Besuch in früherem Stasi-Gefängnis: Merkel: "Auch in der Freiheit braucht man Mut"
Bei ihrem Besuch der Stasiopfer-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen diskutierte Kanzlerin Angela Merkel mit ehemaligen Insassen und Schülern.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am heutigen Dienstag erstmals das ehemalige zentrale Untersuchungsgefängnis der DDR-Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen besucht. In der heutigen Stasiopfer-Gedenkstätte legte sie einen Kranz nieder. Bei ihrem Rundgang begleiteten sie Gedenkstätten-Direktor Hubertus Knabe, Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD).
Gilbert Furian, der als politischer Häftling in den Achtzigerjahren sieben Monate lang in Hohenschönhausen inhaftiert war, zeigte der Kanzlerin in einem der vielen Verhörzimmer, wie eine Befragung durch die Stasi-Offiziere ablief.
Nach Besichtigung der Zellentrakte, darunter auch des "U-Boot" genannten Kellers, sagte die Kanzlerin, der Ort zeige authentisch, wie brutal in der DDR die Menschenwürde verletzt wurde. „Es ist wichtig, dass dieses Kapitel der DDR-Diktatur nicht ausgeblendet und nicht vergessen wird.“ Bei einer anschließenden Diskussion mit ehemaligen Häftlingen und Schülern sagte Merkel aber auch: "Heute wird immer so leichtfertig über den Mut der DDR-Bürger gesprochen. Dabei braucht man auch in der Freiheit Mut."
Merkel berichtete den Gymnasiasten aus Neuwied in Rheinland-Pfalz, dass sie selbst ein einziges Mal Kontakt mit der Stasi gehabt
habe. Sie hatte sich als junge Physikerin an der Universität um eine Stelle beworben, als versucht wurde, sie als IM anzuwerben. Merkel habe aber eine Ausrede benutzt, die ihre Eltern ihr schon früh eingeimpft hatten: Sie könne kein Geheimnis für sich behalten, sondern würde immer alles weiter erzählen. Danach sei sie nie wieder von der Stasi behelligt worden.
Die Bundeskanzlerin fragte die Schüler nach ihren Kenntnissen über die DDR. "Dass es so krass war, habe ich erst in den letzten Tage verstanden", sagte ein Schüler, und ein Mädchen ergänzte: "Wir haben erst jetzt erfahren, dass Häftlinge gefoltert und erpresst worden sind."
Im Diskussionskreis war auch Manfred Haferburg, der als einer der letzten Gefangenen in Hohenschönhausen saß. Der Atomingenieur wurde im Mai 1989 in einem Zug von Prag nach Nürnberg verhaftet, als er versuchte, aus der damaligen CSSR in den Westen zu flüchten. Er war zunächst in Pilsen inhaftiert, im September 1989 kam er nach Hohenschönhausen. Nach der Wende, am 1. November 1989, wurde er mit verbundenen Augen in ein Auto gesetzt und auf offener Straße in Köpenick aus dem Fahrzeug geworfen. Haferburg sagte: "Es gab Solidarität in der DDR. Aber nicht wegen des Systems, sondern trotz des Systems."
"Wir hatten kein Stück Freiheit", sagte Zeitzeuge Uwe Hädrich, der von September bis Dezember 1989 in Hohenschönhausen inhaftiert war.
Das Gefängnis in der Genslerstraße 66 wurde 1951 von der Stasi übernommen. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik D
eutschland am 3. Oktober 1990 wurde die Anstalt geschlossen. Bekannte Häftlinge waren etwa der Dissident Rudolf Bahro, die DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley und der Schriftsteller Jürgen Fuchs.
Rund 250.000 Besucher, mehr als die Hälfte von ihnen Schüler, kamen im Jahr 2008 in die Gedenkstätte, in deren Erhaltung und Ausbau seit ihrer Einrichtung 1994 rund 11,5 Millionen Euro von Bundesregierung und Land Berlin investiert wurden. Die Besucher werden in der Regel von ehemaligen Häftlingen durch das Gefängnis geführt und von ihnen über die Haftbedingungen und Verhörmethoden des DDR-Staatssicherheitsdienstes informiert.
Merkels Besuch der Gedenkstätte liegt ganz bewusst kurz vor einem historischen Datum - nämlich dem 20. Jahrestag des „Anfangs vom Ende der DDR“, wie es die Kanzlerin in ihrer aktuellen Videobotschaft im Internet formuliert. Am 7. Mai 1989 gelang es DDR-Bürgerrechtlern, während der Kommunalwahl in vielen Lokalen die Auszählung der Stimmen zu kontrollieren - und Wahlfälschungen bekannt zu machen.
Der kultur- und medienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Christoph Waitz, hatte Merkel im Vorfeld aufgefordert, "endlich auch die Stasi-Vergangenheit des Deutschen Bundestages und aller Ministerien" erforschen zu lassen. Inoffizielle Mitarbeiter seien nicht nur ein ostdeutsches Phänomen gewesen. Waitz rief die Kanzlerin in einer Mitteilung dazu auf, ein Forschungsprojekt anzuschieben, das die Verstrickung westdeutscher Politiker zwischen 1949 und 1990 untersucht. (mit dpa, J.O.)