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Meine Stadt, mein Machnow. „Klein“ ist die Stadt von Manuela Reich, hier vor den Neuen Kammerspielen, schon lange nicht mehr. 
© Thilo Rückeis

25 Jahre Deutsche Einheit (11): Kleinmachnow: Das Schwinden der Idylle

Es war einmal ein Dorf nahe Berlin, dann kamen die Reichen aus dem Westen mit schweren Autos. Kleinmachnow hat sich verändert – und doch viel Charme behalten.

Raus aus Berlin, rein in den Speckgürtel, ins Grüne – schön und gut. Hat aber auch Nachteile, dort zu wohnen. Das fängt mit dem Autokennzeichen an. Gerade noch ist man stolz mit dickem „B“ über die Straßen gerauscht, nun aber, sagen wir in Kleinmachnow, mit einer Buchstabenkombination, die im Lande kaum einer kennt: „PM“, Potsdam-Mittelmark. Könnten Lästermäuler leicht als Posemuckel deuten.

Für manchen ein Argument gegen einen Umzug, kein sehr starkes, aber doch stark genug, um Makler behaupten zu lassen, über die Eingemeindung nach Berlin werde bereits nachgedacht. Doch, hat sich Ende der Neunziger mitunter tatsächlich so zugetragen. War natürlich Blödsinn, ist nicht so gekommen, kommt auch nicht, wie manch anderes, womit man in Kleinmachnow gerechnet hatte. Reaktivierung der Stammbahn mit Gleisanschluss in Düppel?

Neuerdings wird dort ein „Multifunktionsweg“ für Fußgänger und Radler erwogen. Ausbau des Teltowkanals im Rahmen des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit Nr. 17? Gerade in Kleinmachnow schon wegen der Folgen für die denkmalgeschützte Schleuse gefürchtet – und längst gestrichen.

Monate nach der Wende wie eine Invasion

Ansonsten aber haben sich in der südwestlich an Zehlendorf grenzenden, gerne mal, wenngleich nur teilweise zutreffend, als „Villenvorort“ titulierten Gemeinde Leben und Ortsbild erheblich verändert, so sehr, dass man einige Ecken kaum wiedererkennt. Man braucht schon viel Fantasie und alte Fotos, um sich am ehemaligen Grenzübergang Drewitz noch die Schlangen von Autos vorzustellen, die sich nach West-Berlin hinein- oder hinausquälten.

Die einzigen Schlangen gibt es dort allenfalls noch vor den Kassen der McDonald’s-Filiale, die sich neben Porsche, Ebay und anderen Firmen auf dem zum Europarc Dreilinden erklärten Areal angesiedelt hat. Die Betonsäule an der Autobahn, die einst das Staatswappen der DDR zeigte, und der von einem Verein zum Museum umgewidmete Kommandantenturm sind die letzten greifbaren Erinnerungen an die alte Grenze.

Passanten und Geschäfte am Rathausmarkt, dem neuen Ortszentrum an der Förster-Funke-Allee in Kleinmachnow bei Berlin.
Passanten und Geschäfte am Rathausmarkt, dem neuen Ortszentrum an der Förster-Funke-Allee in Kleinmachnow bei Berlin.
© Thilo Rückeis

Und wo kurz vor Dreilinden ein Sowjetpanzer die gen West-Berlin Reisenden empfing, überragt nun ein ausrangierter russischer Schneelader die Schallschutzwand, die es früher selbstverständlich nicht gab. Viele Kleinmachnower haben die Monate nach der Wende – bei aller Euphorie, die der erste Mauerdurchbruch nach Zehlendorf Anfang Dezember 1989 begleitet hatte – geradezu als Invasion erlebt.

Plakate gegen den BER

Altbesitzer tauchten mit Restitutionsansprüchen auf, forderten von den langjährigen Bewohnern ihr Eigentum zurück, in oft fragwürdigem Stil. Oder Kaufwillige standen plötzlich am Gartenzaun und begehrten zu wissen, was das Häuschen denn kosten solle. Bald gründete sich eine Initiative „Bürger gegen Vertreibung“ und die Emotionen schlugen hoch in Kleinmachnow, sogar der damalige Bundesbauminister Klaus Töpfer stellte sich in den Kammerspielen der Diskussion – und gab den entscheidenden Tipp zur Entkrampfung: Verkauf von Gemeindeland an Altbewohner zu besonderen Bedingungen – der Keim zur Siedlung „Stolper Weg“ war gelegt.

Und heute ist „Vertreibung“ kein Thema mehr, an den Gartenzäunen hängen stattdessen Plakate gegen den BER.

Mit dem Rathausmarkt erhielt Kleinmachnow ein neues Zentrum

Der erste Bauabschnitt des Kleinmachnower Rathausmarkts wurde 2004 eröffnet. Seitdem ist er stark gewachsen.
Der erste Bauabschnitt des Kleinmachnower Rathausmarkts wurde 2004 eröffnet. Seitdem ist er stark gewachsen.
© Thilo Rückeis

Auch Manuela Reich, geboren 1962 im damaligen, heute als Ärztehaus genutzten Krankenhaus in der Robert-Bosch-Siedlung, hat solche Kaufanbahnungen am Gartentor miterlebt, und dabei hatte sie gar nichts zu verkaufen, übernahm erst 2002 ihr nahe dem Düppelteich gelegenes Einfamilienhaus von den Erben der Altbesitzer, nach erfreulich entspannten Verhandlungen.

