Berlin: Krieg der Pferdepuppen
Sprechtheater im Musicaltempel Theater des Westens? Das hat es seit 1978 nicht gegeben Nächstes Jahr kommt das in London und New York erfolgreiche Drama „War Horse“ nach Berlin.
Kleine Mädchen in adretten Schuluniformen, die beim Anblick des ungelenken Fohlens verzückt aufjauchzen. Hüftsteife Greise im Tweedsakko, die sich verstohlen die Tränen aus den Augenwinkeln wischen, als sich der angstvoll wiehernde Hengst im Niemandsland zwischen den Frontlinien im Stacheldraht verfängt. An diesem Nachmittag bleibt im New London Theatre – einem hässlichen aber lebendigen Betonbunker aus den Siebzigern im Theaterviertel Westend – kein britisches Herz kalt. Es ist eine englische, aber auch eine universelle Geschichte, die sich auf dem dramatisch verdüsterten Halbrund da unten abspielt: das Leiden der geschundenen Kreatur im Krieg.
„War Horse“, die vom National Theatre 2007 produzierte und dort uraufgeführte Bühnenadaption des in England populären Jugendbuchs von Michael Morpurgo ist inzwischen nicht nur hier in London, sondern seit vergangenem Jahr auch am New Yorker Broadway und im kanadischen Toronto ein Publikumshit. Ganz im Gegensatz übrigens zur kitschtriefenden Kinoadaption von Steven Spielberg, die im Februar unter dem Titel „Gefährten“ sang- und klanglos in den Berliner Kinos unterging.
Nun holt der niederländische Unterhaltungskonzern Stage Entertainment die mit sechs Tony-Awards und etlichen weiteren Preisen bedachte Saga von Joey und Albert, dem Pferd und dem Bauernsohn aus einem Dorf Devon, die in die Apokalypse des Ersten Weltkriegs geraten, nach Berlin.
Ab März 2013 läuft „War Horse – Gefährten fürs Leben“, so der deutsche Titel, im Theater des Westens. Ein nicht von ungefähr gewählter Zeitpunkt, dämmert dann doch schon allmählich das 2014 anstehende Großgedenkjahr „100 Jahre Beginn des Ersten Weltkriegs“ herauf. Das National Army Museum in London etwa zeigt bereits die begleitende Ausstellung „War Horse: Fact & Fiction“ und für Berlin arbeitet die Stage mit dem Deutschen Historischen Museum als Partner an einem Begleitprogramm.
Der Vorverkauf für die erste Sprechtheaterproduktion im seit 35 Jahren rein auf Musiktheater abonnierten Haus an der Kantstraße, wo 1978 als letztes Theaterstück ohne Gesang und Tanz eins von Robert Wilson aufgeführt wurde, beginnt mit einem gehörigen Vorlauf schon am heutigen Montag. Höchste Zeit also für Stage Entertainment, ein Dutzend Journalisten nach London in eine Vorstellung von „War Horse“ einzuladen, um die Puppen medienwirksam tanzen zu lassen. Denn genau darum handelt es sich: „War Horse“ ist Puppentheater. Allerdings welches, das mit Kasperle oder Augsburger Puppenkiste denkbar wenig zu tun hat, wenn es auch vom selben Zauber lebt, tote Materie lebendig werden zu lassen. Das schaffen die Konstrukteure und Puppenspieler der in Südafrika ansässigen Handspring Puppet Company durch einen so einfachen wie atemberaubenden Trick. Alle ihre Puppen atmen. Joey, sein Pferdekumpel Topthorn, die Farmgans, die Schlachtfeldkrähen. Ihre Brustkörbe aus Weidenruten, Leder, Metall, die in Materialmix und Ästhetik wie ein Zitat des militärisch teils altmodisch und teils hochindustriell geführten Ersten Weltkriegs wirken, heben und senken sich. Die Tiere bewegen sich, sie schnauben, wiehern, schnattern, krächzen. Und schon ist es ganz egal, ob ihre Mechanik oder ihre Puppenspieler völlig frei auf der Bühne zu sehen sind.
Der gewisse Abstraktionsgrad, den das karge Bühnenbild, die Puppen und – in der Originalversion – das Nebeneinander von Englisch, Deutsch und Französisch in den Dialogen schaffen, ist denn auch das Mutige an dieser mit großem Ensemble, Livemusik, Projektionen, Licht- und Sounddesign ausstaffierten, rund zweieinhalbstündigen Show, die deutlich mehr von einem Theaterspektakel als von einem Theaterstück hat. Angesichts finsterer Schlachtgemälde in sinfonisch donnerndem Katastrophensound wird einem da etwas bang um die kleinen Schulmädchen, wie der Stoff überhaupt trotz rührseligem Happy End und einigem Dialogwitz seine Härten hat. Und seine Längen. Und in Berlin das Risiko, dass hier keine Briten, sondern Deutsche leben, die erstens eine deutsche Fassung brauchen, in der fraglich ist, wie dann die Engländer und Franzosen reden, und zweitens nicht so scharf darauf sind, als böse Krieger zu gelten. Zum Glück gibt es aber auch zwei gute Deutsche im Stück. Und Tierliebe geht ja in Berlin immer.
Johannes Mock-O’Hara, Chef von Stage Entertainment Deutschland, ist sich des Sprachproblems nur zu bewusst. „Wir knobeln noch an der Lösung für die deutsche Fassung“, sagt er nach der Vorstellung. Sonst solle aber weder an der Geschichte noch an der Inszenierung geschraubt werden. An den Erfolg der Sache glaubt er ohnehin, und nach Berlin soll „War Horse“ in Paris und in Spanien laufen. Im Herbst werden hier aber erst mal Schauspieler ausgesucht, darunter – weil es erstmals reine Sprechrollen gibt – nicht nur Musicaldarsteller, sondern gern auch namhafte Schauspieler, sagt Mock-O’Hara. „Die melden sich von selber“, ist der Produzent überzeugt. „Die wohnen ja eh alle in Berlin.“
Gunda Bartels
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