Berlin: Luxus an der Pferdekoppel
Der Mauerpark ist Berlins kleines Fleckchen Buntheit. Nun soll hier gebaut werden. Darüber empört sich nicht nur Prenzlauer Berg.
Kurz vor sieben droht die Eskalation. „Es kann doch nicht alles an einer Wortmeldung scheitern? Was ist das für eine Bürgerbeteiligung?“ Rainer Krüger, hochroter Kopf, ist außer sich. Rathaus Mitte, es tagt der städtebauliche Ausschuss des Bezirks. Dröge Sitzung. Doch bei TOP 5.3, „Mauerpark: Neuplanung Groth-Gruppe“, laufen die Dinge aus dem Ruder.
Worum geht es?
Eine Lappalie. Der Vorsitzende sperrt sich gegen die Ausweitung der Redebeiträge. Nur zwei Bürgerinitiativen sind eingeplant, doch auch die „Freunde des Mauerparks“ möchten reden. „Wir sind seit zehn Jahren aktiv“, ruft ihr Vertreter. Es wird laut. Der Ausschussvorsitzende sagt, er könne auch alle Beiträge verbieten lassen. Pfiffe. Buhrufe. Dann doch die Lösung. Der Vertreter der „Piraten“, ein gemütlicher junger Mann mit Sonnenbrille im Pullikragen, stellt seine Redezeit zur Verfügung. Aufatmen.
Worum also geht es?
Um die Bebauungspläne nördlich des Mauerparks. Auf dem Gelände, das drei Jahrzehnte Niemandsland zwischen DDR und West-Berlin war und seitdem mit Baracken eines Schrotthändlers und eines Gerüstbauers auskommt, sollen ab 2014 gut 500 Wohnungen entstehen.
„Luxuswohnungen“, präzisiert Rainer Krüger und schüttelt den Kopf. Krüger, 73, Geografieprofessor im Ruhestand, feiner Schnurrbart, runde Brille, sitzt, nun ganz ruhig, in seiner Wohnung am Falkplatz. Ein Neubau mit Traumaussicht. Schmeling-Halle, Fernsehturm, Zionskirche. Nicht wenige würden auch das hier, nun ja, als Luxus bezeichnen. „Wir hatten sehr viel Glück, dass wir die bekommen haben“, sagt Krüger. Die Reichen haben in Deutschland immer das Gefühl, sich für ihren Wohlstand entschuldigen zu müssen, ganz besonders die Reichen in Prenzlauer Berg. Das Haus war nicht mal fertig, da flog unten schon ein Stein ins Fenster.
„Wenn ich hier hinziehe, möchte ich mich auch einbringen“, sagt Krüger, Sprecher der „Bürgerwerkstatt Mauerpark fertigstellen“. Er sagt: „Wenn die Gentrifizierungswelle weiter in das Brunnenviertel schwappt, hat das mit sozialer Durchmischung nichts zu tun.“ Krüger spricht Gentrifizierung mit weichem G aus, wie im Englischen. „Menschen, die dort einziehen, werden von ihrem Einkommen, von ihrem ganzen Lebensstil her, einen Dreck tun, sich irgendwie mit dem ärmeren Brunnenviertel zu verbrüdern.“
Das Brunnenviertel liegt, von Krüger aus gesehen, auf der anderen Seite des maroden, triefenden Gleimtunnels, in Wedding. Hier wohnen Migrantenfamilien, verdienen die Leute weniger. Das Bauareal liegt auf Weddinger Grund. Hier formiert sich der Bürgerprotest gerade erst.
Die Teilung ist im Mauerpark längst überwunden. Auch an diesem Wochenende werden alte, neue und zeitweilige Berliner den Park mit Buntheit bevölkern. Mag sein, dass die East Side Gallery gerade das umkämpftere Fleckchen an der Mauer ist, länger gekämpft wird hier.
Im Süden wächst der Park. Flohmarkt und die Bar „Mauersegler“ dürfen bleiben, Joe Hatchiban wird weiter sein Open-Air-Karaoke veranstalten. Anders im Norden. Kurz vor der Sommerpause haben die Entscheidungsträger in Mitte eine Bebauung für 600 Wohneinheiten beschlossen. Der entsprechende städtebauliche Vertrag wurde von Mittes Bürgermeister Christian Hanke (SPD) und Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) der Bezirksverordnetenversammlung eilig zur Kenntnis vorgelegt und von der Groth-Gruppe im Dezember 2012 unterzeichnet.
„Eine Maulschelle vom Feinsten“, sagt Birgit Blank. Dieser hübsche Berliner Ausdruck zeigt, worum es auch geht: um das Verhältnis zwischen Bürger und Politiker. Von den Entscheidungsträgern in Mitte sei sie enttäuscht, sagt Blank. Sie sitzt im Gemeinschaftsraum der Jugendfarm Moritzhof, für den sie sich seit 1993 engagiert. Seit 2000 steht der kleine Stadtbauernhof direkt an der Bezirksgrenze – mit zwei Ponys, zwei Ziegen, drei Schafen und den Schweinen Uschi und Peppi. An Sommertagen kommen 150 Kinder, sagt Blank. Und ab 2017 kommen die Reichen.
