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Florian Graf, Fraktionsvorsitzender der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus.
© Jörg Carstensen/ DPA

Interview mit CDU-Fraktionschef Florian Graf: "Mir geht es um das Selbstverständnis als Hauptstadt"

CDU-Fraktionschef Florian Graf über Forderungen an den Bund für Berlin, die Zukunft des ICC und die schlimmste Behörde Berlins.

Herr Graf, die CDU-Fraktion setzt sich, das hat sie auf ihrer Klausurtagung beschlossen, für einen Hauptstadtvertrag ein. Ist dazu nicht längst alles gesagt?

Für uns ist die Fortentwicklung Berlins als Hauptstadt eine Herzensangelegenheit. Wir sprechen uns für ein Hauptstadtgesetz aus, das die Aufgaben regelt, die Berlin im Auftrag des Bundes wahrnimmt. Dazu gehört, dass wir mit der Stadtgesellschaft ein Hauptstadt-Bild entwerfen, etwa in einem Hauptstadtforum 2.0. Denn: Berlin ist die Hauptstadt aller Deutschen, aber die größte Verantwortung für das Gelingen der Hauptstadt tragen die Berlinerinnen und Berliner selbst. Wir sind dafür, die Hauptstadtfunktion Berlins in der Berliner Verfassung zu verankern. Hierzu bedarf es eines breiten parlamentarischen Konsenses. Mir geht es um das Selbstverständnis als Hauptstadt, in zweiter Linie aber auch um deren Finanzierung.

Kulturell wird der Bund darauf verweisen, dass er schon sehr stark engagiert ist. Was wollen Sie darüber hinaus?

Der Bund leistet in Kultur und Wissenschaft viel für Berlin. Dafür sind wir außerordentlich dankbar – insbesondere unserer Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die einen hervorragenden Job macht. Doch 2017 läuft der Hauptstadtvertrag aus, den es neu zu verhandeln gilt. Gerade im Sicherheitsbereich müssen wir sehen, dass die Kosten, die Berlin hat, bedarfsgerecht finanziert werden. Der hauptstadtbedingte Sicherheitsbedarf liegt bei 150 Millionen Euro, wir erhalten vom Bund aber nur 60 Millionen Euro. Die Angelegenheit liegt beim Regierenden Bürgermeister Michael Müller, dies ist jetzt zu verhandeln.

Wollen Sie einen neuen Hauptstadtvertrag noch vor der nächsten Berliner Wahl?

2016 wählen wir in Berlin, 2017 findet die Bundestagswahl statt. Da ist die Zeit bis zur Abgeordnetenhauswahl aus meiner Sicht besonders geeignet. Die Bund-Länder-Finanzbeziehungen werden zurzeit auf eine neue Grundlage gestellt, dies muss auch für die Hauptstadtfinanzen gelten.

Sie fordern auch den Umzug sämtlicher Ministerien von Bonn nach Berlin.

Ja, das ist nun wirklich an der Zeit. Die Hauptstadt Berlin soll vollständiger Regierungssitz werden. Wir kennen aber auch die Widerstände aus allen Fraktionen des Bundestages und natürlich auch aus Nordrhein-Westfalen.

Im Wahlkampf 2016 wird Frank Henkel, Innensenator und Spitzenkandidat der Berliner CDU, gewiss die größte Kompetenz in Sachen Sicherheit und Ordnung für Ihre Partei reklamieren. Sollen Polizei und Feuerwehr personell gestärkt werden?

Eindeutig ja. Wir haben bei der Sicherheit immer den Fokus darauf gelegt, den Personalabbau umzukehren, den Rot-Rot bei Polizei und Feuerwehr zehn Jahre lang betrieben hat. Auf der Senatsklausur im Januar haben wir vereinbart, Polizei und Feuerwehr zu stärken. In welchem Umfang, ist jetzt Gegenstand der Verhandlungen mit dem Finanzsenator. Und wir müssen bei der Polizei zu einer Ausbildungsoffensive kommen.

In welchen Dimensionen denken Sie?

Da will ich den Gesprächen zwischen Innensenator Henkel und Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen über die Zahl der Stellen nicht vorgreifen. Danach werden wir sehen, ob wir als Fraktion nachbessern oder nicht. Am Ende müssen es jedenfalls mehr Polizisten sein.

Warum leistet sich die Stadt noch Behörden wie die Verkehrslenkung Berlin, die ihrer Aufgabe nicht gerecht werden?

Der Zustand der Verkehrslenkung ist ein absolutes Organisationsversagen. Es kann nicht sein, dass Straßen nicht mehr saniert werden, weil sich die Akten stapeln. Wir diskutieren auf unserer Klausurtagung mit Experten, wie man das verbessern kann. Es ist für alle Beteiligten, nicht zuletzt für das Parlament, unbefriedigend: Wir stellen Geld für die Sanierung bereit – und diskutieren regelmäßig, ob das Geld ins nächste Jahr übertragen werden kann, weil es nicht abgerufen wurde. Die Verkehrslenkung muss besser gemanagt werden.

