BerlKönig-Partner Viavan: Mit dem Bus in die Zukunft
Seit zwölf Monaten betreibt die BVG gemeinsam mit dem Mobilitäts-Start-up Viavan den BerlKönig. Ein Besuch in der Firmenzentrale in Manhattan.
Lauwarmer Kaffee aus Pappkartons und kein einziger Anzug weit und breit: Wer nach dem Klischee eines Start-ups sucht, wird in der New Yorker Zentrale des Fahrdienstleiters Viavan fündig. Und wie es das Klischee so will, wird die Firma mit Chris Snyder von einem Gründer geführt, der sein Produkt für nicht weniger als eine technische Revolution hält. Und für ein Werkzeug, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
„Wenn es um den Verkehr geht, stecken Städte heute in einer Krise“, sagt er. Um diese Krise zu beenden, müsse der öffentliche Nahverkehr komplett neu gedacht werden. Das aber geschehe nicht: „Die einzige Innovation, die es eine lange Zeit in diesem Bereich gab, war ein Bildschirm der angezeigt hat, um wie viele Minuten sich der Zug oder der Bus verspätet.“
Dem Viavan-Chef war das zu wenig: „Wir wollten die Smartphones unserer Kunden mit den Kapazitäten des Cloud-Computings verbinden, um dadurch einen Nahverkehr anzubieten, der Menschen auf Abruf zur Verfügung steht.“
Der Plan ging auf, wie ein Blick auf Berliner Straßen vor Augen führt: Per App können dort Passagiere seit mittlerweile einem Jahr den BVG-Kleinbus BerlKönig anfordern, einsteigen und mitfahren. „Mit unserer Software wird jede Straßenecke zur Bushaltestelle, man könnte sagen, wir erschaffen damit eine virtuelle Infrastruktur“, sagt Snyder.
Und an dieser Stelle ist dann auch Schluss mit den Klischees. Denn Snyder mag ein Freund großer Worte sein, ein Aufschneider ist er nicht. In den vergangenen zwölf Monaten hat er bewiesen, dass das Geschäftsmodell seiner Firma nicht nur eine nette Idee ist, sondern tatsächlich funktioniert. „Wir haben mittlerweile eine Million Fahrten in Berlin vermittelt“.
Viavan-Software bei 83 Projekten weltweit
Und nicht nur dort: Weltweit wird die Viavan-Software mittlerweile bei 83 Projekten eingesetzt. Zu den Partnern von Viavan zählen öffentliche Nahverkehrsgesellschaften wie die BVG, wissenschaftliche Einrichtungen wie die amerikanische Harvard-Universität oder auch private Transportunternehmen. Insgesamt mehr als 70 Millionen Fahrten wurden weltweit über die Software von Viavan abgewickelt. „Damit wurden Hunderttausende private Fahrten vermieden“, rechnet Snyder vor.
Das ist in Berlin auch Teil des Arbeitsauftrages in der Kooperation mit der BVG gewesen. „Unser Ziel war es mit dem BerlKönig einerseits kurzfristig das öffentliche Nahverkehrsangebot zu erweitern. Andererseits wollten wir langfristig eine Verkehrsalternative für Menschen schaffen, die derzeit noch ein eigenes Auto nutzen.“
Glaubt man Snyder, ist das für die BerlKönig-Nutzer eine Option: „Wir haben sie gefragt, ob sie sich vorstellen können, ihr privates Fahrzeug aufzugeben. Fast drei Viertel von ihnen haben das bejaht für den Fall, dass ein Fahrdienst wie der BergKönig weiträumig verfügbar ist – zusätzlich zum öffentlichen Nahverkehrsangebot.“ Aber Snyder ist sich bewusst, dass man derlei Bekundungen nicht für bare Münze nehmen sollte: „Natürlich muss man vorsichtig damit sein, was Leute in einer Umfrage angeben“, sagt er, „Aber gemeinsam mit den hohen Nutzungszahlen ist das ein vielversprechendes Resultat, denke ich.“
Nun trifft der BerlKönig innerhalb des S-Bahn-Rings auf eine junge, technikaffine Kundschaft, die den Fahrdienst als Ergänzung zum ohnehin großen Nahverkehrsangebot in Anspruch nimmt. Snyder ist aber überzeugt davon, dass der Fahrdienst auch außerhalb der einschlägigen Hipsterviertel Kunden finden würde. „In London testen wir seit sechs Monaten einen Busdienst in einem Stadtbezirk, den man eine Verkehrswüste nennen kann.“
BerlKönig in den Außenbezirken? Wird noch dauern
Allerdings wird es in Berlin wohl noch eine Weile dauern, bis die BerlKönig-Kleinbusse außerhalb des Rings, etwa in Marzahn oder Frohnau, im Einsatz sein werden. Den BVG-Chefin Sigrid Nikutta muss dafür noch Überzeugungsarbeit leisten, wie sie erzählt. „Wir diskutieren darüber gerade mit der Politik, aber von einigen wird unser Anliegen nicht richtig verstanden“, so ist ihr Eindruck.
