Zu Besuch beim Mode-Label „Bitch Wedding“: Laufsteg Späti
Mit der Fashion Week hat der Wedding nichts am Hut. Was nicht heißt, dass die Weddinger nicht auch Mode entwerfen würden. Nur läuft das hier alles ein bisschen anders. Ein Besuch beim Mode-Label "Bitch Wedding" - im Späti am Nettelbeckplatz.
Man macht das unwillkürlich, aber man macht es doch, zuhause bei der Vorrecherche und dann auf dem Fahrrad die dunkle Hochstraße runter, den kalten Weddinger Regen schräg im Gesicht: Man schreibt die Geschichte schon mal vor. Überlegt, was einen da erwarten wird und wie man es am besten verarbeiten kann.
Anberaumt ist ein Treffen mit den Machern von „Bitch Wedding“, einem kleinen Mode-Label, das seinen Models blaue Augen schminkt, das „Die Hard Hipster“-Digitaluhren im Sortiment führt und rosafarbene Mützen mit einem fetten „Hustler“ drauf. Alles offenbar gut ironisch, clevere Sache, auf der Hipster-Welle reiten, mit mächtig Straßen-Credibility aus dem Big Bad Wedding im Rücken. Die Fashion Week scheint als Anlass gut genug für ein Gespräch über Sein und Schein, Mitte, Wedding and beyond. Auf dem Fragenzettel steht unter anderem: Würde ein echter Weddinger eigentlich so eine Mütze tragen? Bzw.: Gibt's da nicht direkt auf's Maul?
Stilecht hat Gründer Jörg Köpsel an den räudigen Nettelbeckplatz geladen, home of the notorious Magendoktor, unter anderem, „lass uns in unserem Lieblingsspäti treffen“, hat Köpsel gemailt, „ist der letzte vor der Ecke links“.
Es verhält sich dann, das wird schnell klar, alles doch ein bisschen anders, als man dachte. Denn der Lieblingsspäti ist wirklich der Lieblingsspäti und kein PR-Stunt, er hat eine Sitzecke, in der sich ganz hervorragend sitzen lässt, zwischen Chipsregalen und Getränkekühlschränken, und auf der Bank neben Köpsel sitzt ein polnischer Arbeiter im Blaumann und zieht schweigend ein Tyskie weg. Köpsel stellt ihn mit Vornamen vor.
Die Hipster-Problematik ist nun zu klären, das steht im Block, also: ist das nicht ziemlich hipstermäßig, die Hipster zu dissen, und werden nicht genau deswegen die Hipster, diese durch und durch ironischen Wesen, „Bitch Wedding“ den Online-Shop leerkaufen? Das Hipster-Ding ist aber ziemlich rasch und spätestens dann abschließend geklärt, als Köpsel die Geschichte erzählt hat von ihm, dem Hipster, dem einzigen, den er bislang in diesem, seinem Kiez entdeckt hat:
Bei Netto an der Kasse war das, da, wo sich alle immer treffen, aber nicht, weil sie sich verabredet hätten, da stand er plötzlich: der Hipster. „Mit Röhrenjeans, sooo ner Brille, Mützchen, Jutebeutel und schicker Jacke“, Köpsel begleitet alles mit der passenden Pantomime. „Da war wieder mal richtig Volksfest, mit Assis, Alkoholikern und Rumänen und allem, und alles schrie durch die Gegend, nur er stand ganz alleine in der Gegend rum. Der hat sich echt unwohl gefühlt, das konntest du sehen. Und die Leute haben richtig Abstand zu ihm gehalten.“
Bitch: Jeder guckt hin, aber keiner gibt's zu
Mit den Hipstern haben sie also nicht so viel am Hut, beziehungsweise: am Mützchen. Weswegen natürlich auch stets die Fashion Week inklusive all ihrer Partys gänzlich am Wedding vorbeizieht. Ohne Berührung. Das Label, erklärt Köpsel, sei zu allererst Spaß, aus einer Laune heraus entstanden, aber dabei nicht ohne Unterbau. Die Bitch im Namen zum Beispiel hat schon ihre Bedeutung: „Jeder guckt zu ihr hin, vielleicht träumt er heimlich von ihr, aber er würde es nie zugeben“, so erläutert der Gründer.
