Zauberflöte, entzaubert: Kulturkampf um Waldbühnen-Picknick spitzt sich zu
Die Kontrollen der Besucher der Berliner Traditionsbühne werden schärfer. Das verdirbt immer mehr Klassikfans den Konzertgenuss – und selbst die Philharmoniker sind jetzt verärgert.
Kann der Auftakt zu einer lang ersehnten Sommernacht unwürdiger sein? Das Berliner Ehepaar hatte sich gefreut auf das alljährliche Konzert der Philharmoniker in der Waldbühne, hatte Freunde von außerhalb eingeladen, hatte sich die Karten etwas kosten lassen, immerhin 75 Euro pro Stück, und dann das! Anderthalb Stunden mussten sie in der Schlange vor dem Tor stehen, bis sie dran waren. Ein bulliger Sicherheitsmann befahl ihnen, die mitgebrachten Halbliter-Plastikflaschen zu öffnen. Misstrauisch schnupperte er, ob Wasser und Obstsaft etwa verbotener Alkohol beigemischt wäre. Das Entsetzen auch bei den Umstehenden war groß, die Reaktion eindeutig: „Nie wieder !“
Um die Waldbühne tobt ein Kulturkampf, der sich weiter zuspitzt. Auf der einen Seite stehen eines der besten Orchester der Welt und die Berliner Liebhaber klassischer Musikkultur, die wesentlich beigetragen haben zum Kultstatus dieses Ortes. Auf der anderen Seite steht der Bremer Betreiber CTS Eventim, der sich für die Erwartungen des Waldbühnen-Publikums offensichtlich nicht interessiert und zahlende Gäste einer entwürdigenden Behandlung unterzieht. Das Zusammenspiel von Picknick und Klassik ist ein internationales Sommervergnügen, das ausgerechnet in einer der schönsten Freiluft-Bühnen immer weiter eingeschränkt bis ganz unterbunden wurde.
An diesem Wochenende stehen zwei große Klassik-Ereignisse in der Waldbühne auf dem Programm. Am Samstag ist die Deutsche Oper mit Mozarts Zauberflöte in der Waldbühne zu Gast, am Sonntag tritt Daniel Barenboim mit dem West-Eastern Divan Orchestra dort auf. Für beide Konzerte gibt es noch Karten. Kein Wunder, an der hochklassigen Musik liegt das bestimmt nicht, sondern eher an der Einlass-Prozedur, die Käufer teurer Eintrittskarten über sich ergehen lassen müssen. Jedem Gast wird lediglich ein Halbliter-Plastikfläschchen Wasser oder ein anderes nicht-alkoholisches Getränk zur Mitnahme zugestanden.
Dabei hatte alles so schön begonnen. Die Berliner Philharmoniker waren in den 1980er Jahren die ersten, die den Zauber der Waldbühne voll erschließen konnten. Das Picknick mit gutem Rotwein und feinen Salaten gehörte bald zum Ritual dazu. Die Veranstaltung wurde Kult, die „Berliner Luft“ zur Hymne eines erstklassigen, typisch berlinischen Sommervergnügens.
Für den Intendanten der Philharmoniker, Martin Hoffmann, gehört das Picknick zum Waldbühnenkonzert nach wie vor „essentiell dazu“. Das schöne Gemeinschaftserlebnis sei der Grund, weshalb die Philharmoniker in die Waldbühne gingen. Das Ritual gehöre für die Musiker „unabdingbar dazu“. Leider seien sie an die Regeln des Betreibers gebunden, sagt Hoffmann. „Wir hätten nichts lieber, als dass es wieder genauso wird, wie es begonnen hat.“ Die vielen Fans klassischer Musik-Picknicks teilen diesen Wunsch, bislang jedoch vergeblich.
Mit dem Erfolg kamen die Restriktionen. Zuerst wurden Kühlboxen verboten mit dem Argument, sie nähmen zu viel Platz weg. Dann kamen die Flaschen ins Verbotsprogramm. Argumente fehlten nie. Die Sicherheit wurde ins Feld geführt, und schließlich sollten die Betreiber der Kioske innerhalb der Waldbühne auch verdienen. Die Sprecherin des börsennotierten Bremer Unternehmens CTS Eventim AG & Co. KGaA, das die Waldbühne erst seit 2009 betreibt, äußert sich dazu so: „Wir mussten in der Vergangenheit stärkere Kontrollen durchführen, da die Besucher vermehrt Glaswaren, Messer, Dosen etc. mit in die Waldbühne einbringen möchten.“ Dies könne man aus Sicherheitsgründen „natürlich“ nicht zulassen. Die Kontrollen am Eingang verlängerten sich dadurch „leider“. Die Mitnahme von Speisen sei nicht gestattet.
Der frühere Betreiber der Waldbühne, Peter Schwenkow, der beim Waldbühnenkonzert der Philharmoniker als Veranstalter auftritt, sagt: „Wir würden Erleichterungen und Preissenkungen der Gastronomie selbstverständlich unterstützen.“ Laut Hoffmann bezahlt der Veranstalter beim Philharmoniker-Konzert extra eine erhöhte Miete, um eine Ausnahmeregelung zu erwirken, die das Picknick-Verbot lockert und teilweise aufhebt. Nach seinen Recherchen sei beim letzten Konzert der örtliche Veranstaltungsleiter darüber aber nicht informiert gewesen, so dass erst nach Interventionen diese Ausnahme durchgesetzt wurde.
An diesem Wochenende gelten die Bedingungen, die auf der Website des Veranstalters stehen und sich so zusammenfassen lassen: Selbst gemachtes Picknick streng verboten. „Macht die Karte 15 Euro teurer, aber erlaubt den Ausflugs- Charakter und lasst eure Finanzierer nicht so lange draußen stehen“, schrieb ein Zuhörer in einem offenen Brief an die Philharmoniker. Andere schworen, sich das Konzert in Zukunft nur noch im Fernsehen anzuschauen, um dabei wie früher in Ruhe picknicken zu können: „Diese Schikanen werden wir uns nicht mehr zumuten“, schrieb Stadtführer Thomas Knuth: „Eine schöne Tradition wurde systematisch den kommerziellen Interessen eines Veranstalters geopfert.“
Schwenkow kämpft derzeit gegen seinen Parteifreund Frank Henkel (CDU) darum, dass die Waldbühne neu ausgeschrieben wird, weil er selber wieder Betreiber werden will. Wie berichtet, wollte Henkel zeitnah einen neuen Pachtvertrag mit dem jetzigen Pächter abschließen. Das Landgericht hatte Anfang Juni zugunsten von Schwenkow entschieden, der im Rahmen einer einstweiligen Verfügung eine öffentliche Ausschreibung gefordert hatte. Was Restriktionen betrifft, war er freilich auch kein Waisenkind. Aus seiner Zeit als Betreiber etwa stammt das Kühlboxverbot. Bis das Kammergericht abschließend entscheidet, wolle die Innenverwaltung die Waldbühne selbst betreiben, sagte ein Sprecher.
Als man in der Waldbühne noch klassische Musik und das mitgebrachte Picknick im Einklang mit einer zauberhaften Sommernacht genießen konnte, kostete der Eintritt 10 DM. Ungefähr so viel kostet heute mit Pfand ein kleines Bier. Um es sich zu holen, muss man je nach Sitzplatz viele Treppen steigen. Und das bei einem vervielfachten Eintrittspreis.
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