, und dann kommt Interesse von anderen und man wird auf Festivals eingeladen. Und jetzt, seit ich in Pension bin, ist es natürlich ideal, weil ich nur noch das machen kann.

Sie haben ja nun schon einige Werke geschrieben, aber das hier ist eines Ihrer ersten Musiktheater. Warum jetzt plötzlich ein Musiktheater und warum dieses Stück?

Ich habe wirklich großen Respekt vor Musiktheater oder Oper, und ich habe sehr lange gezögert, ob ich das wirklich machen kann. Ich verfolge die Arbeit der Neuen Vocalsolisten Stuttgart nun schon über Jahre und bin wirklich sehr beeindruckt von deren Fähigkeiten und Persönlichkeiten. Das war das eine, das ich gesagt habe: Wenn, dann würde ich mit denen mal was wagen. Und das andere war: Ich bin sehr theaterinteressiert und habe mich schon immer mit dem Theater beschäftigt. Vor einiger Zeit habe ich dann eine Inszenierung eines Stückes von Jon Fosse im Theater gesehen. Das war 2002 in München in den Kammerspielen. Das hat mich sehr gepackt. Also: Wenn ich mal was mit Oper mache, dann was mit Fosse. Nun hatte ich die Vocalsolisten und hatte Fosse und hatte immer noch kein Stück geschrieben. Durch Zufall habe ich dann einmal nach einem Buch gegriffen, in dem drei Theaterstücke von Jon Fosse enthalten waren. Und da steht: Ein Sommertag. Ich fange an zu lesen, einen Tag lang. Und schon am nächsten Tag habe mit Bleistift Striche gemacht und gewusst: Das ist jetzt mein Text. Während ich gelesen habe, habe ich wirklich schon bei ein paar Sachen gewusst, was da für eine Musik dazugehört. Dieser Text selbst ist für mich sehr musikalisch. Es ist eigentlich eine ganz einfach Sprache von Fosse, aber da ist schon ein Rhythmus drin und vor allem dieser Rhythmus der Pausen und dieses lange Anlaufnehmen, bis jemand etwas sagt - und dann sagt er doch nur eine Banalität. Diese ganze Emotionalität, die durch diese relativ einfache Sprache ausgedrückt wird.– Das ist die Musik daran. 

Wie viel ist von Ihnen selbst in diesem Stück enthalten?

Also, von mir selbst findet sich vielleicht das Einfühlungsvermögen wieder. Was in einer Beziehung problematisch sein kann, was schief gehen kann. Was man dann auch aus gescheiterten Beziehungen weiterschleppt und worin man stecken bleibt. Aus einer Lebenserfahrung heraus bringt man bestimmten Figuren Sympathie entgegen und kann sie verstehen. Der Asle will ja immer aufs Meer, und für seine Frau ist das eine Demütigung. Sie sagt: „Ich liebe Dich“, aber er sagt: „Am glücklichsten bin ich, wenn ich weg bin.“ Da geht man natürlich auch an die Decke, wenn man jung ist.

Wenn man älter ist, und das ist dann die Figur der älteren Frau, nimmt man es einfach anders hin. Gut, der Asle war halt so. Nicht, wie ich ihn mir vorgestellt habe, sondern der war anders. Aber damals will man es nicht sehen. Wenn man jung ist, will man jemand anderen so haben, wie man ihn sich vorstellt. Und das ist der Prozess, den die Ältere durchläuft. Dass sie nochmal alles durchlebt und am Ende des Stückes kann sie sich davon lösen. Wenn Sie fragen: „Was ist von mir da drin?“ Es ist diese Lebenserfahrung.

Wie haben Sie die Rolle des „Anderen“ definiert? Woher kommt der?

