Klaus Stuttmann zieht Bilanz: „Merkel wird mir fehlen“
Klaus Stuttmann über die Arbeit als politischer Karikaturist, sein Verhältnis zur Kanzlerin und Satire in Zeiten von Trump. Ein illustriertes Gespräch.
Klaus Stuttmann zeichnet seit gut 25 Jahren politische Karikaturen für den Tagesspiegel, seit 2003 erscheinen sie täglich in der Zeitung und auf der Website der Zeitung. Redakteur Lars von Törne, der zusammen mit Stuttmann über viele Jahre den karikaturistischen Jahresrückblick im Tagesspiegel-Salon präsentiert hat, spricht mit ihm anlässlich des 75. Tagesspiegel-Jubiläums persönlich über seine Arbeit im Wandel der Zeit.
Klaus Stuttmann, wie wurde aus einem studierten Kunsthistoriker einer der wichtigsten politischen Karikaturisten Deutschlands – durch das Bedürfnis zu zeichnen oder durch das, Politik zu kommentieren?
Das kam zusammen. Ich war als Student politisch aktiv und habe Flugblätter gestaltet, ich war für das Layout zuständig. Und um die Bleiwüsten zu durchbrechen, habe ich kleine Zeichnungen gemacht. Das war mir da schon klar, dass dies das Ideale für mich ist. Ich habe dann später mein Hobby zum Beruf gemacht. Sobald ich meinen Magister hatte, habe ich nur noch den Zeichenstift in die Hand genommen. Ich wäre auch gerne Kunsthistoriker geworden, ich habe sehr gerne studiert, aber das Zeichnen war einfach noch schöner.
Du sollst ja schon als Kind Karikaturen von Chruschtschow und anderen Politikern jener Zeit gezeichnet haben, hat deine Mutter mal erzählt – weißt du noch, was dich daran reizte?
Es hat mir damals einfach Spaß gemacht. Es ist aber nicht so, dass ich damals, da war ich etwa zehn, schon alle Politiker hätte zeichnen können. Das kann ich auch heute nicht einfach so aus der Tasche heraus. Aber der Chruschtschow hatte sich einfach angeboten, mit seinem runden Gesicht. Der fiel mir schon damals ziemlich leicht.
Erinnerst du dich noch an deine erste im Tagesspiegel veröffentliche Arbeit?
Ja, das war 1994 eine Karikatur, die auf der Titelseite der Zeitung erschien. Das ist vorher noch nie und auch danach nie wieder passiert. Da ging es inhaltlich um den Bau von Bundesministerien, der Regierungsumzug war damals noch nicht abgeschlossen. Ich habe gezeichnet, wie der Berliner Dom abgerissen werden soll, um Platz für die Gästetoiletten der neuen Ministerien zu machen.
Schaut man sich deine ersten Karikaturen an, ist ein wenig schon der markante Stuttmann-Strich zu erahnen, bei den Figurenzeichnungen hat sich dein charakteristischer Stil aber erst nach und nach herausgebildet. Wie weit hast du dir gezielt eine bestimmte zeichnerische Ausdrucksweise erarbeitet?
Das habe ich nie bewusst gemacht. Eigentlich ist es wie eine Handschrift. Man arbeitet auch nicht bewusst daran, die zu entwickeln. Auch wenn sie sich vom Abitur bis zur Rente erheblich verändert, aber ohne bewussten Willen.
Wie hat sich seit deinem Einstieg beim Tagesspiegel die Arbeit des Karikaturisten geändert?
Vor allem in technischer Hinsicht. Ich hatte damals, 1994, schon ein Faxgerät, aber noch nicht lange. Dadurch konnte man seine Arbeiten in die Redaktion schicken – vorher war man darauf angewiesen, mit der Redaktion fußläufig verbunden zu sein oder gar sein Büro dort zu haben. Durch das Faxgerät änderte sich das, später kam dann die E-Mail, durch die es auch möglich wurde, farbige Zeichnungen zu verschicken. Bei mir persönlich hat sich zudem geändert, dass ich seit rund 20 Jahren nur noch digital auf dem Tablet zeichne.
Und hat sich durch die Technik auch inhaltlich etwas verändert?
Auf jeden Fall. Man ist schneller, und man muss auch schneller sein. Es ist ja alles schneller geworden, die gesamte Technik hat sich geändert, von der Setzerei bis zum Druck der Zeitungen. Und die Welt dreht sich schneller. Innerhalb von 24 Stunden übertrumpfen sich die Schlagzeilen. Früher hörte man vormittags Radio und überlegte sich sein Thema. Dann konnte man zuverlässig eine Zeichnung machen, die am nächsten Tag noch aktuell war. Heute ist es manchmal so, dass ich vormittags online die Schlagzeilen sehe und denke, das ist jetzt das aktuelle Thema. Dann schicke ich die Karikatur um 16.30 Uhr ab und gucke auf die Internetportale, da ist das Thema schon wieder weg, weil andere wichtiger geworden sind.
