Die First Lady und der Problembezirk: Mit Daniela Schadt auf Entdeckungstour durch Neukölln
"Wow! Wusste ich nicht": Die Lebensgefährtin von Bundespräsident Joachim Gauck hat auf einem Spaziergang Neukölln erkundet. Schon als Journalistin stritt sie für eine bessere Integrationspolitik. Beim Rundgang war sie nun ziemlich oft überrascht.
Sie habe sich selbst zum Spaziergang nach Neukölln eingeladen, erinnert Daniela Schadt ihre Gastgeber aus dem Bezirk. Sie war nämlich noch nie so richtig hier, wollte sich aber schon immer ein eigenes Bild machen von den angeblich vielen Problemen mit den vielen Migranten. Es wurde also Zeit. Bevor es aber losgeht mit der Erkundungstour, nimmt sie noch kurz Platz in einem schicken türkisch-italienischen Café in Rixdorf. Links und rechts sitzen die Mitglieder der hiesigen Salaam-Schalom-Initiative: Juden, Muslime, Christen, Atheisten. Bosniaken, Ungarn, Türken, Israelis, Palästinenser, Deutsche. Jung und Alt, deutschsprachig und weniger deutschsprachig, alles ist vertreten. Daniela Schadt hört konzentriert zu, spricht so ausführlich, dass sie selten zum Teetrinken kommt.
Schadt, die ehemalige Politikjournalistin, las über das interkulturelle Engagement der Initiative in der Zeitung. Zusammen mit Bundespräsident Joachim Gauck lud sie sie im Sommer ins Schloss Bellevue ein. Begeistert sei sie von der interkulturellen Arbeit, erklärt sie ihren Gegenbesuch. Vor allem der jüdisch-muslimische Dialog, die Diskussionsrunden, die Solidaritätspartys, die Videoprojekte der Initiative fände sie „super“. In Zeiten, in denen Antisemitismus und Islamophobie, Extremismus und Gewalt Dauerthemen seien, tue endlich jemand etwas. Im Kleinen zwar, aber immerhin. Daniela Schadt, so scheint es, sucht ein besonderes Thema für ihre Zeit als First Lady der Nation. Vielleicht findet sie es ja auf dem harten Pflaster von Neukölln.
Aber nun geht’s erst mal ans Spazierengehen. Schadt ist an diesem sonnig-kühlen Oktobermorgen ungezwungen sie selbst. Zumindest, wenn ihre Bodyguards etwas weiter weg sind, ihre Mitarbeiterinnen sie nicht auf den Zeitplan aufmerksam machen. Vor einem kleinen böhmischen Fachwerkhaus bleibt sie stehen. Sie wusste nicht, dass Neukölln schon immer ein Ort der Einwanderung war. Zunächst waren hier die Böhmen, dann die Tschechen, heute die Türken, Araber, Spanier und Griechen, junge Israelis und 145 weitere Nationalitäten. Daniela Schadt findet Neukölln aber weiterhin „idyllisch“. Die Ausdrücke „wow“, „wusste ich nicht“ und „das ist für mich neu“ mehren sich auf dem Weg Richtung Rathaus: „Eine iranisch-christliche Gemeinde? Und dazu noch reformiert? Wow! Wusste ich nicht. Das ist für mich neu.“
Schon in ihren Kommentaren für ihren damaligen Arbeitgeber, die „Nürnberger Zeitung“, schrieb Schadt regelmäßig zum Themenkomplex Migration und Integration. Bei der Lektüre ihrer Leitartikel lässt sich gut nachvollziehen, wie sich in Deutschland die Debatte über Einwanderung entwickelte. Schrieb Schadt Mitte der neunziger Jahre noch von „Ausländern“, bezeichnete sie diese nach der Jahrtausendwende eher als „Migranten“. Heute spricht sie von „Menschen mit Migrationshintergrund“ und „Deutschen türkischer oder sonstiger Herkunft“. Eine gute Schulfreundin in ihrem Geburtsort Hanau sei Türkin gewesen, sagt sie vor der Halal-Fleischerei. Alles kein Problem, warum auch?
Viele der Moscheebesucher erkennen die First Lady nicht
Schadt klopft einem jungen Palästinenser, der vor drei Monaten nach Neukölln gezogen ist, auf die Schulter. Man könne schon in ein paar Monaten oder Jahren irgendwie auch Deutscher werden, dazu gehören, verspricht sie. Wirklich? Ja, klar! Sie bleibt dabei.
Manchmal sagt sie sehr simple Sätze. Die in Neukölln aber gut ankommen. Das Bild von den schwarzen Schafe ist noch so ein Beispiel. Die gebe es in jeder Kultur, findet Schadt. Die Deutschen hätten Neonazis, das bedeute aber nicht, dass alle Deutschen Neonazis seien. Und so seien auch nicht alle Muslime radikale Salafisten.