Oft heiße es dann: Wir haben doch schon genug Busse und Bahnen in der Stadt, wozu noch den BerlKönig? „Ich bin immer ein bisschen verwundert über diese negativen Reaktionen, die zumeist von alten weißen Männern stammen“, sagt die BVG-Chefin.
Es ist ein Einwand, denn sie nicht gelten lassen will: „Natürlich brauchen wir den BerlKönig, denn wenn wir den Dienst nicht anbieten, wird es ein privater Anbieter machen – dann aber nur in den lukrativen Gegenden“, sagt sie. „In die Außenbezirke werden die niemals gehen.“
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Die Technologie von Viavan mag dabei das Verkehrsangebot verbessern, günstiger wird die Versorgung dabei nicht unbedingt, warnt Snyder. Letztendlich sei es eine Frage der Stadtstruktur, ob eine konventionelle Buslinie mit fixen Haltepunkten kostengünstiger betrieben werden könne, oder eine virtuelle Bushaltestelle, wie sie Viavan anbietet. „In einem Gebiet mit geringer Bevölkerungsdichte ist es teuer, eine Buslinie mit fixen Strecken zu betreiben. In New York wiederum kann es sinnvoll sein, einige teure U-Bahnlinien zu betreiben.“
Ausschreibung für Schulbus in New York
Und ein Kostenfaktor lässt sich im Nahverkehr gar nicht einsparen: der Fahrer. Davon jedenfalls ist Snyders Berliner Kooperationspartnerin, BVG-Chefin Sigrid Nikutta, überzeugt. „Die Autoindustrie sagt zwar immer, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis selbstfahrende Fahrzeuge auf dem Markt sind. Ich glaube aber nicht, dass das stimmt“, sagt sie. Dafür sei die Verkehrssituation in den Städten viel zu kompliziert und man müsste eigene Spuren für die Fahrzeuge einrichten.
Der BerlKönig-Dienst ist dabei für Viavan-Chef Snyder nur eine erste Anwendungsmöglichkeit seiner Technologie. „Wir haben gerade eine Ausschreibung der New Yorker Bildungsverwaltung gewonnen und werden künftig jeden Schulbus in der Stadt mit unserer Technologie ausstatten.“ Wenn das geschehen ist, sollen nicht nur die Kinder fortan wissen, wann ihr Bus kommt. „Die Eltern können dann nachvollziehen, ob ihre Kinder in den Bus eingestiegen sind – und ob sie sicher angekommen sind.“
Das System werde dann auch automatisch Ersatz anfordern, wenn ein Busfahrer ausfalle oder wenn Busse wegen Staus Verspätungen haben. „Die Technologie stellt sicher, dass jedes Kind in der Schule ankommt“, verspricht Snyder. Der größte Gewinn aber sei für die Bildungsverwaltung, dass sie erstmals Zugriff auf ihre Logistikdaten habe. „Das ist doch eine verrückte Situation gerade: Die Verwaltung betreibt täglich zehntausende Busse und hat nur sehr wenige Daten darüber.“ Mit Viavan soll sich das ändern.