Du hast ja anfangs wahrscheinlich klassisch mit dem Bleistift auf Papier gezeichnet, machst dies aber seit langem nun schon mit dem digitalen Tablet. Fehlt da nicht manchmal der direkte Kontakt des Bleistifts mit dem Papier?
Nein, nie. Es ist ja nicht nur der Bleistift, das wäre ja noch gegangen. Aber man musste das als Federzeichnung machen. Und ich hatte anfangs nicht besonders viel Geld, ich konnte mir also keinen hochwertigen Zeichenkarton leisten, sondern habe einfach auf normalem Schreibmaschinenpapier gezeichnet. Und da sind die Federn immer im Papier stecken geblieben, da bin ich oft verzweifelt. Da machte sich bemerkbar, dass ich nie eine wirkliche Grafikerausbildung gemacht habe, wo man auch so technische Sachen lernt. Ich musste mir das alles selbst beinbringen. Und mit Feder auf Papier zu zeichnen, fand ich immer eine Quälerei. Dann kamen Flecken, man wollte radieren und hatte Löcher im Papier... Ich war einfach nur froh, als das mit dem Digitalen anfing, und habe es keine Sekunde lang bereut - im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen, die immer wieder beteuern, dass ihnen etwas fehlen würde, wenn sie die Rauheit des Papiers nicht spüren würden.
Du belieferst neben dem Tagesspiegel auch die „taz“ sowie knapp 30 weitere Tageszeitungen. Welche Bedeutung hat der Tagesspiegel in diesem Portfolio – und wieweit unterscheiden sich die Karikaturen im Tagesspiegel gelegentlich von denen für andere Publikationen?
Große Unterschiede gibt es nicht. Nur für die taz, wo ich einmal in der Woche eine Karikatur veröffentliche, mache ich noch eine andere Zeichnung. Da überlege ich mir manchmal, was ich den taz-Lesern eher zumuten kann als denen des Tagesspiegels. Ansonsten bekommen alle Zeitungen dieselben Karikaturen. Aber der Tagesspiegel ist die einzige Zeitung, für die ich täglich zeichne und das schon seit 2003. Das ist meine Hauptzeitung, ich fühle mich als der Tagesspiegel-Zeichner.
Wie hat sich nach deiner Einschätzung in den vergangenen Jahrzehnten die Rolle der politischen Karikatur hierzulande entwickelt?
Teilweise hat man den Eindruck, dass die Karikatur den Redaktionen unwichtiger wird. Früher hatte sie größeren Stellenwert, schon rein optisch. Wenn ich an die FAZ denke, die ich zu Hause als Jugendlicher gelesen habe, war das eine Bleiwüste, die Zeitung bestand fast nur aus Text, ohne Fotos und ohne Bilder. Da war die Zeichnung mittendrin ein echter Blickfang. Ein paar Zeitungen haben inzwischen ja ganz auf Karikaturen verzichtet oder bringen sie nur noch unregelmäßig oder an verschiedenen Stellen. Andere wie der Tagesspiegel haben wenigstens noch die Tradition, dass sie immer an derselben Stelle und für sich steht.
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Manche Leser gucken ja zuerst auf die Karikatur, bevor sie den Rest der Zeitung angucken. Sie scheint also noch eine gewisse Bedeutung zu haben. Spannend wird es, wie sich die Karikatur im digitalen Bereich entwickeln wird. Ob es nur eine Bildstrecke unter anderen ist oder ob sie eine hervorgehobene Gewichtung bekommt. Ich befürchte, dass die Karikatur da an Bedeutung verlieren wird. Das Echo hingegen ist viel größer als zuvor, auch durch die sozialen Medien. „Shitstorms“ wie heute gab es früher nicht – oder Fälle, in denen Leute wegen einer Karikatur umgebracht wurden. Es ist eine zwiespältige Entwicklung.
Du hast im Lauf der Zeit zahllose Politikerinnen und Politiker begleitet. Welche waren für dich als Karikaturist besonders dankbare Objekte?
Eigentlich immer die, die man am meisten gezeichnet hat. Kohl, Schröder, Fischer, Merkel. Es gab ein paar, die ich nicht gerne gezeichnet habe...
Welche?
Den früheren Finanzminister Hans Eichel zum Beispiel. Der ist mir nie richtig gelungen, ich war immer unzufrieden, auch wenn andere Leute ihn immer gleich erkannt haben.
