„Stop Putin, stop war“: Mehrere hundert Menschen demonstrieren vor russischer Botschaft in Berlin
Rund 600 Menschen nahmen an der Demo teil. Ukrainer in Berlin schauen mit Sorge auf die Heimat. Der Senat stellt sich auf ukrainische Kriegsflüchtlinge ein.
Rund 600 Menschen haben vor der russischen Botschaft in Berlin gegen die Ukraine-Politik von Präsident Wladmir Putin demonstriert. Auch SPD-Chefin Saskia Esken und der Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Linke) nahmen an der Demo teil. Die Resonanz bei den Protesten war größer als erwartet, angemeldet waren bei den zwei Demonstrationen zunächst insgesamt 150 Teilnehmer.
„Der Kriegszustand ist nichts Neues für uns, er dauert seit acht Jahren an“, sagte eine Organisatorin der Protestaktion. „Wir sind froh, dass der Westen der Situation jetzt mehr Aufmerksamkeit schenkt und Russland als Aggressor wahrnimmt."
Die Demonstranten schwenkten die Flagge der Ukraine und riefen „Stop Putin, stop war“ sowie „Raus aus Donbass“. Auf Plakaten wurde die Ampel-Koalition dafür kritisiert, nur Helme an die Ukraine geliefert zu haben. Auch Tilman Kuban, Vorsitzender der Jungen Union, nahm an der Demo teil. „Es braucht aus Europa ein klares Signal der Entschlossenheit.“ Dazu gehörten auch Sanktionen, um „Russland in die Schranken zu weisen“.
Aufgerufen zur Demo hatte die Gruppe „Vitsche“. Das ukrainische Wort „Vitsche“ steht für eine Versammlung von Menschen, die sich über öffentliche Angelegenheiten beraten.
Die Gruppe junger Ukrainer:innen demonstriert seit Ende Januar regelmäßig gegen die russischen Aggressionen. Sie fordern mehr Hilfe für die Ukraine.
Mit Bestürzung hat Berlins ukrainische Community auf die Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin reagiert, die ostukrainischen Gebiete Donetsk und Luhansk als unabhängige Volksrepubliken anzuerkennen. „Putins Rede gestern Abend war voller Hass gegen mich und mein Volk, und niemand außer meinen ukrainischen Freunden schien sich darum zu scheren", sagte die 20-jährige Mariia am Dienstag dem Tagesspiegel. „Als Ukrainerin im Ausland zu sein, fühlt sich gerade sehr einsam an.“
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Auch Anna Rokitta ist verzweifelt. Sie kommt aus Donetsk, lebt aber seit mittlerweile 13 Jahren in Deutschland. „Meine Familie hat seit 2014 sehr gelitten, mein Vater wurde sogar vom russischen Militär als Geisel genommen“, sagte sie. Rokitta würde ihre Familienangehörigen gerne nach Deutschland holen, doch die betonten immer wieder, sie wollten nicht fliehen, ihre Heimat nicht im Stich lassen. „Die sagen zu mir: Wir werden für unser Land kämpfen – selbst wenn es nur mit Stöcken und Küchenmessern ist.“
Rokitta würde gerne in die Ukraine fahren, um zu helfen – doch sie hat vor Kurzem einen Sohn bekommen, kann ihn nicht alleine lassen. Ihre Eltern konnten den Enkel aufgrund der Pandemie noch nicht kennenlernen. „Und jetzt habe ich Angst, dass sie das nie tun werden“, sagte Rokitta.
Auch Oksana macht sich Sorgen um ihre Familie in der Heimat. Die 33-Jährige kommt aus der Zentralukraine, hat lange in Kiew als Redakteurin gearbeitet. Vor acht Jahren kam sie der Liebe wegen nach Berlin. „Ich bin wütend auf die Welt, die Regierungen anderer Länder, die von Anfang an eine zu nachsichtige Haltung gegenüber Russland eingenommen haben“, sagte sie. Am Abend wolle sie zu der Kundgebung vor der russischen Botschaft gehen. „Im Moment ist es das einzige, das ich tun kann.“
Berlins Integrationssenatorin hält Fluchtbewegung für möglich
Unterdessen stellt sich Berlin schon auf ukrainische Kriegsflüchtlinge ein. Integrationssenatorin Katja Kipping (Linke) sagte dem Tagesspiegel, der Konflikt könne eine enorme Fluchtbewegung zur Folge haben. „Deutschland sollte sich darauf einstellen, dass wir in absehbarer Zeit auch hier humanitäre Aufnahmekapazitäten bereitstellen müssen.“ Gesteuert werden müsse die Aufnahme aber vom Bund. „Die Bundesregierung ist gefordert, möglichst schon jetzt vorausschauend tätig zu werden und hier koordinierend zwischen den Bundesländern zu handeln“, sagte Kipping.
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In der Integrationsverwaltung arbeite man an einem Lagebild und ermittle die möglichen Szenarien bezüglich der zu erwartenden Fluchtbewegungen, sagte ein Behördensprecher. Das Lagebild könnte sich unterdessen schnell ändern, weil Ukrainer:innen ohne Visum in die EU einreisen dürfen. Schon ohne etwaige Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind die Plätze in Berliner Geflüchteten-Unterkünften knapp.
Etwa 1000 Flüchtlinge kommen pro Monat nach Berlin
Bereits im Januar hatte Senatorin Kipping davor gewarnt, dass trotz mancher Neueröffnung schon im März alle Unterkünfte voll sein könnten. Die Sozialverwaltung geht von etwa 1000 Geflüchteten aus, die jeden Monat in Berlin ankommen – Ukrainer sind dabei noch nicht eingerechnet.
Der Sprecher des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten, Sascha Langenbach, hatte dem Tagesspiegel im Januar gesagt, die Nachrichten aus der Ukraine beobachte er mit professioneller Sorge. Die Planung der Berliner Unterkünfte müsse immer auch Luft für schnelles Handeln lassen. „Von Odessa fliegen Sie zwei Stunden nach Berlin. Das ist ganz schön schnell.“
"Berlin steht an der Seite der Ukraine"
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat sich angesichts des Aufmarsches russischer Truppen in der ukrainischen Grenzregion besorgt gezeigt. „Die damit verbundene Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Doneszk sind schwerwiegende Brüche des Völkerrechts“, teilte Giffey am Dienstag mit. „Berlin steht an der Seite der Ukraine.“
Sie fühle mit den Menschen in der Ukraine und teile die Sorgen und Ängste der vielen tausend Berlinerinnen und Berliner mit ukrainischen Wurzeln. „Und ich denke auch an die Russinnen und Russen in Berlin, die sich Frieden in Russland und in der Ukraine wünschen.“ Die Integrität und Souveränität der Ukraine sei zu achten und zu schützen.
Der russische Präsident Putin hatte am Montagabend bekanntgegeben, die von russischen Separatisten kontrollierten Teile der Regionen Donetsk und Luhansk als unabhängige Republiken anzuerkennen. Zudem hatte er einen Einmarschbefehl erlassen. Augenzeugenberichten zufolge befinden sich bereits russische Soldaten auf ukrainischem Gebiet.