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Die Einfachheit begeisterte. Tegel wurde für die kurzen Wege geliebt.
© dpa

Zum Abschied von Berlins letztem Flughafen: Man kann TXL lieben - und sich trotzdem davon trennen

TXL war Berlins Tor zur Welt. Am Sonntag ist Schluss – zum Glück! Tegel ist der Preis für den BER und hat sich den Ruhestand verdient. Ein Essay.

Ist das nicht zum Heulen? Im Oktober 2008 beendete der Flughafen Tempelhof den Flugbetrieb. Zwölf Jahre später wird jetzt auch in Tegel Schluss sein. Berlin verliert sein letztes Tor zur Welt. Die Stadt, deren Westteil nur dank der Flughäfen überlebte, die aber für die Ost-Berliner Symbole der Freiheit waren, hat keinen Airport mehr. Start und Landung künftig nur noch in Brandenburg.

Doch Deutschland ist inzwischen eins, Mauern und Grenzen verschwanden, da treibt mir der Abschied vom Flughafen Tegel nicht die Tränen in die Augen. Man kann eine innere Bindung zu diesem Flughafen haben – bitte glauben Sie doch nicht, dass es mir da anders geht als den meisten, vor allem West-Berlinern! –, ohne deswegen jetzt ein großes Lamento anzufangen. Ich bin kein Verräter. 

Aber bei allen nostalgischen Gefühlen freue ich mich auf etwas Neues. Ich bin gespannt, endlich vom neuen Flughafen fliegen zu können, von ihm Besitz ergreifen zu dürfen. Diese Neugier ist stärker als der kleine Schmerz, den ich angesichts der Tatsache verspüre, dass in wenigen Tagen in Tegel Schluss sein wird mit dem Luftverkehr.

Ja, Tempelhof, von wo ich schon oft, das erste Mal vor 65 Jahren, geflogen bin, das hatte noch jenes Dröhnen der Motoren, von dem Reinhard Mey so unvergleichlich gesungen hat. Und Tegel, mit dem Anflug über die grünen Wälder, gleich, ob der nun von Westen, über Spandau oder von Osten erfolgt, mit dem Erstaunen jener, die als Passagiere zum ersten Mal den Anflug auf TXL erlebten: Das ist keine Stadt, wir landen ja im Wald! Ich werde es vermissen.

Da wird es mir nicht anders ergehen als den Menschen, die in der Einflugschneise leben. Die sich Jahr für Jahr über den Fluglärm ärgern, diesen Krach, der ihnen Herz und Kreislauf kaputt machen kann, was ihre Ärzte besser wissen als sie selber. 

Und da ist auch kein Trost, dass die Flugzeuge in den vergangenen 30 Jahren so viel leiser geworden sind, denn nach der Wiedervereinigung durften PanAm und Deutsche BA nicht mehr lange ihre alten Krachkisten einsetzen, die sich außer in den Luftkorridoren nach Berlin nirgendwo mehr hätten in die Luft erheben dürfen.

[Endlich fertig! Aus der Dauerbaustelle BER wird ein internationaler Flughafen. Doch viele Probleme bleiben. Lesen Sie alle Beiträge zum neuen Hauptstadtflughafen auf unserer Themenseite.]

Die Sozialwohnungsmieter in Reinickendorf-Ost und die Glücklichen, die dort in Genossenschaftswohnungen leben, sind dennoch über das Ende von TXL traurig. Das kann nur verstehen, wer in den vergangenen Jahren erlebt hat, wie die Immobiliengeier die heruntergekommenen Mietblocks umkreisten. 

Wie sie ausrechneten, um wie viel man die Mieten erhöhen, zu welchem Quadratmeterpreis man hier Eigentumswohnungen verkaufen könnte. Rund um den Schäfersee und im Auguste-Viktoria-Kiez lieben sie ihren Flughafen, denn sein Lärm hilft, die Mieten erträglich zu halten. Sie haben Angst vor dem, was kommen könnte. Der Milieuschutz, den der Bezirk Reinickendorf durchgesetzt hat, wird hoffentlich das Schlimmste verhindern. Denn wohin sollten diese Herzensberliner denn ziehen in unserer weitgehend durchgentrifizierten Stadt?