Der hatte auch nicht so einen Charakterkopf wie Kohl, Schröder oder Merkel.
Das ist richtig – aber je öfter du einen zeichnest, desto eher kriegt er einen Charakterkopf.
Merkel nimmt eine besondere Rolle ein, du hast sie tausendfach gezeichnet. Was wird dir an ihr fehlen?
Sie wird mir als Person fehlen, und als Figur in meinen Zeichnungen. Politisch vertritt sie zwar eine andere Richtung als ich, aber auch als Politikerin werde ich sie vermissen. Mir ist persönlich so jemand lieber, die sich zurücknimmt, als jemand wie Schröder. Aber ich habe eigentlich allen, die abgetreten sind, als Zeichner ein bisschen hinterhergeweint. Bei Merkel wird das ganz stark. Bei Trump sicher auch – bei dem würde ich das aber gerne in Kauf nehmen.
Welcher ihrer potenziellen Nachfolger wäre aus Karikaturistensicht besonders interessant?
Als ich mal die potenziellen Nachfolger zusammen gezeichnet habe, habe ich gemerkt, dass mir Spahn am besten gefiel. Aber Söder ist auch kein Problem. Und Merz, naja, den habe ich schon oft gezeichnet. Finde ich eher langweilig. Wer relativ schwierig wäre, ist Röttgen.
Wie sieht der Arbeitstag des Karikaturisten aus?
Karikaturisten haben sehr unterschiedliche Arbeitstage. Die meisten stehen früh auf und gucken Nachrichten, im Fernsehen oder im Internet. Dann machen sie Entwürfe und schicken die ihren Zeitungen, woraufhin die Redaktion dann mit ihnen in Kontakt tritt. Bei mir ist das anders.
Wie denn?
Ich schicke dem Tagesspiegel das fertige Produkt, das wird vorher nicht groß durchgesprochen. Vor Corona habe ich das immer bis 16.30 Uhr geschickt, jetzt bis 16 Uhr. Ich mache mir oft schon in der Nacht vorher Gedanken. Da ist aber immer das Risiko, dass das Thema am nächsten Tag schon wieder veraltet ist. Nach dem Aufstehen gucke ich in alle wichtigen digitalen Portale – Tagesschau, Spiegel, Zeit, Tagesspiegel und so weiter – und sehe, welche Themen angesagt sind. Es ist ja bei Karikaturen wichtig, dass der Betrachter weiß, worum es geht. Sonst muss man alles nochmal erklären, dann wird die Karikatur langweilig. Sobald ich mich für ein Thema entschieden habe, setze ich mich hin und überlege mir etwas. Für die Ausarbeitung von der Idee bis zur fertigen Karikatur brauche ich etwa zwei Stunden. Und dann kommt noch dazu, dass man am Tag um die 50 E-Mails bekommt, die man beantworten muss.
Von wem zum Beispiel?
Es schreiben viele Schüler, die müssen morgen einen Vortrag über die Karikatur von gestern halten. Die fragen mich: Können Sie mal erklären, was Sie damit gemeint haben? Wenn sie nett fragen, antworte ich ihnen auch.
Und wie ist die sonstige Resonanz, von Lesern oder karikierten Politikern?
Von den Betroffenen bekomme ich keine Resonanz. Von Lesern erhalte ich viele Briefe über den Tagesspiegel, die ich auch beantworte, wenn es nicht nur Beschimpfungen sind. Aber so oft kommt das nicht vor – das war vorübergehend anders, als ich auf Facebook war. Aber die Hürde, mich per Brief oder E-Mail zu beschimpfen, ist für die meisten wohl doch ein zu großer Aufwand.
Neben Merkel hast du dich in den vergangenen Jahren viel mit Donald Trump beschäftigt, der bei dir auch zeichnerisch ein Alleinstellungsmerkmal hat: Es ist Tier und Mensch in einem – wieso?
Das kam über die Assoziation mit Donald Duck. Dann kamen noch Themen wie Zeitungsente hinzu, Stichwort „Fake News“, oder auch „Schnattern wie eine Ente“. In der Nacht, als er ins Amt eingeführt wurde, habe ich mal probiert, ihn so zu zeichnen. Das hat mir gefallen, dabei blieb es dann. Anfangs gab es viele Anfeindungen, das könne man so nicht so machen, das entspreche ihm nicht – aber inzwischen haben sich alle Leute, zumindest soweit mir bekannt ist, daran gewöhnt. Das ist jetzt mein Trump.
War das eine Reaktion darauf, dass Trump auch für Karikaturisten ein so ungewöhnliches Objekt ist, dass man da zu drastischeren Stilmitteln greifen muss als ihn nur als Menschen darzustellen?
