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Ich bin ein BERLINER (75): "Mein erster Kuss unterm Fernsehturm"

Daniel Krause war Punk, saß im DDR-Knast und erlebte die Wende wie im Rausch. Heute ist er Berlins bekanntester Tätowierer. In unserer Serie "Ich bin ein Berliner" spricht er von ersten Küssen, ersten Tattoos - und einem ersten blauen Auge.

Ich bin ein Berliner Urgestein, geboren wurde ich in Pankow. Meine Jugend habe ich auf dem Alexanderplatz verbracht, als Punk. Irgendwann wurde mir verboten, mich dort aufzuhalten. Heute kaum zu glauben. Nur weil man bunte Haare hatte, also nicht so aussah wie die anderen, musste man den Platz verlassen. Ich durfte auch nicht in den Kulturpark. Im Osten war man die FDJler gewöhnt, die mit ihren Nelken gewunken haben ... wir passten da nicht rein.

In unserer Clique waren wir alle Künstler-Kinder. Wir fanden das Regime scheiße. Da war ein Feind, gegen den wir kämpfen konnten. Aber wir wussten damals gar nicht, wie gefährlich das war, wie schlimm der Staat sein konnte. Mit 18 Jahren musste ich dann in den Knast, nach Rummelsburg. Alle zwei Tage durfte ich raus auf den Hof, ein Mal im Monat durfte ich Besuch empfangen, da kam meine Mutter.

Dann fiel die Mauer, mich hatten sie erst drei Tage zuvor raus gelassen. Dass das passieren würde, davon hatten wir im Knast nichts mitbekommen. Ich bin mit Hausschuhen los, überall waren Menschen. Mit einem Kumpel bin ich Richtung Kudamm, da haben wir drei Tage lang gefeiert. Aber wir trauten dem Ganzen nicht, also versteckten wir uns beim Vater eines Freundes in Neukölln. Wir dachten wirklich, dass die uns verarschen.

Im Rückblick muss ich sagen, dass meine Jugend - trotz DDR und so - toll war! Vor allem wegen des Alexanderplatzes: Meinen ersten Kuss habe ich unterm Fernsehturm bekommen, mein erstes blaues Auge übrigens auch. Aber erst viel später, mit 38, habe ich es geschafft, hoch zu fahren. Und auch nur, weil ein Freund aus Los Angeles zu Besuch war, er fragte: Sieht man von da oben eigentlich deinen Laden?' Ich konnte ihm keine Antwort geben. Also fuhren wir zusammen hoch.

Wir Berliner vergessen oft, wie schön diese Stadt ist. Alles ist hektisch, wir leben in Hektik. Wir sollten viel mehr hinsehen.

Ich bin seit 15 Jahren Tätowierer, zu dem Job bin ich eher durch Zufall gekommen, über einen Freund. Ich war schon lange vorher tätowiert: Mein erstes Tattoo war eine Mini-Rose auf der Schulter, die war ganz schlecht gestochen. Das hatte ich mir mit 16 machen lassen. Von meiner Mutter bekam ich dafür eine Schelle!

Daniel Krause, 44, Tätowierer aus Mitte: "Berliner Urgestein"
Daniel Krause, 44, Tätowierer aus Mitte: "Berliner Urgestein"
© Röhlig

Vor 50 Jahren - am 26. Juni 1963 - hielt John F. Kennedy seine berühmte Berliner Rede. Hier erzählen 100 Berliner, was ihnen diese Worte bedeuten - und wie sie die Stadt heute erleben. Siemens unterstützt das Tagesspiegel-Projekt. Alle bisher erschienen Videos zu der Serie "Ich bin ein Berliner" finden Sie unter: www.tagesspiegel.de/berliner

Jana Gioia Baurmann, Marc Röhlig

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