Tauentzienstraße: Mehr Stein als Sein
Zwei Millionen Euro hat die Neugestaltung der Tauentzienstraße gekostet. Entstanden ist ein trister Mittelstreifen, Platz hat dort eigentlich keiner so recht. Und für Bänke hat das Geld auch nicht gereicht. Nun sind selbst die Architekten unzufrieden.
Berlins Stadtplaner träumen, wenn es an die großen Straßen der Hauptstadt geht, von Boulevards, Alleen gar, und dem Flaneur sei bitte nichts zu schwör. Als Vorbild gilt seit mehr als hundert Jahren Paris, das stolzeste Selbstbild aber liefern Unter den Linden – wenn deren Bäume nicht gerade U-Bahnbaumäßig abgehackt sind – und der Kurfürstendamm. Mit zum Bild gehören da die begrünten Mittelstreifen. Straßenmitten, die urberlinisch auch Damm heißen: „Jehn wa mal übern Damm!“ Solche Mitteldämme sind tatsächlich eine schöne Berliner Eigenart. Paris hat sie nämlich nicht. Nicht einmal auf den schier endlos breiten Champs-Élysées. Auch in London, Wien, München oder Mailand gehören solche Unterteilungen von Pracht- und Geschäftsstraßen nicht zum Bild. Eine grandiose Ausnahme, mit ihren Cafés, Blumenständen und Straßenkünstlern, ist nur die Mittelpromenade der Ramblas von Barcelona.
Jetzt macht die Tauentzienstraße Furore. Sie ist eigentlich keine halbe Meile lang, gut 500 Meter, aber noch immer ganz Berlins meistbesuchte Einkaufsmeile. Geteilt wird auch die durch einen ausladenden Mittelstreifen. Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein hat sich erst unlängst über dessen Neugestaltung empört: eine Reihe riesiger grauer Granitwannen mit struppigen Eiben gefüllt. Vielen Lesern und Passanten gefällt das genauso wenig. Doch über den Mittelstreifen motzen außer den Autofahrern, die sich ohnehin mehr Fahrbahnen wünschen, auch die Gewerbetreibenden. Gerade jetzt, in der Vorweihnachtszeit, herrscht hier zwischen Breitscheidplatz und dem KaDeWe am Wittenbergplatz vor den Läden heftiges Schieben und Drängen. Also hätten man gerne breitere Gehwege. Und für die Radfahrer, die am U-Bahnhof Wittenbergplatz die vergessenen Fahrradständer beklagen, fehlen überhaupt eigene Radwege.
Was hier passiert ist, kann als Gesamtberliner Lehrstück gelten. Erst gräbt die BVG jahrelang, um die U-Bahndecken und allerlei sonst zu sanieren. Dann wird auf der dicht frequentierten Straße eine weitere Baustelle eröffnet, die mit ortsüblichen Verzögerungen einem aufwendigen „Verschönerungsprojekt“ dienen soll. Zwar ist man damit bis Adventsbeginn an der Mündung zum Kurfürstendamm und zum Breitscheidplatz nicht ganz fertig geworden, doch die granitgraue Mittelstreifenanlage mit den tristen Zwerg-Eiben, ohne Beleuchtung und Sitzbänke, präsentiert auf einem der belebtesten Areale der Stadt schon jetzt: die Imitation eines Friedhofs.
Nicht zuletzt wegen des teils mangelhaften und spät gelieferten, aber angeblich preisgünstigen, chinesischen (!) Granits hat das Ganze fast zwei Millionen Euro gekostet, ungefähr zu gleichen Teilen von der BVG und der Stadt getragen. Verantwortlich sind der federführende Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, die mitwissende Senatsbaudirektion und das unterstützende „Regionalmanagement City West“, eine Berliner Marketing-Initiative. Deren Vertreter saßen auch in einer etwa 15-köpfigen Jury, die, von noch einmal so vielen Beratern begleitet, den Wettbewerb für die neue Tauentzien-Gestaltung Anfang 2010 entschieden hat.
Man könnte nun meinen, das Friedhofsgrün sei nur Abdecker für den Winter. Bis im Frühjahr dann tausend Blumen blühen. Der Bezirk indes rühmt die jetzige Anlage als „pflegeleicht“. Auf die Frage, ob sich da noch etwas korrigieren ließe, sagt Bezirksstadtrat Marc Schulte, der Chef des Charlottenburger Amts für Stadtentwicklung: „Für die Planung war ich nicht verantwortlich, ich saß auch nicht in der Jury, das war mein Vorgänger.“ Schulte findet die Gestaltung prinzipiell „okay“, hätte aber trotzdem nichts gegen ein paar Blumen und bessere Sitzgelegenheiten. „Wenn das die anliegenden Gewerbetreibenden wünschen und bezahlen“, sagt er. „Allerdings gilt für den Entwurf auch das Urheberrecht.“
Nach dem Plan der Garten- und Landschaftsarchitekten des Berliner Büros „Lützow 7“ sind die Eiben Dauergewächse. Die geäußerte Kritik ficht Jan Wehberg, Leiter von „Lützow 7“, nicht an: „Wir haben nur Hecken-Bepflanzung vorgesehen, die Eiben waren eine Wahl des Auftraggebers.“ Die Eiben seien jedoch ordentliche Gewächse. „Wenn sie mal richtig angewachsen sind und geschnitten werden, sieht das harmonischer aus als heute.“ Weniger trist, sagt Wehberg, wäre die Wirkung auch, wenn aus Kostengründen nicht die vorgesehene LED-Beleuchtung der Beete gestrichen worden wäre – ebenso wie bessere Sitzgelegenheiten. Jetzt gibt es als Unterlage nur billige, kalte Plastikfolien auf den nackten Kanten der Granitwannen.
