Kältehilfe in Berlin: "Man braucht viele kleine Einrichtungen"
Ortrud Wohlwend ist die Stadtmissionssprecherin. Im Interview redet sie über Kraftakte bei der Kältehilfe.
Diese Kältehilfesaison bleibt unvergessen, sagen Sie – warum?
Dafür gibt es viele Gründe. Unsere vier Einrichtungen der Stadtmission haben mit mehr als 42 000 Notübernachtungen über die Hälfte aller Träger geleistet – in ganz Berlin waren es diesen Winter rund 82 000 Übernachtungen, ein neuer Rekord. Wir hatten teils eine Auslastung von bis zu 200 Prozent! Die Hilfe suchenden Wohnungslosen, viele aus Osteuropa, konnten in den zuletzt drei Notübernachtungen Lehrter Straße, Kopenhagener Straße und der nun wieder abgebauten Traglufthalle am Innsbrucker Platz schlafen.
Zudem boten wir im Nachtcafé in der City-Station zwanzig Plätze an. Eine weitere Herausforderung war, dass immer mehr Flüchtlinge in unsere Einrichtungen der Kältehilfe kamen, besonders am Wochenende, wenn die offiziellen Stellen für sie geschlossen waren. Obwohl wir nicht für Flüchtlingsfamilien ausgelegt sind, haben wir sie untergebracht. Es kamen 23 Familien mit 46 Kindern aus Syrien, Afghanistan oder Serbien zu uns, doppelt so viele wie zuletzt. Eine Notübernachtung nur für Flüchtlinge ist in der Kruppstraße in Moabit. Insgesamt hatten wir 3100 verschiedene Gäste (Vorjahr: 2355) aus 76 Ländern (58). Es wäre schön, wenn die Barmherzigkeit in ganz Berlin um sich griffe, um alle Bedürftigen unterbringen zu können. Man braucht viele kleine Einrichtungen.
Und Krankenwagenfahrer klingelten?
Ja, sie brachten pflegebedürftige Wohnungslose, die die Kliniken entlassen hatten, weil sie außer Lebensgefahr waren. Das sind auch Menschen mit Amputationen im Rollstuhl. Unsere Ehrenamtlichen haben sie dann gehoben, gewaschen und gewindelt, in unserer medizinischen Ambulanz Lehrter Straße, die ist ebenerdig. Ich wünsche mir, dass es wieder eine Krankenstation gibt für diese Menschen einer alternden Stadt.
Sogar Touristen halfen mit..
...ja, diese Ehrenamtlichen hat wohl der Himmel geschickt – beziehungsweise die „Vostel“-Initiative für Touristen, die Berlin anders kennenlernen wollen. Da haben sogar Spitzenköche am Herd gestanden, andere haben Obst geschnippelt. Sie alle wollten auf Augenhöhe ihren Beitrag als wertvolle Mitglieder der Gesellschaft leisten – unglaublich toll.
Zeigen Flüchtlinge und Obdachlose auch Dankbarkeit?
Manche Flüchtlingskinder malen Bilder mit „Danke, Berlin“, und die Eltern umarmen uns und weinen, wenn sie gehen müssen. Andere wurden stoisch und emotionslos, um das Erlebte ertragen zu können. Und wissen Sie was? Ich habe meinen ersten Handkuss von einem polnischen Obdachlosen bekommen.