Beim Thema „Hooligans gegen Salafisten“ fasst sie sich an den Kopf, eine Geste, die sowieso mehr sagt als tausend Worte. Manchmal rutscht ihr ein „wenn ich noch Journalistin wäre“ aus dem Mund. Als politischer Mensch würde sie gerne ihre Meinung aufschreiben. Doch sie ist First Lady, wenn auch ehrenamtlich, und da geht das nicht mehr. Sie habe dafür nun andere Möglichkeiten, Öffentlichkeit für wichtige Themen zu schaffen, sagt sie. Zum Beispiel für das Thema Integration, mit ihrem Besuch in Neukölln.
Die Bodyguards wirken etwas aufgeregt, vor allem, wenn Schadt ihre Schritte verlangsamt. Sie will es nämlich manchmal einfach ein bisschen geruhsamer angehen lassen – und erzählt, sie könne privat durchaus mal bis Mittag im Pyjama auf dem Sofa liegen, wenn sie nicht so viele Termine habe. Deswegen schlendert die Gruppe nun ein wenig langsamer durch Neukölln, und verweilt hier und da zu ungeahnten Zwischenstopps. So landet die Delegation auf spontanen Wunsch des Gastes in einer der berühmten Berliner Hinterhofmoscheen. Im Hof steht die Lebensgefährtin des Bundespräsidenten im Weg. Die Gläubigen, die zum Mittagsgebet eintreffen, machen einen kleinen Bogen um sie. Die meisten erkennen sie nicht, grüßen die fremde Person aber leise.
Selbst definiert sich Schadt als „liberal-konservative“ Person. Sie begrüßte in ihren Texten oft Bemühungen, die deutsche Integrationspolitik zu verbessern. Rief dazu auf, Flüchtlinge mit Würde zu behandeln und Gastarbeitern mit Respekt entgegenzutreten. Sie verstehe, wenn viele Muslime genervt seien von der Aufforderung, sich immer wieder vom Terror zu distanzieren. Da spricht die Liberale, die Journalistin, die in der Hinterhofmoschee viele Fragen stellt: „Wie finanziert sich denn so eine Gemeinde, wenn nicht über die Kirchensteuer?“ Sie möchte lernen, stellt Fragen, hakt nach. Es fehlt eigentlich nur noch der Schreibblock in ihrer Hand.
So deutlich wie in ihren Leitartikeln kann sie bei diesem Besuch nicht werden. Als Journalistin aber vertrat sie auch kritische Positionen. Damals schrieb sie von der „Multikulti-Lobby“, den „Multikulti-Freaks“ und den „Gutmenschen“. Schweigen ist keine Lösung, das glaubt sie auch heute noch. Die überschaubare Gruppe, die Probleme mache – über die müsse man reden, um Lösungen zu finden. Was sei so schlimm daran, Missstände zu benennen und zu beheben? Doch so fern wie Gleichmacherei seien ihr auch „diese Erzkonservativen“, die ihre Liebe für Schwule-, Lesben- und Frauenrechte erst dann entdecken würden, wenn es um Stimmungsmache gegen Muslime ginge. „Drollig“ findet sie das.
Der Spaziergang ist nicht ziellos: Im Seniorentreff in der Morusstraße 14 wird Daniela Schadt schon sehnsüchtig erwartet, obwohl lediglich ein „hoher Überraschungsbesuch“ angekündigt war. Das Mittagessen für die älteren Bewohner des Rollbergkiezes bietet heute Bouletten mit Joghurtsauce, Salzkartoffeln und Kürbiswürfeln. „Nächste Woche ist Schweinemittwoch“, schwärmt eine Seniorin. So etwas dürfe man sich auch in Neukölln gönnen. Daniela Schadt greift zu den Tellern und verteilt das Essen mit. Sie geht in die Küche, bedankt sich für das Menü und nimmt sich aus Höflichkeit eine Schale mit Schokoladenpudding, obwohl sie doch „voll ist“.
Bevor sie wieder gehen muss, umarmt sie noch schnell ein paar verdutzte Seniorinnen und schüttelt Hände stolzer Ur-Neuköllner. Dabei ist sie gekonnt die First Lady und wiederholt immer wieder die vermeintliche Drohung, sie könne sich jederzeit wieder selbst ins schöne Neukölln einladen. „Kommt die jetzt jede Woche zu uns?“, fragt daraufhin eine ältere Dame mit Krückstock. „Nächste Woche ist Schweinemittwoch“, wiederholt ihre Freundin. Nun muss Schadt aber schnell in die wartende Limousine. Der nächste Termin steht gleich an. Sie muss sich um die Première Dame von Haiti kümmern.
Mohamed Amjahid, Volontär, engagiert sich für den interkulturellen Dialog. Bei einem Besuch beim Bundespräsidenten traf er Daniela Schadt – und so ergab sich die Verabredung zum Rundgang durch Neukölln.