Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Malchow: Wo die Seen Rätsel bergen
96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 53: Malchow.
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Wo das Ufer des Malchower Sees am schlammigsten ist, stieß ich auf einen Gedenkstein mit der geheimnisvollen Inschrift: „Hier starb der Kunstflieger Günther Fries, 30.5.1913 - 16.4.1934“. Während ich den Flugzeugen zuhörte, die im Landeanflug auf Tegel alle paar Minuten über den kleinen Waldsee hinwegdonnern, fragte ich mich, wer wohl dieser junge Mann war, den es hier kurz vor seinem 21. Geburtstag aus dem Leben riss.
Kein anderer Ortsteil hat so wenig Einwohner
Sein Name begegnete mir auf dem Malchower Dorffriedhof wieder. Das Grab des Fliegers war unscheinbar, es wäre mir wohl nicht aufgefallen, wenn ich den Namen des Verstorbenen nicht wiedererkannt hätte. Eine kleine, geflügelte Engelsfigur lag umgekippt auf dem Grabstein. Während ich sie aufrichtete, fragte ich mich, wer in Malchow wohl die Erinnerung an Günther Fries wachhielt.
Der winzige Ortsteil, der weniger Einwohner hat als jeder andere in Berlin, besteht im Wesentlichen aus einer einzigen Verkehrsader, der Dorfstraße, die von niedrigen Bauernhäusern gesäumt ist. Es gibt hier einen Metzgerei-Imbiss von der Art, wo man nach dem Essen nicht gefragt wird, ob es geschmeckt hat, sondern ob man satt geworden ist, einen Kfz-Mechaniker, der nach der Wende aus Reinickendorf zugezogen ist und sich das Vertrauen der Malchower Trabi-Fahrer nach eigener Auskunft hart erarbeiten musste, ein großes Anglergeschäft („Tauwürmer 1,50 €, Maden 0,50 €“) und ein kleines Wirtshaus.
Ganz am nördlichen Ende der Straße liegt der Trödelladen „Malchower An- und Verkauf“. Der Gebrauchtwarenhändler stellte sich als äußerst redseliger Typ heraus. Als ich ihn nach Günther Fries fragte, dem Kunstflieger, nickte er wissend. Fries habe in Malchow gelebt, erzählte er mir – bis zu jenem Tag, an dem sein Flugzeug in den Waldsee gestürzt sei. „Da liegt es wahrscheinlich immer noch. Wie so manches andere.“
Als sie auf rostige Munition stießen, zogen die Bagger ab
Der See sei eher ein Schlammloch, knapp unter der Wasseroberfläche liege metertiefer Morast. Zu DDR-Zeiten sei einmal versucht worden, das Gewässer auszubaggern, um einen Badesee daraus zu machen, doch als der Bagger im Matsch versank, habe man den Plan aufgegeben. „Nach der Wende kamen dann die Wessis und versuchten es noch einmal“, fuhr der Trödler fort, „mit Gott weiß was für Technik.“ Doch bald stießen die West-Bagger im Schlamm auf rostige Weltkriegsmunition. Der Plan wurde erneut aufgegeben.
Wir sprachen dann noch eine Weile über den Westen und den Osten, wie es in dieser Stadt so oft geschieht. Irgendwann erzählte mir der Trödler eine triste Geschichte, die sich in Malchow nach der Wende zugetragen hatte. Ein Wessi, dessen längst verstorbene Verwandte hier vor dem Krieg ein Haus besessen hatten, ließ sich das enteignete Grundstück rückübertragen. Dort stand allerdings inzwischen ein neues, zu DDR-Zeiten gebautes Haus. Der Wessi, der das Grundstück als Bauland weiterverkaufen wollte, zwang kurzerhand den Erbauer und Bewohner dieses Hauses, das eigene Heim auf eigene Kosten abzureißen. Als der Ossi damit fertig war, war er pleite, obdachlos und depressiv.
Ich verließ Malchow nicht in bester Stimmung.
Fläche: 1,54 km² (Platz 93 von 96
Einwohner: 554 (Platz 96 von 96
Durchschnittsalter: 46,7 (Berlin: 42,7
Lokalpromis: Paul von Fuchs (Preußischer Staatsminister), Günther Fries (Kunstflieger
Gefühlte Mitte: Dorffriedhof
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Diese Kolumne erschien am 17. März 2018 im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.
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