Pandemie: Kritik am laxen Umgang mit Schweinegrippe
Schwangere und Neugeborene erkranken häufiger und oft schwer – doch viele Ärzte und Hebammen lassen sich bisher nicht impfen. Dabei empfehlen die Berliner Ärztekammer und der Hebammenverband die Impfung.
Ein 21 Monate alter Berliner Junge ist etwa 30 Stunden, nachdem er gegen Schweinegrippe geimpft worden war, gestorben. „Bislang ist noch nicht geklärt, ob der Tod des Kindes infolge der Impfung auftrat“, sagte die Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts, Susanne Stöcker, am Dienstagabend dem Tagesspiegel. Die Untersuchungen würden noch laufen, allerdings sei der Junge schwer krank gewesen.
Der traurige Fall, der erst gestern bekannt wurde, ereignete sich bereits vor mehr als zwei Wochen. Am 30. Oktober sei das Kind geimpft worden, am 31. habe es leichtes Fieber bekommen und sei schließlich an einem Lungeninfarkt gestorben, sagte Stöcker. Der kleine Junge sei seit seiner Geburt schwer herzkrank gewesen und sollte für eine Herz-Lungen-Transplantation vorbereitet werden.
Eine Sprecherin der Senatsgesundheitsverwaltung bestätigte, dass das Kind aus Berlin stamme. Man habe den Fall nicht öffentlich machen können, weil dies ausschließlich dem Paul-Ehrlich-Institut vorbehalten sei, sagte sie. Außerdem würde es zu einer weiteren Verunsicherung der Bevölkerung beitragen, wenn jeder Todesfall publik würde, bevor man wisse, ob er überhaupt in Verbindung mit der Impfung gestanden habe.
Ähnlich sieht es auch Susanne Stöcker: „Die Tatsache, dass jemand vielleicht zufällig nach einer Impfung gestorben ist, wiegt nicht die Tatsache auf, dass das Virus für chronisch kranke Kinder sehr, sehr gefährlich ist“, sagte sie. „Alle wirklichen Experten befürworten, diese Kinder zu impfen“, bestätigte der Sprecher der Berliner Kinderärzte Ulrich Fegeler. Er hat mit seinen Kollegen lange Zeit mit der Senatsgesundheitsverwaltung darum gerungen, dass dies für die etwa 40 000 betroffenen Berliner Kinder so schnell wie möglich geschieht. Heute werden er und seine Kollegen zum ersten Mal chronisch kranke Kinder aus Spandau kostenlos impfen - in den Räumen des Spandauer Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes in der Carl-Schurz-Straße.
„Ich muss mich darauf verlassen, was mir die Impfstoff-Experten raten und ich hoffe, dass heute viele zur Impfung kommen“, sagte Fegeler, der auch Bundessprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) ist. Dieser hat jetzt kritisiert, dass viele Ärzte und Pflegekräfte – auch in Berlin – noch nicht gegen die Schweinegrippe geimpft sind. Gerade für Neugeborene kann das nach Ansicht von BVKJ-Präsident Wolfram Hartmann zur tödlichen Gefahr werden.
„Kinderärzte, Hebammen oder Krankenschwestern, die Kontakt mit Neugeborenen haben und sich nicht impfen lassen, handeln verantwortungslos“, sagte Hartmann gestern dem Tagesspiegel. Er begründete dies damit, dass Babys das höchste Risiko tragen, da sie frühestens im Alter von sieben Monaten gegen die neue Influenza geimpft werden könnten. Außerdem müsse man sie bei Erkrankung auch mit dem Medikament Tamiflu behandeln, obwohl das für Säuglinge nicht zugelassen oder erprobt sei.
In Deutschland ist bereits ein Säugling an Schweinegrippe gestorben, über die Zahl der erkrankten Kleinkinder in Berlin konnte die Senatsgesundheitsverwaltung gestern wegen eines Computerproblems keine Auskunft geben. Allerdings mehren sich Berichte, wonach Neugeborene besonders schwer erkranken.
Auch Kinderarzt-Sprecher Fegeler ist der Ansicht, dass Babys besonders gefährdet sind. „Neugeborene besitzen nur das an Abwehrstoffen, was ihnen ihre Mutter mitgegeben hat“, sagt er: „Und da bislang kaum eine Mutter erkrankt war oder geimpft wurde, ist die Abwehrkraft bei einer Infektion mit H1N1 gleich Null.“ Fegeler findet es deshalb ebenfalls verantwortungslos, wenn sich das medizinische Personal nicht impfen lässt und appelliert nicht nur an Ärzte und Pfleger, sondern auch an deren Chefs.
Doch auch deren Einfluss ist begrenzt. „Wir können weder Ärzte, noch Hebammen, noch Gynäkologen, noch andere Mitarbeiter zwingen, sich impfen zu lassen“, sagt der Leiter der Klinik für Geburtsmedizin am Vivantes-Klinikum Neukölln, Klaus Vetter: „Wir können sie nur davon überzeugen.“ Er selbst frage jeden Morgen nach, wer sich habe impfen lassen – nach seiner Schätzung bislang etwa die Hälfte der Mitarbeiter – und versuche, den anderen Kollegen die Notwendigkeit zu verdeutlichen.
Noch mehr Sorge als die Impfabstinenz auf den Neu- und besonders auch auf den Frühgeborenenstationen bereitet Vetter aber die Haltung von Berliner Gynäkologen, die sich nicht impfen lassen: „Wir haben viele Schwangere, die schwer an Schweinegrippe erkrankt waren oder sind“, sagt er. Bei einigen habe Lebensgefahr bestanden.
Dass Schwangere und Neugeborene besonders anfällig sind, ist auch in der Charité bekannt. „Wir versuchen, unseren Mitarbeitern klar zu machen, dass dies ein sensibler Bereich ist“, sagt der Leiter des Arbeitsmedizinischen Zentrums, Harald Bias. Bereits 3000 von knapp 15 000 Charité-Mitarbeiter seien geimpft.
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