Wehberg, ein renommierter Stadtlandschaftsarchitekt, dessen Büro beispielsweise auch den Garten des Kanzleramts und die Grünanlage vorm Reichstag gestaltet hat, klagt seinerseits über „Funktionäre statt eigenverantwortlicher Bauherren“ als Partner bei kommunalen und staatlichen Projekten, und wundert sich: „Berlin, der Bund und der Bezirk Mitte sind offenbar zu arm, um vor dem deutschen Parlament noch Rasen und Hecken zu schneiden und angemessen zu pflegen.“ Auch die Behelfscontainer der Besucherschleusen vor dem Reichstag sind seiner Meinung nach „vom hässlichen Provisorium zur Dauereinrichtung geworden“.
Fußgänger hätten gern breitere Wege gehabt, Fahrradwege gibt es keine
Die Hauptstadt taumelt dahin. Sie möchte die Kriegs- und Nachkriegszerstörungen in Ost und West beheben und wieder mehr stadtbürgerliche Identität stiften. Doch geschieht das oft ganz geschmacksunsicher. Ausgerechnet den Tauentzien hatte vor 150 Jahren Preußens Gartenbaugenie Peter Joseph Lenné angelegt. Postkarten um 1900 zeigen eine Idylle, gesäumt von großbürgerlichen Wohnhäusern. Das kann man auf einer Shoppingmeile von heute nicht mehr erwarten. Aber auch vor der jetzigen Umgestaltung gab’s an der geschäftigen Straße noch Blumenbeete und bequeme Bänke.
Tatsächlich will man sich heute inmitten des Verkehrs gar nicht aufhalten, die Fußgänger sind hier keine Flaneure, sie streben zu den Schaufenstern und in die Geschäfte. Darum hätten sie gerne breitere Gehwege gehabt, und ohne eine so monoton monumental bepflanzte und versteinerte Straßenteilung wäre auch für die Fahrradfahrer noch reichlich Platz gewesen.
Berlin tut sich selbst bei eher einfachen urbanistischen Fragen plan- und kopflos schwer. So will man immer mehr „Inseln“ im Verkehr schaffen. Und produziert durch aufwendige Mittelstreifen, Straßenteiler, Haltestellen nur mehr Staus, Abgase, Ärger. Beispiele sind in Mitte, auf der zweiten großen Einkaufsmeile, die wechselnden Verschmälerungen der Friedrichstraße, bis hin zum je einspurigen Verkehr durch übergroße Straßenbahninseln zwischen Friedrichstadt-Palast und der Kreuzung Hannoversche Straße/Torstraße. Neuer Mittelstreifen-Unfug droht womöglich auch am offenen Ausgang der Linden gegenüber dem künftigen Stadtschloss.
Eine Insel wollte wiederum der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf mit der Umgestaltung des Lehniner Platzes am Rand des oberen Kurfürstendamms schaffen. Gegenüber dem Mendelsohnbau der Schaubühne wurden die dort ohnehin raren Parkplätze gestrichen, stattdessen ist nun alles zugepflastert und auf dem von grauen Stahlhelm-Laternen neu gesäumten Leerraum ein riesiges schwarzes Steinrechteck verlegt.
Das soll seit dem Frühjahr 2012 ein Wasserbassin sein, sieht aber aus wie eine monströse Grabplatte – und wirkt als Affront gegen den rund und leicht geschwungenen Mendelsohnbau. Vor allem bedeutet es für spielende Kinder wegen der glatten Kanten eine ständige Sturzgefahr. Dies und eine hier direkt neben dem Ku’damm-Verkehr von niemandem genutzte Boule-Bahn hat als Entwurf des Berliner Büros für Landschaftsarchitektur Häfner/Jimenez gut 750 000 Euro gekostet. Gleichwohl ist Charlottenburg-Wilmersdorf so arm, dass inzwischen für gefällte Bäume von den privaten Anliegern vorm Nachpflanzen 500 Euro erbeten werden. Stadtentwicklung kann statt Entwicklung auch Verwirrung sein.
Friedhof und Einkaufsmeile, Boulevard und Grabplatte. Für den Verkehr und den Flaneur ist’s ein Malheur.
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