Berlin: Mierendorffplatz: Insel-Viertel mit Grün, Gewerbe und rauchenden Schloten
Der Autoverkehr auf der Kaiserin-Augusta-Allee und der Sömmeringstraße ist beträchtlich, auch BVG-Fahrgäste pendeln tagsüber am Mierendorffplatz in großer Zahl zwischen der U-Bahn und dem halben Dutzend Buslinien. Und doch kann man den Platz nicht als Anziehungspunkt bezeichnen.
Der Autoverkehr auf der Kaiserin-Augusta-Allee und der Sömmeringstraße ist beträchtlich, auch BVG-Fahrgäste pendeln tagsüber am Mierendorffplatz in großer Zahl zwischen der U-Bahn und dem halben Dutzend Buslinien. Und doch kann man den Platz nicht als Anziehungspunkt bezeichnen. "Es ist keine Gegend, in die Leute eigens von woanders her kommen", stellt Stephan Wulfhorst von der Zoohandlung "fridolin" fest. Das Viertel wirke auf ihn "ein bisschen wie eine Insel".
Tatsächlich ist es auf allen Seiten von Wasser umgeben, in ein paar hundert Metern Entfernung vom Platz stößt man auf die Spree oder Kanäle. Wulfhorst spricht von einem "Kleine-Leute-Kiez", dessen Bevölkerung überwiegend zu den mittleren bis unteren Einkommensgruppen gehöre. Aber umso mehr "staunt man, wie viel aus den Grünanlagen gemacht wird". Der seit kurzem preisgekrönte Park ist das Schmuckstück des Platzes. Im Sommer kommen viele Erholungssuchende und Mütter mit Kindern dorthin, für Jugendliche gibt es eine Streetball-Ecke. Auch wenn zurzeit nichts blüht und die Bäume kaum noch Blätter tragen, sieht der Park zumindest abends noch schön aus. Die historischen kleinen Laternen mit quadratischer Spitze tauchen die Anlage in ein romantisches Licht. Die aufwendige Gestaltung zeigt die soziale Gesinnung des einstigen Stadtgartendirektors Erwin Barth. Auf einer Hinweistafel steht sein Credo: "Wenn irgendwo eine reiche Ausstattung der Plätze mit verschwenderischer Blumenfülle, mit Brunnen und dergleichen angebracht ist, so ist es da, wo Leute wohnen, welche sich keine eigenen Gärten leisten können."
Mittwochs und Sonnabends belebt ein Wochenmarkt den Platz. Auch zahlreiche Läden machen den Kiez zum Einkaufsgebiet. Man bekommt fast alles für den täglichen Bedarf und einiges mehr, neben Filialisten wie McPaper oder Wegert existieren noch viele mittelständische Betriebe. So bietet die "Stöberstube" ein ebenso preisgünstiges wie umfangreiches Warensortiment, das von Angeln über Stereoanlagen und gebrauchte Videofilme bis zu Modellautos und -bahnen reicht. "Es ist eine Arbeitergegend", sagt Jürgen Stephan, der den Laden zusammen mit seiner Ehefrau führt, "alles muss billig sein". Luxusgeschäfte, Kaufhäuser oder ein großes Einkaufszentrum gibt es nicht. Unspektakulär ist die gastronomische Auswahl. Den Namen Restaurant verdienen höchstens eine Handvoll Lokale. Das Bild bestimmen deutsche und türkische Imbissläden und diverse Bierkneipen.
Die Hochschule der Künste belegt einen 107 Jahre alten, viergeschossigen Ziegelbau an der Ecke Nordhauser Straße; die Räume dienen den Fakultäten Gestaltung, Musik und Darstellende Kunst. Das gegenüber liegende Café ist dadurch ein Studententreff. Einen Steinwurf entfernt liegt auch die nach Mierendorff benannte Grundschule. Doch für die Freizeit bietet der Kiez jungen Leuten wenig. "Wenn ich ausgehen will, steige in die U-Bahn und fahre woanders hin", erzählt ein Schüler.
Regelmäßig ziehen aber Gruppen deutscher und türkischer Jugendlicher durch den Kiez, die manchen Anwohnern nicht geheuer sind. "Nach neun Uhr abends traue ich mich nicht allein durch die Gegend", sagt Martina Greiner, die einen Imbiss an der Sömmeringstraße betreibt. In den Grünanlagen an den Gewässern sei Drogenhandel zu beobachten, direkt auf dem Platz allerdings nicht. Früher sei das Viertel eine vornehmere "Beamtengegend" gewesen, jetzt gebe es deutlich mehr Sozialhilfeempfänger.
In die Nähe des Platzes kommen viele Sportler, denn nur zwei Straßenblocks entfernt liegt die Sömmering-Halle mit angrenzendem Fußballfeld. Ansonsten prägt vor allem Gewerbe die Umgebung. Im Süden ragen die Schlote des Bewag-Kraftwerks Charlottenburg zwischen Quedlinburger Straße und der Spree auf. Im Norden, zur Ringbahn hin, stehen hinter einem Recyclinghof der Stadtreinigung, einer TÜV-Prüfstelle und Kleingartenkolonien auch noch Reste des Gaswerks an der Gaußstraße. Die Gasag schloss die 1891 eröffnete Anlage vor fünf Jahren wegen der Umstellung auf Erdgas und riss danach die meisten Gebäude ab. Sie nutzt aber weiterhin die zwei großen Kugelgasbehälter.
Erhalten blieb auch der denkmalgeschützte Wasserturm. Charlottenburger Bezirkspolitiker forderten, Teile des ehemaligen Gaswerks für den Wohnungsbau zu nutzen, was aber unter anderem an Altlasten im Boden scheiterte. Stattdessen will nun ein Investor im kommenden Jahr mit dem Bau eines Gewerbeviertels beginnen.
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