Nein, zumindest nicht bewusst. Es gibt ja in Ländern wie England durchaus die Tradition, Politiker in Karikaturen als Tiere darzustellen. Und Boris Johnson zeichne ich immer als Clown…
Gerade diese beiden Politiker benehmen sich ja in der realen Welt fast schon fertig karikiert, sodass es für Karikaturisten schwer sein dürfte, sie in ihrer Lächerlichkeit noch lächerlicher zu machen…
Ja, unbedingt. Früher hat man einen Witz gemacht und dachte: Das kann jeder als Ironie erkennen, das ist völlig unwirklich. Heutzutage muss man aufpassen, dass solche Politiker nicht am nächsten Tag genau diesen Spruch von sich geben oder etwas im Ernst tun, was am Vortag noch ein Witz war. Satire muss inzwischen immer noch mehr übertreiben als früher, um die Realität zu überspitzen – wir haben eine große Aufgabe.
Wie sehr leidest Du am Gegenstand Deiner Arbeit, von Trump bis zu Themen, die Dir offensichtlich persönlich wichtig sind, von Flüchtlingsschicksalen und sozialer Ungerechtigkeit bis zu politischer Gewalt?
So wie wahrscheinlich viele Leute angesichts dieser Welt und wie sie sich entwickelt leiden. Dass man zum Beispiel das ganze Flüchtlingselend im Mittelmeer einfach so hinnimmt und Rettungsschiffe nicht rausfahren lässt, um Leute ertrinken zu lassen – an so etwas leide ich. Und das ist schwer zu zeichnen. Denn man zeichnet ja eher etwas, über das man sich lustig macht – und da wird’s dann oft zum Schwarzen Humor, manchmal liegt man auch daneben. Ich kann auch ganz schlecht Blut zeigen, Verletzungen, Mord und Totschlag – das geht meistens gar nicht.
Wie schafft man es, trotzdem nicht zynisch zu werden und sich seine positive Sicht auf die Welt nicht ganz verderben lassen?
Das liegt wahrscheinlich am Charakter. Ich will’s mir halt nicht verderben lassen. Ich kenne viele Menschen, die ich liebe und die toll sind. Da fällt es einem schwer, zynisch über die Menschheit herzuziehen – auch wenn es manchmal naheliegend scheint. Aber das entspricht nicht meinem Naturell.
Das Recht auf Karikatur gilt als Grundprinzip unserer Kultur. Dennoch gibt es immer wieder Debatten über ihre Grenzen. Wie hast du im Lauf der Jahre die Debatte über die Grenzen der Karikatur erlebt?
Mit den Grenzen ist es schwieriger geworden. Der kulturelle Raum, in dem man sich bewegt, ist nicht mehr so eng zu definieren. Früher hat man für Zeitungen gezeichnet, deren Publikum in etwa ein vergleichbares Niveau bei Kultur, Bildungsgrad und Kenntnis der Themen hat. Da wusste man oft automatisch, was man den Leuten zumuten kann. Heute zeichnet man durch die Verbreitung im Internet quasi für die gesamte Welt, wie wir auf drastische Weise durch die Mohammed-Karikaturen mitbekommen haben.
Welche Folgen hat das?
Ich versuche, mich nicht zu sehr einschüchtern zu lassen von den vielen Empörten, die es überall wegen jeder Kleinigkeit gibt. Aber in Zeiten von „Charlie Hebdo“ denkt man schon auch an eventuelle Folgen. Es gibt Themen religiöser Art, auch christliche, wo man immer überlegt: Bist du jetzt bereit, Gegenwind zu ertragen oder nicht…
Nimmt man sich da vorsichtshalber etwas zurück?
Man sollte es eigentlich nicht. Aber ich bin nicht mehr so kämpferisch wie vor zehn Jahren. Und manchmal hat man es einfach satt. Wenn ich zum Beispiel eine Zeichnung zu Israel mache, kommt sofort automatisch, egal was du zeichnest, der Antisemitismus-Vorwurf. Irgendwann willst du das einfach nicht mehr hören und zeichnest dann lieber was anderes.
Wie steht es um die Zukunft der politischen Karikatur? Es gibt wenige namhafte Zeichnerinnen oder Zeichner der jüngeren Generation…
Wenn wir wenigen verbliebenen politischen Karikaturisten mal zusammensitzen, stellen wir uns genau diese Frage. Aber wir haben auch keine Antwort darauf. Liegt es daran, dass kein Nachwuchs da ist? Liegt es an der digitalen Entwicklung und dem Bedeutungsverlust der politischen Zeichnung, sodass es von den Jüngeren niemanden reizt? Ich kann nur hoffen, dass es irgendwann wieder einen Aufschwung gibt.