Noch ein Volksentscheid?: „Lasst die Finger vom Tempelhofer Feld!“
Klar ist die Wohnungsnot in Berlin seit dem Volksentscheid nicht kleiner geworden. Aber ist das jetzt der Fehler der Wähler oder der Politik? Ein Kommentar.
Der Wähler. Die Wählerin. Unergründliche Wesen, unberechenbar. Landauf, landab versuchen Politiker neuerdings, ihnen zuzuhören. Ihre Sorgen zu erahnen und – ganz wichtig – ernst zu nehmen. Es scheint wahrlich eine Wissenschaft zu sein. Nur in Berlin ist es eigentlich ganz einfach, zumindest was das Tempelhofer Feld betrifft. Doch die Politik kriegt es fraktionsübergreifend hin, den Willen ihrer Bürger zu ignorieren, für falsch zu halten, bestenfalls für überholt.
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat die alte Debatte um eine Bebauung des Tempelhofer Feldes im April selbst neu eröffnet. „Tempelhof ist ein riesiges Gebiet, das man nicht für die Stadtentwicklung aufgeben kann“, sagte er. Seitdem geistert die Idee, dort Wohnraum zu schaffen, wieder durchs Abgeordnetenhaus. FDP und CDU sind auch dafür. Und die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg findet: „Gesetze sind niemals für die Ewigkeit.“ Ein Antrag, das Feld auch für Wohnungen freizugeben, soll auf dem Landesparteitag der SPD im November behandelt werden.
Nach der Randbebauung kommt die Randbebauung und danach eine Randbebauung, solange bis der Rand in der Mitte ist.
schreibt NutzerIn MikenNixda2014
Leute, macht, wie ihr denkt. Aber dann hört auf, euch zu wundern, warum immer mehr Wähler glauben, dass sie von der Politik für dümmer gehalten werden, als sie sind! Und hört nicht auf mich.
Wirklich nicht. Ich bin befangen, profitiere davon, wohne keine 200 Meter vom Feld entfernt in einer Wohnung, die ich bezahlen kann. Aber hört doch auf knapp 740.000 Berlinerinnen und Berliner, die euch im Volksentscheid 2014 unmissverständlich gesagt haben, dass das Feld frei bleiben soll.
Wie oft soll das Volk befragt werden? Bis es euch passt?
Klar ist da viel Platz auf dem Ding. 300 Hektar freies Land, in einer Stadt, die aus allen Nähten platzt. Und ja, die Wohnungsnot ist seit dem Entscheid 2014 nicht wirklich geringer geworden. Aber ist das jetzt der Fehler der Wähler oder der Politik?
Ich gebe doch meine Stimme nicht ab, im Wortsinne, mandatiere Volksvertreter, die gewählt und bezahlt sind, um Lösungen zu finden, damit die nach vier Jahren Plan- und Tatenlosigkeit mit der einfachsten aller Ideen um die Ecke kommen. Es ist, als hätte sich jemand vor Google Maps gesetzt und gesagt, da, die grüne Fläche, da kann noch was hin. Da wäre ich in meiner Mittagspause gerade so auch noch drauf gekommen! Mir wären sogar noch die Kleingärten eingefallen, die aus irgendeinem Grund sakrosankt sind, weil da Berliner, die es sich leisten können, ihr eigenes grünes Reich pflegen, während auf dem Feld an schönen Tagen 60.000 Menschen kostenlos ein bisschen Freiheit genießen.
Theoretisch könnte das Gesetz, das die Bebauung verbietet – per Volksentscheid erzwungen –, vom Parlament einfach wieder aufgehoben werden. Das traut sich aber keiner. Zu offensichtlich wäre der Verrat. FDP und CDU gehen deshalb gewiefter vor, wollen das Volk noch mal befragen. Wie oft? Bis es euch passt?
Tut nicht, als wüsstet ihr nicht, was das Volk will. Wenn’s euch nicht gefällt, hat Brecht vielleicht recht. Vielleicht wäre es einfacher, ihr suchtet euch ein anderes.