Viele Jahr war Tegel für West-Berliner das Tor zur Welt.
Viele Jahr war Tegel für West-Berliner das Tor zur Welt.
© Kitty Kleist-Heinrich

Die wahre Geschichte des Flughafens Tegel, der Mythos von TXL, das begann während der Blockade West-Berlins durch die sowjetische Armee. Als klar wurde, dass Berlin nur aus der Luft versorgt werden konnte – und aus weltpolitischen Gründen auch so versorgt werden musste –, entstand in 90 Tagen die damals längste Start- und Landebahn Europas. 2428 Meter Strecke hatten die voll beladenen Transportmaschinen der Briten und Amerikaner, um nach der Landung zum Stillstand zu kommen. 

Es hat schon fast etwas Nostalgisches, dass eine der beiden Bahnen noch heute genauso lang ist. Die zweite, mit 3023 Metern, ist die, auf der aus Sicherheitsgründen die voll beladenen Urlaubsmaschinen in den Süden starten – oder besser gestartet sind, bevor die Corona-Pandemie den Traum vom Fliegen gerade in Tegel jäh beendete.

Die TXL-Geschichte, die uns heute noch rührt, begann mit einem jungen Architektenteam, das den Wettbewerb für den neuen Flughafen in Tegel gewann. Ohne Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Partner gäbe es das ganze Wunder Tegel nicht. Es war ihr erster großer Auftrag, und das Sechseck aus Beton, das sie entwarfen, bewundern wir heute noch ob seiner genialen Einfachheit.

[Adieu TXL: 46 Jahre flog Berlin auf Tegel, im November ist Schluss im Hexagon. Wir erinnern an Kofferberge, Prominenz im Provinz-Flair und schauen, wer in Zukunft im Berliner Norden landet. Die Themenseite TXL]

Ab und weg! Als es noch keinen Terrorismus und keine Bombenanschläge auf Flugzeuge gab, war das ein architektonischer Geniestreich. Mit dem Auto, dem Taxi oder dem Bus vorfahren, wenige Meter zum Gate laufen, Warteraum, und dann rein in den Flieger, direkt, ohne Buszubringer. Bis heute bewundern wir die kurzen Wege des Flughafens, in dem man auch bis zum letzten Tag nicht durch endlose Gänge in Duty-Free-Läden an Schnaps und Zigaretten vorbeidefilieren muss.

Am 23. Oktober 1974 wurde der Flughafen Otto Lilienthal eröffnet. 24 Millionen Passagiere gab es 2019, im letzten vollen Betriebsjahr, ein Mehrfaches von dem, was einmal geplant war. Alle zwei Minuten Maschinen. Toll! Tegel, unser Tor zur Welt. Obwohl es zum Flughafen keine Schienenverbindung gibt und das für die Air Berlin errichtete Terminal ein schauderhaftes Stück an Zweckarchitektur war. Aber, bitte sehr: Es hat funktioniert.

Ein Flughafen in Sperenberg erscheint heute gruselig

Ob man das vom neuen Flughafen BER auch bald sagen wird? Immerhin steht am Anfang der komplizierten Baugeschichte dieses Start- und Landeplatzes ja auch die Entscheidung, Tegel zu schließen. Da hängt alles mit allem zusammen. Schon vergessen bei den Tegel-Fans? 

Eigentlich deuteten wenige Jahre vor der Jahrtausendwende die Zeichen eher auf einen Flughafenneubau im fernen Sperenberg. Fern von der Stadt, 24-Stunden-Betrieb, Weltflughafen – das waren die Visionen der Politik. Stellen wir uns mal vor, wir hätten diesen Flughafen jetzt da draußen. Grauselig, nicht wahr?

Viel Tageslicht sorgt für eine gute Stimmung.
Viel Tageslicht sorgt für eine gute Stimmung.
© Kitty Kleist-Heinrich

Dass stattdessen das Votum für Schönefeld fiel, lag an den Brandenburgern. Die sprachen sich im Mai 1996 in einem Volksentscheid in beiden Ländern gegen eine Fusion mit Berlin aus. Worauf die Berliner Politik, darin kräftig vom Bund unterstützt, beleidigt erklärte: Wenn ihr uns nicht wollt, dann kriegt ihr auch den Flughafen nicht, der Berlin Arbeitsplätze gekostet und den Brandenburgern welche gebracht hätte.