Nicht zuletzt ist dieses Label, das mit produzierten Stückzahlen von nicht mehr als 50 pro Design und dezidiert ohne größeren kommerziellen Anspruch bislang Indie im ursprünglichsten Sinne ist, aber auch ein Gegenentwurf zum Schicki-Micki-Bling-Bling-Zirkus, zu dem, und das kommt dann wieder unerwartet, auch Köpsel lange gehört hat.
Bis vor vier Jahren sei er selbst als Designer für die großen Marken im Einsatz gewesen, „Kosmetikkonzerne, ganz Europa“, erzählt er, „Parfümerie-Abteilung KaDeWe und so“, er lebte auf 200 Quadratmetern im Prenzlauer Berg, und der Fahrstuhl fuhr vom Parkhaus direkt in die Wohnung. Nach Firmenpleite und Privatinsolvenz guckt Köpsel jetzt von seiner Wohnung direkt auf die graue S-Bahntrasse, und dahinter kommen schon die Assis vom Nettelbeckplatz. Er scheint fast erleichtert, dass ihm das passiert ist, dass er mit dem "Mikrokosmos, der mit Berlin nichts zu tun hat", jetzt selbst nichts mehr zu tun haben muss. „Lifestyle-Penner“ nennt er sich selbst, die Gucci-Anzüge hängen ja noch im Schrank, und manchmal, wenn das Geld mal wieder knapp wird, verkauft er eines seiner Louis-Vuitton-Täschchen bei Ebay. Der Wedding dagegen, seine neue Heimat, sei wie ein Stillleben, sagt Köpsel, wie: Und täglich grüßt das Murmeltier.
Und vor diesem Hintergrund, den Köpsel nur kurz anreißt, was den Effekt überhaupt nicht mindert, erscheint dann „Bitch Wedding“ mit seinen ehrenamtlichen Models, dem Online-Shop, der nur drei Tage die Woche offen hat, mit all den trotzig-witzigen Slogans und der höchst demokratischen Zielgruppe („Die janze Welt!“) noch einmal in ganz anderem Licht. „Wir wollen den Fame und nicht das Geld“, sagt Köpsel und schiebt nach, dass er das wirklich ernst meine.
Zum Thema Street-Credibility erklärt darauf Späti-Besitzer Suat, nebenan in der Gerichtstraße aufgewachsen, wie man im Wedding eben so aufwächst, er trage an Streetwear im Sommer, wenn er denn welche trage, eigentlich nur Köpsels Sachen. Und dann erzählt Suat noch eine richtige Gangster-Geschichte, in ihr kommen er und fünf seiner Kumpels vor und der Mel-Gibson-Film „The Passion of the Christ“ und am Ende weinen alle Kumpels und tun so, als ob sie dringend was mit ihrem Handy erledigen müssen.
Dann wird es gemütlich
Suat lacht und alle lachen, Jörg Köpsel mit seiner „Bitch Wedding“-Mütze und der Camel im Mundwinkel, und Susann, die gerade aus Sri Lanka wieder da ist und die PR fürs Label macht, ehrenamtlich, klar, und der stille Mann im Blaumann mit dem leeren Tyskie in der Hand lacht auch, und mittlerweile steht auch ein türkischer Postbote im Laden, auch er noch in Arbeitsklamotten, und dann schauen sich alle auf Suats iPhone noch ein Musikvideo an, es ist von einem Palästinenser, der eigentlich aus der Pfalz kommt, aber dann im Wedding groß rausgekommen ist, das Lied heißt Ghettolied und das Video wurde gleich nebenan gedreht, unter der S-Bahn-Brücke neben Jörg Köpsels Wohnung, und alle finden es ziemlich großartig.
Es wird dann noch richtig gemütlich in Suats Späti, in dem es trocken und hell ist, aber irgendwann muss der Besucher dann doch leider gehen, raus ins Dunkle und den Regen, er muss schließlich noch eine Geschichte aufschreiben, eine Geschichte über den Wedding, und in ihr kommt nur ein einziger Hipster vor, versprochen.
Bitch Wedding im Netz: www.bitch-wedding.de
Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.