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Menschlich können viele das Einschreiten Geisels nachvollziehen – dienstlich sei es jedoch unangebracht gewesen.
© Paul Zinken/ dpa

Andreas Geisel: Kritik am persönlichen Einsatz des Berliner Innensenators für Nachbarin

94.000 Euro erbeuteten Betrüger bei der Nachbarin von Berlins Innensenator Geisel. Der sorgt persönlich dafür, dass die Kripo kommt - und erntet scharfe Kritik.

Nach dem persönlichen Einsatz von Innensenator Andreas Geisel (SPD) für eine befreundete Familie in seiner Nachbarschaft in Karlshorst, die Opfer falscher Polizisten wurde, gibt es scharfe Kritik von Gewerkschaften und Berufsverbänden. Tenor: Menschlich sei Geisels Vorgehen verständlich, aber unangebracht und nicht vertretbar. Geisel selbst warf am Sonnabend in einer als „Richtigstellung“ titulierten und nur bei Facebook, aber nicht offiziell von der Innenverwaltung veröffentlichten Erklärung dem Lagedienst der Polizei vor, nicht angemessen auf die Opfer der schweren Straftat reagiert zu haben.

Am Donnerstagabend hatten sich Kriminelle bei einer 90-Jährigen am Telefon als Polizisten ausgegeben. Die Frau hatte Bargeld in Höhe von 94.000 Euro und eine mit Diamanten besetzte Brosche an die Täter herausgegeben – in dem Glauben, dass es sich um einen Polizeieinsatz handle und ein Einbruch bevorstehe.

Als sie ihren Neffen kontaktierte, war dem sofort klar, dass die 90-Jährige Opfer einer Straftat geworden war. Er alarmierte die Polizei, aber auch den Innensenator: Denn es handelt sich um eine befreundete Familie aus der Nachbarschaft. Geisel selbst erschien vor Ort. Weil dort nur ein Streifenwagen der Polizei angerückt war, intervenierte Geisel, damit auch die Kriminalpolizei kommt – was er zugibt. Er habe „tatsächlich dafür gesorgt, dass die Polizei die Opfer betreut und den Tatort überhaupt kriminaltechnisch untersucht“, schreibt Geisel auf Facebook.

„Den Opfern einer schweren Straftat, die sich unmittelbar nach der Tat in einer psychischen Ausnahmesituation befinden, von Angstgefühlen gepeinigt sind und dann aufgelöst und hilfesuchend die Unterstützung der Polizei erbitten, am Telefon die Auskunft zu geben: ,Wir kommen nicht, das hat doch sowieso keinen Sinn‘ war keine angemessene Reaktion.“ Er gehe davon aus, dass die Reaktion des Beamten in der Leitstelle dem „arbeitsbedingten Druck und der zu geringen Personalausstattung geschuldet war“. Am Tatort seien Spuren der Täter gefunden worden.

Geisel will die Reihenfolge der Delikt-Abarbeitung nicht verändert haben

Geisel bestreitet aber, dass der Kriminaldauerdienst, der bei schweren Straftaten den Tatort untersucht und Zeugen vernimmt, von anderen schweren Fällen abgezogen werden musste. Anders als im Artikel des Tagesspiegels am Sonnabend suggeriert worden sei, habe er „die Reihenfolge der Abarbeitung der Delikte an diesem Abend nicht verändert“.

Nach Tagesspiegel-Recherchen ist die Informationslage in der zuständigen Direktion 6 aber komplett anders. Demnach hatte der Kriminaldauerdienst am Donnerstagabend zu wenige Teams und zugleich mehrere Todesermittlungsverfahren, Einbrüche, Raubdelikte und liegengebliebene Fälle abzuarbeiten. Das ist dem Tagesspiegel von mehreren Seiten innerhalb der Polizei bestätigt worden. Der Kriminaldauerdienst muss die Straftaten nach Priorität abarbeiten: Je schwerer die Tat oder sogar ein Verbrechen wie Raub, desto eher wird der Fall bearbeitet. Geisel wird deshalb vorgeworfen, durch sein persönliches Eingreifen eine befreundete Familie bevorzugt und dafür gesorgt zu haben, dass die Kripo von schwereren Fällen abgezogen werden musste.

Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), erklärte, er könne die Beweggründe des Innensenators nachvollziehen, „aber er hat sich hier nicht einzumischen und seine Macht zu missbrauchen. Unsere Kollegen müssen aufgrund politischer Fehler priorisieren. Trickdiebstahl über 94 000 Euro ist nicht so wichtig wie das Leben eines Menschen.“

Daniel Kretzschmar, Landeschef beim Bund Deutscher Kriminalbeamter, sagte: „Menschlich kann ich diese Reaktion verstehen, als Kriminalbeamter hätte ich mir allerdings mehr professionelle Distanz und eine Stärkung des Vertrauens des betroffenen Opfers in die Entscheidungen und Arbeit der Polizei gewünscht.“

Kritik von Berufsverband und Politikern

Wenn der Senator die Lageeinschätzung der Kripo durch seine Intervention beeinflusse, zeuge das nicht von Vertrauen gegenüber der Kripo und der am Tatort anwesenden Schutzpolizei. Und wenn Geisel jedes Opfer nur dann ernstgenommen sehe, wenn die Kripo kommt, „dann muss er die örtliche Kripo massiv stärken“. In Berlin fehlten 500 bis 1000 Ermittler.

Jörn Badendick vom Berufsverband „Unabhängige in der Polizei“ sagte, dass Geisel persönlich eingegriffen habe, sei menschlich nachvollziehbar. „Für eine funktionierende Behörde ist es allerdings unumgänglich, dass der Dienstweg eingehalten wird und Polizeieinsätze nach Priorisierung abgearbeitet werden. Anderenfalls würde innerbehördlich blankes Chaos entstehen“, sagte Badendick. Er forderte Aufklärung. Die Vorgänge ließen sich anhand der Funkaufzeichnungen zum Notruf lückenlos überprüfen.

Tom Schreiber, SPD-Innenexperte und Geisels Genosse, sagte, er könne Geisel menschlich und emotional gut verstehen. „Aber es muss grundsätzlich der Anschein vermieden werden, dass man direkt oder indirekt einen Einfluss auf die Einsatzlage nimmt“, sagte Schreiber.

CDU-Fraktionschef Burkard Dregger erklärte, die Straftat zulasten der alten Dame mache ihn genauso betroffen wie Geisel. Er hätte der Familie auch beigestanden. Es sei aber wichtig, „die Polizei in ihrer Arbeit nicht zu behindern, die ihre Aufträge selbst priorisieren muss“. Der Personalmangel bei der Kripo entstand, weil die Polizei bis 2011 kaputt gespart worden sei, die Verantwortung dafür liege bei SPD und Linkspartei.

FDP-Innenexperte Marcel Luthe befand: „Wie nett von Andreas Geisel: weil eines der Tausenden Opfern von Straftaten in Berlin zufällig den Innensenator kennt, werden die anderen, schwereren Fälle zurückgestellt und müssen eben warten, bis die wirklich wichtigen – sprich persönlichen – Fälle mit aller Sorgfalt und unter Aufbietung maximalen Einsatzes erledigt sind.“ Luthe beklagte einen historisch höchsten Krankenstand und eine immer dünnere Personaldecke bei der Polizei.

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