Aber man rührt nicht daran, weil es Angelegenheit des Koalitionspartners ist …

Wir sprechen es doch an! Es ist doch so: Berlin läuft gut, wenn man sich die wirtschaftliche Entwicklung, die Situation am Arbeitsmarkt, die Anziehungskraft der Stadt anschaut. Im Kleinen gibt es große Missstände – die Verkehrslenkung, die Bürgerämter, die Sauberkeit. Wir müssen zu neuen Lösungen kommen. Auch das diskutieren wir auf der Klausurtagung mit Experten.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller will aus dem ICC wieder ein Kongresszentrum machen, mit öffentlichen Mitteln. Wer soll das bezahlen?

Die CDU-Fraktion war immer dafür, das ICC wieder für den Kongressbetrieb zu ertüchtigen. Möglicherweise im Rahmen einer Mischnutzung. Wir freuen uns also über die Initiative des Regierenden Bürgermeisters. Nun muss er jedoch im Zuge der neuen Berliner Finanzplanung klarstellen, wie das insgesamt finanziert werden soll.

Die 200 Millionen Euro, die für das ICC aus Landesmitteln zur Verfügung stehen, werden nicht reichen. Was wird benötigt? 300 Millionen, 400 Millionen Euro …

Herr Müller war viele Jahre Stadtentwicklungssenator und hat verschiedene Gutachten selbst auf den Weg gebracht. Insofern wird er sich des Kostenproblems bewusst sein und ich erwarte, dass der Senat noch vor der Sommerpause verbindlich klärt, was eine Sanierung des ICC als Kongressgebäude kosten wird. Auf Grundlage belastbarer Zahlen ist die CDU-Fraktion bereit, dem ICC eine neue Perspektive zu geben. Aber die SPD stellt den Regierenden Bürgermeister und den Finanzsenator und muss erst einmal sagen, was sie will.

Gerade erst hat die Bildungsverwaltung viele Millionen Euro in ein nicht funktionierendes IT-Programm versenkt. Regt das niemanden auf?

Doch, selbstverständlich auch mich. Die teure Pleite beim IT-Programm für die Schulen, wir reden immerhin von einem zweistelligen Millionenbetrag, ist ein Symbol dafür, dass Berlin bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und der privaten Wirtschaft bislang keine Führungsrolle übernommen hat. Das muss aber unser Anspruch sein. Deshalb fordert die CDU-Fraktion jetzt auch kurzfristig 40 – und langfristig 100 – neue Professorenstellen für den IT-Bereich, auch als Unterstützung für die Start-up-Szene. Finanzieren wollen wir dies mit 12 Millionen Euro aus den frei gewordenen Bafög-Mitteln.

Wer soll die neuen Stellen bekommen?

Es gibt bereits eine Initiative des Präsidenten der Technischen Universität, der im Juni fachkundige Akteure einlädt, um das Thema zu diskutieren.

Bundesweit wird darüber diskutiert, was Kita-Erzieherinnen leisten und ob sie besser bezahlt werden sollten. Ist angesichts dessen das Berliner Modell mit gebührenfreien Kitas auch für wohlhabende Eltern noch zeitgemäß?

Die drei gebührenfreien Kita-Jahre in Berlin sind vorbildlich. Was darüber hinaus wünschenswert ist, muss aber auch finanzierbar sein. Wir sagen daher: Bevor es zu einer weiteren finanziellen Entlastung kommt, fordern wir zunächst eine Qualitätsoffensive bei den Kitas. Dafür sehen wir viele Eltern an unserer Seite.

Die CDU-Fraktionsklausur dient auch der langfristigen Vorbereitung des Wahlkampfs 2016. Und es drängt sich allmählich der Eindruck auf, dass die Gemeinsamkeiten der rot-schwarzen Koalition weitgehend erschöpft sind. Gibt es noch Regierungsprojekte, die der Rede wert sind?

Von Erschöpfung sehe ich keine Spur. Und ja, es gibt noch genug zu tun. Der Doppelhaushalt für 2016/17, der momentan vorbereitet wird, ist wohl das wichtigste Vorhaben, das sogar in die nächste Wahlperiode hineinwirkt. Im Übrigen ist die Bilanz dieser Koalition gut und ich sehe als große, wichtige Übereinstimmung zwischen SPD und CDU, dass bei der Haushaltskonsolidierung auch künftig nicht gewackelt wird. Schulden abbauen und investieren bleibt unser Motto. Darüber hinaus gibt es noch viele Gemeinsamkeiten zwischen beiden Regierungspartnern, seien Sie sich dessen gewiss.

Sie freuen sich also schon auf die Fortsetzung von Rot-Schwarz nach der Wahl im Herbst 2016?

Es ist jedenfalls so, dass die Union mit einer guten Regierungsbilanz in den Wahlkampf ziehen wird. Wir haben auch bei unseren Kernthemen – Sicherheit, Wirtschaft und Bildung – viel erreicht. Der früheren rot-roten Regierung weint doch keiner eine Träne nach. Und was die Berliner am wenigsten wollen, ist ein rot-rot-grünes Thüringer Modell.

Das Gespräch führten Werner van Bebber und Ulrich Zawatka-Gerlach.

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