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Natürlich gab es gegen den nun gewählten, stadtnahen Standort jede Menge Anwohnerproteste. Die wurden von den Flughafengesellschaftern mit dem Versprechen gekontert, man wolle zeitnah Tempelhof und Tegel schließen. Da würden dann viel mehr Menschen vom Fluglärm entlastet als im Umfeld des neuen Flughafens belastet. Das leuchtete dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein, es gab im Frühjahr 2006 sein Okay – und seitdem stand auch fest, was jetzt viele nicht wahrhaben wollen: Die Schließung von TXL ist der Preis für den Bau des BER.

Aber da war doch die Volksabstimmung 2017, bei der sich 56 Prozent der Berlinerinnen und Berliner für eine Offenhaltung von Tegel ausgesprochen hatten? Hätte die nicht alles auf Anfang stellen können? Ja, können schon, aber nicht müssen. 

Dazu hätten die Landesparlamente von Berlin und Brandenburg die bestehende Flughafenplanung ändern müssen. Taten sie aber nicht. Was die Tegel-Verteidiger zudem nicht wahrhaben wollen: Auch gegen eine solche Planungsänderung hätte es jede Menge Anwohnerproteste, etwa aus Reinickendorf, Pankow und Spandau gegeben, und Gerichtsentscheidungen durch alle Instanzen.

Reden wir also über die Zukunft, über die von Tegel. Warum haben so viele Berliner Angst vor dieser Zukunft? Weil Zukunft auch immer bedeutet, die Gegenwart loslassen zu müssen. Und da man in der Gegenwart auch immer an das denkt, was war, und die Vergangenheit sich im Zurückblicken stets verklärt, wird die Angst vor der Zukunft noch größer. Im Falle Tegel ist Zukunft erst einmal mit einem Verzicht verbunden. 

Zum TXL konnte man zur Not laufen

Das, was bald gewesen sein wird, ein funktionierender Flughafen, den hatte man. Ob der neue jemals so sein wird, so mit einem Heimatgefühl verbunden? Das glaubt doch keiner. Den BER wird man zwar auf dem Schienenweg erreichen können, aber der ist ja so weit weg, jwd eben, auf der Autobahn ewig Stau. Zum TXL konnte man zur Not laufen, wenn Taxifahrer oder BVG mal streikten. Aber wer läuft schon nach Schönefeld?

Und dann ist da noch die Grundskepsis gegenüber allen staatlichen Versprechungen. In Berlin weiß man, dass sich kaum etwas qualitativ positiv verändert, wenn der Senat mal wieder von Aufbruch und Plänen spricht. Wohnen, Schulen, Verkehr, Kitas, ist denn wirklich etwas besser heute als vor fünf Jahren? Ganz am Rande: Der Zweifel ist kein R2G-Phänomen. Früher war auch nicht alles besser. Erinnern Sie sich noch: Sparen, bis es quietscht? Da quietscht es heute noch…

In Tegel wird so viel versprochen. Eine Urban Tec Republic soll entstehen, eine Smart City, eine ökologische Siedlung für 10.000 Menschen, umweltschonend und stabil in Holzbauweise, Wohnen und Arbeiten eng beieinander und auch noch verträglich. Viel mehr Arbeitsplätze, als durch die Schließung von TXL wegfallen, wird es dort in zehn oder 20 Jahren geben. Ganz bald, noch zu unseren Lebzeiten werden wir es wachsen sehen.

Betrachten wir es doch mal so: Ohne Optimismus hätten die Berlinerinnen und Berliner nicht überlebt. Die im Ostteil der Stadt nicht den Sozialismus, die im Westteil nicht das Gefühl, irgendwie vom Rest der Republik nicht so richtig ernst genommen zu werden. Ein paar Tränen über den Verlust stehen uns zu. Und dann machen wir uns auf den Weg nach Schönefeld. Das neue Ding da draußen, der wohl letzte Flughafen, den Gerkan, Marg und Partner entworfen haben, auf das kann man als Berliner stolz sein. Na ja, und die Baugeschichte, die haben ja wir, wir Normalos, nicht versemmelt. Das waren andere. Aber darüber reden wir heute mal nicht.

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