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Geben und nehmen. Jacqueline Timm (o.li.) verwaltet die Futterbestände, aus denen Rita Bayer (o.re.) und Charlys Besitzer (u. M.) versorgt werden.
© ari

Tiertafel in Not: Knurrt der Magen, knurrt der Hund

Wenn das Geld knapp wird, ist das geliebte Haustier schnell zu teuer. Aber weggeben? Bloß nicht! Die ehrenamtliche „Tiertafel“ hilft mit Futter und Zubehör. Doch nun ist sie selbst in Not.

Und dann kommt auch noch die Polizei. Zwei Beamte in Uniform, eine Frau, ein Mann. Sie steigen aus ihrem Einsatzfahrzeug und tragen eine verknotete Plastiktüte in den Flachbau. Darin: rohes Fleisch. Tiefgefroren. Wildschwein aus den Berliner Forsten.

„Für die Allergiker“, sagt die Beamtin, als sie zurück am Wagen ist. Dass die ein großes Problem sind, weiß sie aus eigener Erfahrung. „Ich habe hier auch mal geholfen“, sagt sie. „Polizisten sind ja auch nur Menschen.“

Das Futter kommt von Spenden oder Herstellern

Eine treffliche Formulierung an diesem Ort, an dem es nämlich um Tiere geht: ein Flachbau in der Mörikestraße in Treptow. Bezirkseigentum. Drinnen ein langer Gang, rissige Farbe an der Wand, ein paar Stühle. Links und rechts Räume, Anmeldung, Ausgabe, Lager. In der Luft hängt der Mief von Futter und Hund – und an jedem der Hunde mindestens ein Nur-Mensch, der hier und jetzt über seine Bedürftigkeit definiert wird.

Es ist Ausgabetag bei der Berliner Tiertafel, einer ehrenamtlichen Initiative, die in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Haustierbesitzern unter die Arme greift. Mit Futter und Zubehör aus Spenden von privat, Herstellern oder der „Futterhaus“-Kette – und sogar mit medizinischer Versorgung.

Hundebesitzerin mit ihren zwei Hunden bei der Tiertafel
Hundebesitzerin mit ihren zwei Hunden bei der Tiertafel
© ari

„Ich brauch’ mal Leber für kleinen Hund!“, schallt es durch den Flur, und schon steht eine der Helferinnen im Lager. Leber soll heißen: für einen leberkranken Hund. Spezialfutter ist das große Thema hier. Viele Stadthunde sind krank. Sie haben Arthrose, wenn sie groß sind, Herzleiden, wenn sie klein sind, sind allergisch oder haben Krebs. Hunde von gebrechlichen Menschen oder Arbeitslosen zudem oft noch leicht übergewichtig, weil sie, wenn Herrchen viel rumsitzt, auch selbst viel rumsitzen.

„Kira, kommst du zurück!“ Ein kleiner Hund ist in den Lagerraum geflitzt und unter die Regale gekrochen. Peinlich betreten ruft der Besitzer nach ihm, traut sich aber nicht über die Schwelle. Eigentlich herrscht Leinenpflicht im Haus. Der Hund zeigt sich nicht. „Riecht hier ja auch wie in einer Pralinenschachtel“, sagt Jacqueline Timm, genannt Timmy, die hier heute das Kommando hat.

Bis zu 300 Menschen kommen im Monat

Während Kira gefangen wird, rattert sie die Tiertafelstatistiken runter: Pro Monat gehen zwei Tonnen Trockenfutter und eine Tonne Nassfutter für Hunde raus, für Katzen eine Tonne Trockenfutter und 750 Kilogramm Nassfutter plus Leckerlis. Es werden keine Originalsäcke verteilt, weil die doch nur weiterverkauft würden, es wird unentwegt von Hand portioniert – „das ist hier kein happy Hundestreicheln, das ist Arbeit“, sagt Timm.