Blank legt Bestimmtheit in ihre Stimme, doch es schwingt Unsicherheit mit. „Ich habe hier nicht 20 Jahre meines Lebens reingesteckt, um mich von Herrn Groth wegschieben zu lassen.“ Die 45-Jährige ist Kämpferin, hat Fördermittel erstritten, Spenden für den Grundstückskauf. Doch das hier ist eine andere Bedrohung, sechs Stockwerke hoch. Blank schaut auf die Pferdekoppel. „Der Hahn kräht zu laut, das Pferd wiehert, der Geruch ist streng, der Ziegenbock hat vor meinen Vorgarten geschissen – Nutzungskonflikte sind programmiert.“ Sie sieht sich schon rausgeklagt, wie die Betreiber des „Knaack“- Clubs oder andere Gentrifizierungsopfer.
Nutzungskonflikte gab es auch früher schon. Seitdem wird der Mist einmal wöchentlich mit einem Hänger abgefahren. Mittlerweile ist sich Blank sicher: „Wir haben hier eine große Akzeptanz.“
Als Puffer zwischen sich und den Neubauten hatte sie sich für ein „Grünes Band“ eingesetzt – von der Bernauer Straße bis zur Bösebrücke, entlang des früheren Todesstreifens. Doch das hat die Politik verworfen. Sie will eine Bebauung nach Plan des dänischen Architekten Carsten Lorenzen. Es fehlt nur noch das abschließende Votum der Bezirksverordneten von Mitte. In der Ausschusssitzung erhalten die empörten Bürger keine Antworten. Die offenen Fragen würden im Laufe des Bebauungsplanverfahrens geklärt, teilt Baurat Spallek lapidar mit.
Birgit Blank führt über ihren Hof. Uschi und Peppi grunzen im Stroh. „Herr Groth hat immer gesagt, er will uns besuchen“, sagt sie und streichelt eine der Ziegen. „Gekommen ist er nicht.“ Sie lacht bitter.
„Die Zusage steht!“ Klaus Groth, 74, dunkler Anzug, weißer Haarkranz, ist ein mächtiger Kerl. Wenn man für ein Konversationslexikon einen Baulöwen zeichnen müsste, man könnte Groth nehmen. Er spricht mit norddeutsch rollendem „r“, donnert gern seine Hand auf den Tisch. Es ist eher eine Pranke. „Der Moritzhof ist für unser Quartier eine Bereicherung.“ Groth sitzt in seinem Konferenzraum, Blick auf den Ku’damm, beste Lage. Vor ihm auf dem Tisch die Bebauungspläne. „Die Bürgerwerkstatt will den Lorenzen-Entwurf nicht. Aber er wurde vom Parlament beschlossen. Man schlägt uns, aber man muss die anderen schlagen.“
Groth sieht die Dinge gelassen. Er hat in Berlin schon zahlreiche Großprojekte bauen lassen, etwa die CDU-Zentrale am Tiergarten. Er weiß, dass die Politik auch diesmal in seinem Sinne entschieden hat. Ein Zurück ist schwer vorstellbar. Die Parkerweiterung im Süden hat im Dezember begonnen, sie ist wiederum gekoppelt an den städtebaulichen Vertrag. Und in dem steht seit Dezember Groths Name.
Groth ist den Empörten entgegengekommen – ein wenig. Er hat ein paar Baublöcke herausgenommen und gegenüber dem Moritzhof einen leicht erweiterten Eingangsplatz geschaffen. Ansonsten zieht sich der Löwe auf die Position des Ungefähren zurück. „Was heißt ’ökologisch ausgerichtet’?“, fragt er. Und auch „soziale Durchmischung“ habe ihm bisher keiner definieren können, „nicht mal Senat oder Bezirk“. Und Luxus? „Wenn man 3500 Euro Verkaufspreis pro Quadratmeter in dieser Lage als Luxus bezeichnet, weiß ich nicht, was Luxus wirklich ist.“
Ganz genau weiß Groth, dass all diese Vereinbarungen in den Verträgen nur sehr allgemein formuliert sind. Konkretes Interesse einer Genossenschaft besteht derzeit nicht, bestätigt er. Und so werden die 300 geplanten Mieteinheiten entlang der Ringbahngleise im Norden mindestens 9,50 Euro nettokalt kosten. Groth sagt: „Es geht um die Berücksichtigung der Nachbarschaft, aber es geht vorrangig um die Leute, die in diesem Quartier wohnen werden, und ihre Bedürfnisse.“
Klaus Groth streicht sich den Schlips gerade und lehnt sich zufrieden zurück. „Ich glaube“, sagt er, „wir haben eine ganze Menge machen können, um die nachbarschaftlichen Beziehungen zu begründen.“
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