Den habe ich dazu erfunden. Ich habe nur den Text vom Sommertag gehabt und habe auch nicht links und rechts gelesen. Aber ich dachte, da gibt es noch eine Dimension, da ist noch irgendwas anderes. Da gibt es einen Sog, eine Kraft, die von diesem Asle Besitz ergreift. Die möchte ich darstellen. Dazu habe ich diesen „Anderen“ erfunden als eine stumme Rolle, die ja eigentlich nur so ein Kraftpol ist, wie ein Magnet. Er steht da und holt ihn, und die junge Frau schiebt er wieder weg. Er ist der Tod, er ist das Schicksal, er ist die Tiefe oder was auch immer. Und dann, als ich das fertig hatte, kam unser Dramaturgie-Assistent und hat mir zwei andere Bücher von Fosse gegeben und hat gesagt. „Kennst Du die?“ - „Nee.“ Und genau in diesen Büchern schreibt Fosse die Asle-Geschichte mit genau so einer Figur, wie ich sie erfunden habe. Das hat mich sehr gewundert, dass ich das Gleiche aufgespürt habe in diesem Text, was den Fosse auch umtreibt. 

Welche Besonderheit gibt es bei der Instrumentenbesetzung?

Die Instrumente stehen für die Seelenanteile der Figuren. Also, die ältere Frau hat den Kontrabass und Asle hat das Akkordeon, das etwas mit der Sehnsucht zum Meer zu tun hat. Es verkörpert die Sentimentalität vom Asle, aber auch Sentimentalität überhaupt. 

Und was hat es mit den Sätzen auf sich, die an der Wand zu lesen sind? Sind die aus dem Originaltext?

Ja, es gibt nur Fosse-Text. Ich habe nichts dazu erfunden, nur viel weg gelassen. Und der Text ist verteilt auf die Sänger, die ihn singen und sprechen und auf die Wand, wo bestimmte Sätze zu lesen sind und so hervorgehoben werden. Zum Beispiel „Ach ihr habt ein Boot.“ Das ist ja so ein Schrecksatz.

Die junge Frau muss dabei an den Asle denken, der da draußen auf dem Boot ist, aber nicht weiß, was er vorhat. Und dann gibt es noch die vierte Ebene, dass der Text eben als Zuspielung kommt. Das heißt, der Text ist in den Figuren, aber auch um die Figuren herum. Das kennt man ja auch, wenn man sich Sorgen macht, dann wird plötzlich irgendwie ein Satz ganz deutlich oder man kommt ohne diesen Satz nicht mehr aus. 

Was hat es eigentlich mit der Uhr an der Wand auf sich?

Einmal ganz banal mit diesem Warten: Scheiße, die Zeit vergeht. Ich kann nichts machen und ich weiß nicht, was los ist. Und dann hat es ja auch eine penetrante Gewalt, wenn dort an allen vier Wänden diese Uhr abläuft. Während dieser beiden Szenen gucken die Musiker außerdem nach der Uhr. In der Partitur stehen die Uhrzeiten drin; bei 8:30 musst du bei der und der Stelle sein. Es sind immer 30-Sekunden-Fenster, in denen alle bestimmte Dinge erledigen müssen. Die Uhr dient also intern der Organisation der Musik und extern ist sie dramaturgisches Element, um die unentrinnbar vergehende Zeit deutlich zu machen.

Was möchten Sie Ihren Zuschauern mit auf den Weg geben? Was wünschen Sie sich von Ihnen?

Ich kann nichts fordern, aber ich wünsche mir, dass sie berührt werden von der Geschichte. Ich finde, das ist eine Geschichte, die jedem passieren kann. Dass man sagt: Es gab eine Phase in meinem Leben, es gab Ereignisse, darüber habe ich keine Macht. Das kann ich nicht lösen, klären, bestimmen, mir zurechtbiegen, sondern es ist etwas geschehen, da fühle ich mich vielleicht dran beteiligt oder schuldig oder es bedrückt mich und ich kann es jetzt auch nicht mehr ändern. Aber in dem Stück gibt es ja quasi eine Lösung. In dem Moment, in dem man das Vergangene akzeptiert, kann man vielleicht etwas befreiter weiterleben. Was die Zuschauer mit der Berührung anfangen, ob es nur eine flüchtige ist oder eine tiefere, das bleibt jedem überlassen.

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