Gebietstausch vor 25 Jahren: Lenné-Dreieck: Meine Ecke, deine Ecke
Vor 25 Jahren begannen die Vorarbeiten zum Gebietsaustausch zwischen Ost- und West-Berlin. Herzstück war das Lenné-Dreieck am Potsdamer Platz.
Presslufthämmer ratterten, Kranfahrzeuge brummten, Mauersegmente schwebten am Haken durch die Luft, und plötzlich gab der „sozialistische Schutzwall“ einen Blick nach drüben frei. Nachträglich sah das so aus, als übten die DDR-Grenzer schon mal für den großen Mauerfall knapp zwei Jahre später, aber der war im April 1988 noch unvorstellbar, im Westen wie im Osten. Die Mauer sollte nicht demontiert, sondern perfektioniert werden, jedenfalls aus DDR- Sicht – übersichtlicher also, leichter zu bewachen, ohne die unpraktischen Winkel, Nischen und sonstigen Absonderlichkeiten, die der aus vielen historischen Wechselfällen erwachsene Grenzverlauf mit sich brachte. Gebietsaustausch, so hieß das Zauberwort, von dem sich beide Stadthälften einiges versprachen.
In diesen Tagen ist es 25 Jahre her, dass die DDR-Behörden mit den Vorbereitungen begannen, um den für den 1. Juli 1988 vereinbarten Flächenaustausch zu vollziehen. Knapp nördlich des Potsdamer Platzes ging es um das sogenannte Lenné-Dreieck, eine zu Ost-Berlin gehörige, nur mit einem Zaun gesicherte Brachfläche, die ins West-Berliner Territorium hineinragte. Die eigentliche Mauer verlief an der Ostseite des Dreiecks, in sie wurde nun eine Bresche geschlagen, als Zufahrt für die Fahrzeuge der Arbeiter, die für den Abbau des Zauns einen Streifen rodeten. In anderen zum Austausch vorgesehenen Flächen, beispielsweise in Lübars oder am „Lohmühlenzwickel" in Neukölln, ging es damals ähnlich zu.
Nur unbewohnte Flächen sollten die Seiten wechseln, das war schon bei zwei früheren Gebietsaustauschen so gewesen. Vor allem ging es dabei um West-Berliner Exklaven auf DDR-Gebiet. Dass es diese gab, geht auf eine preußische Landvermessung und Neuordnung aus den Jahren 1865 bis 1868 zurück. Damals wurden Grundstücke, die außerhalb des Wohnorts ihrer Besitzer lagen, steuerlich und damit auch rechtlich jener Gemeinde zugeordnet, in denen der jeweilige Eigentümer wohnte. Die späteren Berliner Exklaven wurden so den damals selbstständigen Gemeinden Spandau, Gatow, Kladow, Wannsee und Zehlendorf zugeschlagen und kamen mit der Bildung von Groß-Berlin 1920 zur Hauptstadt.
Im Kalten Krieg führte das immer wieder zu Streit und Schikanen seitens der DDR, besonders die Bewohner von Steinstücken und Eiskeller waren betroffen. Erst beim Gebietsaustausch 1972 wurde das Problem gelöst: Steinstücken erhielt nun einen Korridor, der von Eiskeller wurde verbreitert. In einer zweiten Vereinbarung kaufte der Senat wenig später von der DDR Gelände am ehemaligen Potsdamer Bahnhof. Spätere Verhandlungen über das von der Reichsbahn genutzte Schöneberger Südgelände kamen zu keinem Ergebnis und wurden sowieso 1989 von der Geschichte überholt.
Die Gespräche zwischen Senat und DDR-Regierung, die zum Gebietsaustausch von 1988 führten, hatten bereits Ende 1983 begonnen. Es war ein mühsamer Prozess, der teilweise fast zum Erliegen kam, aber doch immer wieder fortgesetzt wurde, bis zur Einigung im Frühjahr 1988. Demnach erhielt West-Berlin von Ost-Berlin und dem DDR-Umland 14 Flächen mit einer Gesamtgröße von 96,7 Hektar, der Osten dagegen vier Flächen von zusammen 87,3 Hektar plus einer Ausgleichszahlung von 76 Millionen DM.
An die DDR ging etwa die Wüste Mark, eine West-Berliner Exklave im Raum Potsdam-Babelsberg, die noch immer von einem Zehlendorfer Landwirt bestellt wurde. Nicht weniger kurios waren die Spandauer Exklaven Fichtewiesen und Erlengrund, zwei von DDR-Territorium eingeschlossene Siedlungen mit Wochenendhäusern, die nur mit speziellem Grenzverkehr zu erreichen waren. Sie wurden jetzt mit West-Berliner Gebiet verbunden, was die Bewohner nicht sehr erfreute: Sie fürchteten, mit ihrem ruhigen Idyll im Schatten der Mauer könnte es zu Ende sein. Am Lohmühlenzwickel wurde die Grenze zugunsten Neuköllns verschoben, die zerschnittene Verkehrsverbindung Kiehlufer, Maybachufer und Harzer Straße konnte neu geknüpft werden.
Herzstück des Tauschprogramms war aus West-Berliner Sicht aber das Lenné- Dreieck, auf das sich bald die Aufmerksamkeit der Stadt richtete. Das Areal spielte eine wichtige Rolle in den damaligen Senatsplanungen zur Westtangente, woran sich noch vor Vollzug des Austauschs der Widerstand entzündete. Ende Mai 1988 besetzten Umweltschützer und Linksalternative das offiziell noch zu Ost- Berlin gehörige Gelände, errichteten ein Besetzerdorf, unbehelligt von den Vopos und der West-Berliner Polizei sowieso – die hatte ja keinen Zutritt. Pünktlich am 1. Juli morgens erfolgte die Räumung, allerdings flohen die Besetzer über die Mauer nach Osten. Dort wurden sie erwartet: Sie erhielten von den Grenztruppen ein Frühstück und wurden wieder entlassen.
Andreas Conrad
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