An den Regalen hängen Formulare für die Dosierung je für kleine, mittlere und große Tiere. Pro Ausgabetag – zwei pro Monat – kämen 250 bis 300 Menschen, hauptsächlich Hartz-IV-Empfänger und aufstockende Rentner. Wichtig: Das Tier muss schon vor der Bedürftigkeit im Haushalt gewesen sein.

Futterregal bei der Tiertafel
Futterregal bei der Tiertafel
© ari

So wie Charly, ein graubrauner Mischling, dessen Herrchen seine Arbeit in der Gastronomie verlor, weshalb „das Geld vorne und hinten nicht reicht“, wie er sagt. Aber deshalb den Hund weggeben, den er seit zehn Jahren hat? Er schüttelt energisch den Kopf, auf so eine Idee wäre er nie gekommen.

Im Internet stieß er auf die Tiertafel und ist hier nun ein regelmäßiger Gast. Die Portionen, die ausgegeben werden, reichen etwa für eine Woche, das sei eine riesige Hilfe. Außerdem lerne man hier auch immer mal ein paar Gleichgesinnte kennen.

Mit einem wie Charly an der Leine garantiert, der äußerst gesellig ist, und sich gerade streckt, um mit Teira Bekanntschaft zu machen, einer großen weißen Labradormischlingshündin mit einem schwarzen Fleck ums linke Auge. Deren Frauchen berichtet sorgenvoll von Teiras Arthrose und der nötigen Schmerzmittelzufuhr. Dabei sei der Hund erst vier Jahre alt, sagt sie und zieht Teira rein ins Haus.

Die Behandlung kostet sonst das Vierfache

Hinten am langen Flur steht eine Kommode quer, auf der klebt ein „Stop“- Schild. Hier dürfen nur die passieren, die einen Termin bei Tierärztin Janine Bräuer haben. Wie gerade jetzt Rita Bayer. Die Rentnerin ist im Rollstuhl ins Behandlungszimmer gefahren. An dessen Lehnen hängen Tüten mit Futter und die Leinen ihrer zwei Hunde. Einer groß, einer klein, beide haben gerade eine Entzündung überstanden.

Janine Bräuer hebt die Tiere nacheinander auf den Behandlungstisch, horcht und tastet sie ab, dann bemisst sie die Medizin und macht die Abrechnung. „Wir haben das auf 25 Euro gedeckelt“, sagt sie. Ein Vierfaches hätte der Besuch woanders gekostet. Rita Bayer tätschelt ihren Hunden die Köpfe und dankt.

Umsonst soll die Behandlung nicht sein, für die Differenz werden die Spenden eingesetzt, die hauptsächlich vom IFAW, dem „International Fund for Animal Welfare“ kommen. Die Tiere hier wiesen fast alle einen „medizinischen Sanierungsstau“ auf, sagt Bräuer. Den beheben sie. Aber nur bei den Klienten, die ihre Tierliebe dadurch bewiesen haben, dass sie mindestens seit sechs Monaten zur Tiertafel kommen.

Ehrenamtliche Helferin der Tiertafel
Ehrenamtliche Helferin der Tiertafel
© ari

Über diese Frist ist Rita Bayer längst hinaus. Sie ist wieder ins Freie gefahren. Auf einem Rasenstück neben dem Flachbau hat sie sich aus dem Rollstuhl gestemmt und wirft nun eine Frisbeescheibe, der ihre Hunde nachjagen. Bis 15 Uhr macht sie das. Dann holt der Telebus sie ab und bringt sie nach Hause.

Und neben Medizin und Futter nimmt sie die Sorge mit, wie es mit der Tafel weitergehen wird. Aus dem Flachbau müssen sie ausziehen, sagt Chefin Timm. Nun suchen sie ein neues Objekt, das nicht zu teuer ist, möglichst fünf bis sechs Zimmer, möglichst ebenerdig, möglichst gut mit den Öffentlichen erreichbar und in möglichst ähnlicher Lage. Timm grinst unglücklich. Sie weiß, dass sie dafür tierisches Glück brauchen.

Futterregal bei der Tiertafel
Futterregal bei der Tiertafel
© ari

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