Traditionskneipe Baiz zieht um: Locker vom Hocker
Aufzug als Umzug: Die linke Traditionskneipe Baiz in der Torstraße musste den Gesetzen des Marktes weichen. Ihre Anhänger organisierten für den Wechsel zur Schönhauser Allee eine 1000 Meter lange Menschenkette.
Nach einer Viertelstunde hatte sich die Menschenkette zurechtgeruckelt, die Abstände passten halbwegs. Der erste Kneipenstuhl ging auf die Reise, es folgten zwei Dutzend Barhocker. Wie groß muss der Abstand zwischen zwei Personen sein, damit eine unbekannte Zahl Menschen genau 1000 Meter überbrückt? Mathematisch lässt sich das nicht lösen, deshalb wurde es einfach versucht. Und es klappte. 400 bis 500 Menschen kamen Sonntagnachmittag nach Prenzlauer Berg, damit eine Kneipe umziehen kann, von der Torstraße in die Schönhauser Allee. Mobilisiert über Facebook, „Baiz bleibt“ heißt die Seite. Stimmt zwar nicht, denn das Baiz durfte, wie berichtet, nicht bleiben. Anders als andere linke Institutionen, die in den vergangenen Jahren dem Gang der Dinge weichen mussten, fand das Kneipenkollektiv neue Räume, viel schicker, viel größer, viel eleganter. Was angesichts der dunklen, ebenso verqualmten wie verwinkelten Räume an der Tor- Ecke Christinenstraße auch nicht besonders schwierig ist.
Das Bier war immer das billigste in der Torstraße, der Halbe zuletzt für einsneunzig; darauf war das Kollektiv stolz. Offiziell soll das Bier nicht das Wichtigste gewesen sein, was ja eher unüblich ist für eine Kneipe. Das Lokal wollte sich abheben, nannte sich „Kultur- und Schankwirtschaft“. Wirt Matthias Bogisch ließ sich gerne zitieren mit „Bierverkaufen alleine wäre uns auch zu langweilig.“
Als Zeichen gegen Gentrifizierung
Langweilig um die Kneipe war es nie. Ost-Berliner kennen die Eckkneipe von früher unter Bummelant, Chapiteau oder Dom kultury Berlin, seit etwa zehn Jahren hieß es Baiz, nach dem süddeutschen Wort für Schankwirtschaft. Weil es dort zu lustig und zu links zuging, geriet es irgendwann auf eine Hassliste der Neonazis. Das Aus für die Torstraßentraditon besorgten aber nicht die Neonazis, sondern der zweite Hauptfeind der linken Szene, nämlich der Kapitalismus. Im April 2013 erschien auf der linken Internetplattform „indymedia“ der Beitrag „Investorengruppe kauft Haus“. Eines „der letzten Zentren progressiver Kultur Prenzlauer Bergs“ gehe verloren, heißt es dort, das Baiz sei einmalig, weil dort „der Arbeitslose neben dem Universitätsprofessor sitzt und die Schülerin mit dem Rentner plaudert“, wie es in dem indymedia-Stück ungewohnt rührselig weiter hieß. „Hier ist einer der wenigen Orte in der Mitte Berlins, der nicht darauf angelegt ist, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen.“ Garniert war der Appell mit einem kleinen Spritzer linker Rhetorik („entschlossen für den Verbleib kämpfen“).
Es half nichts. Am Sonntag wurde nur noch entschlossen mit dem Umzug gekämpft. Wie es sich gehört, war dieser als politische Kundgebung bei der Versammlungsbehörde der Polizei angemeldet, unter dem Motto: „Gegen den Ausverkauf der Stadt“. Der Aufzug als Umzug also, Politik und Praxis einmal eine Einheit.
Die Kühlschränke, so beruhigte der Wirt zu Beginn der Aktion über Megafon, sollen in der Woche per Laster transportiert werden, „ihr sollt euch ja nicht totschuften“. Um 15.45 Uhr ging der erste Stuhl auf die Reise, er erreichte von Hand zu Hand um 16 Uhr das Ziel. Später folgten Weinkartons, Devotionalien wie „zapatistische Schnürstiefel“ (die es in der Kneipe für 50 Euro zu kaufen gab) und ziemlich am Schluss auch die Plakate von den Wänden: ein Aufruf an die „Arbeiter der Stirn und der Faust“ von 1946 zum Beispiel und ein Pamphlet „Die kapitalistische Wohnungsfrage“.
Mit dem Umzug sollte „ein öffentliches Zeichen gesetzt und auf die fortschreitende Gentrifizierung aufmerksam gemacht werden“, heißt es bei Facebook. Nun ist also auch das Baiz gentrifiziert. Im April soll das Bier wieder fließen im Baiz, dann soll es das billigste in der Schönhauser sein.
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