Proteste gegen hohe Mieten: Mieter heizen den Parteien ein
Tausende Demonstranten machen die Politik für steigende Wohnkosten verantwortlich. Deren Vertreter fühlen sich zu Unrecht kritisiert.
Politiker wie Klaus Wowereit, Renate Künast und Harald Wolf hatten die Veranstalter explizit ausgeladen – und doch waren am Sonnabend die Spitzenkandidaten bei der Demonstration gegen Mietsteigerungen omnipräsent. Wenn auch nur als Karikaturen mit verzerrten Grimassen und Adressaten vieler kritischer Sprüche. Um die 5000 Menschen mögen es gewesen sein, die am Nachmittag hinter Transparenten wie „Wohnen ist ein Grundrecht, keine Ware“ vom Hermannplatz durch Neukölln bis an den Kreuzberger Oranienplatz zogen – für eine Stadt mit Millionen von Mietern nicht gerade eine Großdemonstration, aber doch eine, die einen in der Stadt spürbar wachsenden Unmut aufgreift.
Einige routinierte Politaktivisten der linken Szene waren dabei, vereinzelt auch Politiker von Linken oder Grünen in privater Funktion. Vor allem aber sah man bei dem von Stadtteilinitiativen und linken Gruppen organisierten Protest viele normale Familien und Solo-Protestierer, die mit selbstgemachten Schildern ihrer Angst vor steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten Ausdruck gaben.
„Mieten runter – damit außer Dauerkarte noch was bleibt“, hatte ein Fußballfan im Hertha-Shirt auf sein Pappschild geschrieben. „Mieter sind Menschen – kein Spekulationsobjekt“ ein anderer. Und eine Frau verkündete: „Ich spekuliere nur auf Süßigkeiten.“
SPD und Linke wurden in Reden und auf Transparenten dafür gegeißelt, dass sie sich in den vergangenen zehn Jahren nicht genug für mehr sozialen Wohnungsbau und gegen Privatisierungen eingesetzt hätten, die Grünen bekamen als Mitverantwortliche der Hartz-IV-Reform im Bund ihr Fett weg, und die CDU wurde als Verantwortliche für den Bankenskandal gegeißelt, dem Anlass der Sparzwänge. „Wir fallen nicht auf die Parteien rein“, fasste ein handgemaltes Transparent die Stimmung zusammen, „Wahlboykott“ verkündete ein anderes.
Lesen Sie auf Seite 2, wie die Parteien auf die Vorwürfe reagieren.
Die Kritisierten nahmen das mit gemischten Gefühlen auf. „Wir haben uns bei der Zahl der öffentlichen Wohnungen an den anderen deutschen Städten orientiert und wollen den Bestand noch erhören“, sagte SPD-Partei- und Fraktionschef Michael Müller auf Nachfrage. Seine Partei wurde auf Schildern als „Sozialabbau-Partei Deutschlands“ verspottet und dafür kritisiert, dass sie mit der Linken die einst städtische Wohnungsbaugesellschaft GSW mit 60 000 Wohnungen privatisiert habe. Dies sei damals wegen der Haushaltsnotlage Berlins und der anstehenden Klage vor dem Bundesverfassungsgericht nötig gewesen, sagt Müller. Und er weist darauf hin, dass das Gros der Berliner Wohnungen – 1,6 Millionen – sich in privatem Besitz befänden. Hier könne Berlin „nur über das Bundesmietrecht“ etwas tun, eine Bundesratsinitiative habe man gestartet.
Die Vereinigung der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen hält die Kritik der Protestierer an der Politik für gerechtfertigt, sieht aber wiederum die Vermieter zu Unrecht kritisiert, wie deren Sprecher David Eberhart am Rande der Demonstration sagte: „Die Wohnungspolitik spielte in der vergangenen Legislaturperiode eine sehr geringe Rolle – erst jetzt ist das Thema allen Parteien wichtig.“ Die auch am Sonnabend wieder geäußerte Kritik an Mietsteigerungen bei GSW und städtischen Gesellschaften, weist Eberhart zurück: Die Preise seien nur „moderat“ gestiegen und blieben „deutlich unter dem Mietspiegel“. Den Ärger der Mieter dürfte das kaum dämpfen. Zumal einige, die gestern auf die Straße gingen, weit mehr wollen als nur einen Schutz vor Erhöhungen – auf einigen Schildern war die Forderung zu lesen: „Nie wieder Miete!“