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Küchenmodel. Jan Schwarzkamp war der erste, der sich von Eylül Aslan fotografieren ließ – in seiner Wohnung.
© promo

Türkische Fotografin Eylül Aslan: Künstlerischer Protest an Dating-App Tinder

Die türkische Fotografin Eylül Aslan sucht bei Tinder nach Fotomodellen. Ihr Projekt ist auch eine Kritik an der Selbstinszenierung in Dating-Apps.

Eine Wohnung im Hinterhof mitten in Prenzlauer Berg, die Sonne scheint. Im Wohnzimmer von Jan Schwarzkamp befindet sich eine beachtliche Musiksammlung. Kein Wunder, der 36-Jährige ist Musikjournalist und Redakteur des Musikmagazins „Visions“. Aber nicht nur das: Heute ist er auch Fotomodell für die Fotografin Eylül Aslan.

Genauer gesagt: Teile von Schwarzkamp. Seine Beine und Kopfhaare werden heute von Aslan fotografiert. Schwarzkamp und Aslan haben sich vor einem Monat auf der Dating-App Tinder kennengelernt. Dort sucht die türkische Fotografin momentan nach Modellen. „Das wäre in der Türkei nicht möglich“, sagt sie. „Ich würde mich mit den Männern nicht so sicher fühlen wie hier.“

Aslan steht in einem pastellrosafarbenen T-Shirt, einem hellblau gestreiften Rock und mintgrünen Plateauschuhen auf den Holzdielen von Schwarzkamps Wohnzimmer. Alles an der 26-Jährigen wirkt zart, fast zerbrechlich. Der Eindruck täuscht. Wenn sie spricht, spricht sie klar, bestimmt und schnörkellos: „In der Türkei hat sich niemand für meine Fotografie interessiert. Mir wurde gesagt, dass sie pornografisch sei“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. „Ich habe gesagt: Pornografisch? Habt ihr schonmal einen Porno gesehen?“

Die Fotografin wurde in Istanbul geboren, kam 2013 nach Berlin. „Es war auch eine Flucht“, sagt Aslan. „In der Türkei war ich niemand.“ Die türkische Kunstszene habe sich nicht für ihre Fotografien interessiert, sie immer wieder abgelehnt. In Istanbul studierte Aslan Französisch und Literatur, der Umzug nach Berlin sei für sie auch eine Flucht vor Erwartungen und Schubladen gewesen: „Meinem Vater wäre es am liebsten, wenn ich Französischlehrerin wäre, verheiratet, mit Kindern. Das bin ich aber einfach nicht.“ In Berlin habe sie die Freiheit gefunden, sie selbst zu sein: „Alleine die Gehwege in Deutschland sind breiter, hier ist alles so weit voneinander entfernt. Da fühle ich mich mehr“, sagt die Neuköllnerin. „In der Türkei muss man als kreative Person einen Ausweg finden, sonst wird man irgendwann verrückt“, sagt sie mit Nachdruck in der Stimme. „Fotografie war eben mein Ausweg.“

Die Fotokünstlerin, deren Name übersetzt „September Löwe“ heißt, fotografiert, seitdem sie 17 ist. Ihre erste Kamera, eine Nikon-F90x-Analogkamera, bekam sie von ihrer Mutter geschenkt: „Meine Mutter ist mein größter Einfluss, sie liebt meine Kunst“, sagt Aslan begeistert. Bei ihrem Vater sei es nicht so einfach: „Er ist die letzten fünf Jahre ziemlich religiös geworden“, sagt sie. „Er möchte manchmal, dass ich Fotos lösche, weil er meint, Körperteile von mir seien darauf abgebildet. Das bin ich aber meist gar nicht.“ Aslans Bilder zeigen größtenteils Frauen in ungewöhnlichen Posen, sind zart und schräg, oft in Pastelltönen gehalten – wie Aslan selbst. „Ich finde meine Fotos aber vor allem lustig, wenn auch auf eine dunkle Art“, sagt die Künstlerin und lacht hell.

Das heutige Fotomodell Jan Schwarzkamp hat Aslan nun auf der Dating-App Tinder gefunden. Beide haben voneinander das Bild gesehen, auf dem Smartphone nach rechts gewischt, in Tinder-Sprache heißt das: Sie hatten ein „Match“ – sie fanden sich beide interessant. In ihrer Profilbeschreibung hat Aslan ihr Anliegen beschrieben: „Die Idee ist, Menschen zu befragen, welches Körperteil sie an sich am liebsten mögen und welches am wenigsten.“ Diese beiden Körperteile will Aslan dann in einer Collage nebeneinanderstellen: „Ich möchte zeigen, wie sinnlos es ist, sich auf eine bestimmte Art zu präsentieren, auch auf Tinder“, sagt die Fotografin. „Denn was für den einen attraktiv ist, ist für den anderen hässlich.“ Aslan meint damit die unzähligen Versuche von Profilnutzern, sich selbst zu inszenieren. „Zwecklos“, findet Aslan. Schwarzkamp erklärte sich als Erster bereit zu dem Projekt, viele Tinder-Nutzer wären misstrauisch, sagt Aslan. Schwarzkamp nicht, im Gegenteil: „Ich fand Eylül natürlich attraktiv, aber auch die Idee spannend“, sagt er und lächelt sie dabei an. Aslan lächelt zurück.

Am schönsten findet Schwarzkamp seine Beine, am wenigsten zufrieden ist er mit seinen Haaren: „Sie sitzen einfach nie, wie ich es möchte“, sagt der Vollbart-Träger. „Ich zum Beispiel finde seine Haare großartig“, entgegnet Aslan. Auf Tinder seien ihr als Erstes Schwarzkamps Nase und Augen positiv aufgefallen. „Außerdem sah er freundlich aus.“

Auf seinem blauen Küchenboden fotografiert Aslan nun seine Beine und seine rotblonden Haare. „Oh, du hast echt tolle Beine!“, sagt sie nach den ersten paar Fotos. Viel ändern wird sich an Schwarzkamps Körperbild wohl trotzdem nicht: „Gut frisieren kann ich meine Haare hinterher ja immer noch nicht“, sagt er grinsend. Was Aslan an sich selbst unattraktiv findet? „Mein Doppelkinn“, sagt sie und versucht es wegzustreichen. „Am attraktivsten finde ich meine Rückseite, mein Gesäß.“

Jedes ihrer Bilder soll eine Geschichte erzählen, sagt Aslan. Passend dazu hieß ihre erste Ausstellung „Herstory“, ein Wortspiel aus history und her. Auf die Kategorie „feministische Fotografin“ möchte Aslan sich aber nicht reduzieren lassen: „Ich bin noch viel mehr“, sagt sie und seufzt.

Ausgestellt wurden ihre Fotografien im vergangenen Jahr ausgerechnet in einer Galerie in Istanbul. „Jetzt, da ich im Ausland lebe, interessiert sich die türkische Kunstszene auf einmal für mich“, sagt sie lächelnd. Darüber freut sie sich zwar, Berlin bleibt aber ihr Favorit. „Ich liebe Berlin. Ich will hier sterben!“, sagt sie und macht eine expressive Handbewegung, die ihre rosafarben lackierten Fingernägel zeigt. Erst mal jedoch will sie hier leben – und fotografieren. Yasmin Polat

Interessierte können Aslan über die Homepage www.septemberlion.com kontaktieren. Oder einfach versuchen, sie auf Tinder zu finden.

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