Berlin und das WM-Finale: Kroatischer Wirt: „Ich bin so ein Idiot“
Wen feuern Berliner beim WM-Finale an? Beide Mannschaften haben Fans. So mancher aber hat nicht mit dieser Partie gerechnet – und muss arbeiten.
Die ahnungslose Reisegruppe aus Mainz hat so ein Glück gehabt. Oder den richtigen Gastwirt ausgesucht. Auch wenn der mit sich selbst hadert wie noch nie in seinem Leben: Da steht sein kleines Heimatland Kroatien einmal, erstmals, im Finale einer Fußball-Weltmeisterschaft – und er kann das Spiel nicht schauen.
„Ich bin so ein Idiot“, sagt Ivan Tokic und lächelt entschuldigend einem Gast in seinem Restaurant „Dalmacija Grill“ zu. 50 Reisende vom Landtag Rheinland-Pfalz haben sich für den heutigen Sonntag um 18 Uhr zum Essen angemeldet. „Das war im Januar“, sagt Tokic: „Da hatte ich die Weltmeisterschaft noch gar nicht auf dem Schirm.“ Der hochgewachsene 50-Jährige zögert kurz und gibt sich dann einen Ruck: „Naja, ganz ehrlich, auch wenn ich daran gedacht hätte: Nie im Leben wäre ich davon ausgegangen, dass Kroatien ins Finale kommt.“
Ivan Tokic lebt seit 1981 in Berlin, seine Tante, erzählt er, habe in den 60er Jahren das erste Restaurant mit Balkanküche in der Sonnenallee eröffnet. „Da hieß es noch jugoslawisch, nicht kroatisch“, sagt Tokic. Wie viele ehemalige Gastarbeiter landete auch seine Familie in der Gastronomie. 1978 hat dann sein Vater ein Restaurant eröffnet, inzwischen ist Ivan Tokics Tochter Ruzica Zaja die Besitzerin. Auch sie ist traurig, dass sie das Finale nicht schauen kann. „Einziger Trost ist, dass es Handy und Radios gibt“, sagt sie, und: „Wir haben den Mainzern nun einmal zugesagt.“
„Aber natürlich bin ich für Frankreich!“
So ein Problem hat Sophie Morel nicht. Die 24-jährige Französin arbeitet zwar auch in der Gastronomie, aber die liebevoll eingerichtete Weinhandlung „Les Climats“ in der Schöneberger Pohlstraße hat sonntags geschlossen. „Ich interessiere mich eigentlich wirklich nicht so sehr für Fußball“, sagt die Agraringenieurin: „Aber natürlich bin ich für Frankreich!“
Auch ihr Chef Roland Kretschmer, dem nicht nur das auf burgundische Weine spezialisierte „Les Climats“, sondern zur Hälfte auch die Brasserie Lumières in der Potsdamer Straße gehört, drückt dem Land seiner Liebe die Daumen. „Die Franzosen spielen einfach den besten Fußball“, sagt er: „Sie können Angriff genauso gut wie Verteidigung und sie sind die klaren Favoriten.“
Roland Kretschmer hat seine Liebe für französischen Wein, französisches Essen und französische Lebensart irgendwann zu seinem Beruf gemacht, das „Lumières“ ist eines von mehreren Berliner Restaurants, die mit echter französischer Küche aufwarten. Früher war hier eine finstere Spielhölle, jetzt sitzen die Gäste in einem strahlenden Saal mit hohen, edlen Wänden und lassen sich Schnecken und Gänseleberpastete schmecken. Hier Fußball zu schauen, wäre allerdings – Finale hin oder her – wohl fast ein wenig stillos und so wird Roland Kretschmer das Spiel vielleicht zu Hause verfolgen.
Vielleicht aber auch bei Freunden in einem der zahlreichen anderen französischen Restaurants in Berlin. Garantiert brechend voll wird es beispielsweise im „Marie Antoinette“ in der Nähe des Ostbahnhofs. Dort haben die französischen Fans schon bei den vergangenen Spielen ständig neue Loblieder angestimmt – etwa nach der Melodie von „Hey Jude“ auf Mittelstürmer Olivier Giroud, auch wenn der bei dieser WM noch kein Tor gemacht hat.
Weniger Umsatz nach deutschem WM-Aus
Laut Statistik leben 18.600 Franzosen und nur 12.500 Kroaten in Berlin. Aber die Anhänger der Südosteuropäer dürften dennoch in der Mehrzahl sein: Viele Nachkommen der ehemaligen Gastarbeiter in der dritten oder gar vierten Generation haben nur einen deutschen Pass, ihr Herz schlägt aber auch für die Heimat der Großeltern und Urgroßeltern.
Für das Finale wurden alle Kroatien-Fans aufgerufen, auf die Fanmeile zu kommen, was die Veranstalter dort mit Freude zur Kenntnis nahmen. „Das zeigt einmal mehr, dass Berlin eine internationale Stadt ist“, sagt ein Budenbetreiber, der wegen des frühzeitigen Ausscheidens der deutschen Nationalelf weniger Umsatz machte als vor vier Jahren. Insgesamt sei man aber mit der Resonanz ganz zufrieden, hieß es von den Organisatoren schon vor dem großen Finale.
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Dass man große Spiel auch im „Dalmacija Grill“ nicht auf einem Fernseher verfolgen kann, liege an den unverschämten Gebühren, die dafür an die Gema bezahlt werden müssten, sagt Ivan Tokic. Obwohl – wenn er vorher gewusst hätte, dass Kroatien ins Finale kommt, hätte er wahrscheinlich jeden Preis akzeptiert.
Seine Tochter Ruzica Zaja nickt: „Viele unserer Landsleute schauen in der Magnifica Lounge in Wilmersdorf. Aber Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele in den vergangenen Tagen angerufen und gefragt haben, ob sie hier mit uns schauen und feiern können. Das sind vor allem unsere deutschen Stammkunden.“
Auch Roland Kretschmer lobt das Essen im nur wenige Meter von der Brasserie Lumières entfernten „Dalmacija Grill“. Trotzdem bevorzuge er natürlich die französische Raffinesse. Was nicht nur für die Küche gelte, sondern auch für den Fußball. Die Franzosen werden seiner Ansicht nach gewinnen, weil sie die bessere Technik haben.
„Aber wir haben die Leidenschaft“, hält Ivan Tokic dagegen: „Das ist etwas, was im bezahlten Fußball immer seltener wird.“ Deshalb vor allem ist er ganz, ganz sicher, dass Kroatien gewinnen wird. „Frankreich spielt nur für sich“, sagt er: „aber wir spielen für die ganze Welt. Und unsere Jungs werden auf dem Rasen kämpfen. Bis zum allerletzten Tropfen Blut.“