Bewohnt hatte sie es aber schon immer, als Kind mit Eltern und Geschwistern, nun mit ihrer Familie, sie hat also ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte quasi vor der Haustür erlebt. Trotz der nahen Mauer mit einer „Astrid-Lindgren-Kindheit“, wie sie schwärmt. Das Wäldchen westlich des Düppel, wie der Teich bei allen nur hieß, war der ideale Abenteuerspielplatz. Eine künstlich geschaffene Anlage, wie sie 1993 entstand und seither gerne auch mal von Vandalen heimgesucht wird, brauchten die Kinder nicht. Und die Mauer war als Selbstverständlichkeit da, wurde der kleinen Manuela erstmals als irgendwie merkwürdiger Ort bewusst, als ihre Mutter mit Blick auf eine hölzerne, jenseits gelegene Aussichtsplattform sagte, dort wolle sie auch einmal stehen. Hat sie nach dem Mauerfall auch getan.

Läden luden zum Bummeln ein

Dort geht heute die Kleinmachnower Karl-Marx-Straße in die Zehlendorfer Benschallee über, und auf dem 1961 geschlossenen Grenzübergang Düppel, wo bis zur Wende ein Wachturm ragte, findet nun dreimal wöchentlich ein Markt statt. So ist das nördliche Ende der KarlMarx-Straße mittwochs, freitags und sonnabends wieder ein Zentrum des Kleinmachnower Warenverkehrs.

Vor der Wende war sie das jeden Wochentag, jedenfalls das Stück zwischen Düppelteich und OdF-Platz, auf dem ein aus den frühen Fünfzigern stammender Gedenkstein der „Opfer des Faschismus“ gedenkt, Gegenstück zum 2001 am Rande des Wochenmarkts aufgestellten Stein für die Mauertoten.

Dort war der Mittelpunkt des Kleinmachnower Einzelhandels wie auch des sozialen Lebens, erzählt Manuela Reich. Dort lagen die Kammerspiele, mit der Kneipe „Palette“ und weiteren Veranstaltungsräumen mehr ein Kulturhaus als nur ein Kino, gleich daneben die Eisdiele, mit nun angeschlossenem Restaurant noch immer in Familienbesitz, schließlich die Gaststätte „Uhle“ mit ihrem Biergarten, wo heute ein in den Neunzigern gebauter Wohn- und Geschäftskomplex die Karl-Marx-Straße überragt.

Weitere Läden luden in der Nähe mit ihren Schaufenstern zum Bummeln ein, die HO war vertreten, ein Schuh-, ein Pelz- und ein Lampengeschäft, eines für „Raumtextilien“ und eines für „Ton und Technik“, auch eines für Kunstgewerbe, heute ein Copy-Shop, weiter Bäcker, Tankstelle, eine Bücherstube, dazu Schreib- und Spielwaren. Und schließlich gab es an der Karl-Marx-Straße eine Drogerie, „die kannte jeder“, schon wegen des nickenden Weihnachtsmanns zur Adventszeit und der leckeren Maiblätter und Himbeerbonbons.

Sehnsucht nach dem Alexanderplatz

Kammerspiele, Eiscafé, „Uhle“, Ladenzeile, der Düppel mit den Uferfesten oder auch die heute zugewucherte Freilichtbühne an der Eigenherd-Grundschule – das war bis 1989 der Mittelpunkt Kleinmachnows, „da trafen sich alle“, auch Manuela Reich, „da spielte die Musik“.

Und als in den Siebzigern in der Nähe eine HO-Kaufhalle, sogar eine für Bekleidung, dazukam, dort, wo sich heute um einen Rewe-Supermarkt Läden, Wohnungen, die Post gruppieren, war sie mit der abgeschiedenen Lage Kleinmachnows fast versöhnt. Sie liebte zwar das Idyll, das leicht Verschlafene, sehnte sich aber als Jugendliche doch eher nach dem Trubel am Alexanderplatz, der nur mühsam, südlich um West-Berlin herum, zu erreichen war.

Die "Neuen Kammerspiele" an der Karl-Marx-Straße in Kleinmachnow.
Die "Neuen Kammerspiele" an der Karl-Marx-Straße in Kleinmachnow.
© Thilo Rückeis

Den Trubel hat sie noch immer nicht bekommen, die Sehnsucht danach ist ohnehin verflogen, aber mit der Verträumtheit, dem etwas Verschlafenen, das Kleinmachnow einst besaß, ist es dennoch vorbei. Die Bevölkerungszahl ist in die Höhe geschnellt, hat sich seit 1989 etwa verdoppelt und liegt heute bei über 20 000 Einwohnern.

Besonders junge Familien hat die Lage im Grünen angelockt, und so zählt Kleinmachnow heute zu den kinderreichsten Gemeinden Brandenburgs, auch wenn es nicht mehr ganz so grün ist wie vor 25 Jahren. Die oft für heutige Verhältnisse überdimensionierten, mitunter nur mit einer Datsche bebauten Grundstücke sind geteilt und zum Bauland geworden, auch der Grad der Motorisierung, gerne mit hubraumstarken SUVs, ist sprunghaft gestiegen, was vor 1989 schon deswegen zu ständigem Verkehrschaos geführt hätte, weil es nur zwei für den Autoverkehr taugliche Brücken und damit Zuwege in den Ort gab.

Künstliche DNA codieren

Damals konnte man, erzählt Manuela Reich, den Haustürschlüssel noch stecken lassen, heute dagegen bietet die Gemeinde angesichts fleißiger Einbrecher Sets an, um Wertgegenstände mit künstlicher DNA zu codieren.

Ein paar Läden, die Eisdiele und die dank neu gegründeter Kulturgenossenschaft vor dem absehbaren Ende geretteten Neuen Kammerspiele, sogar wieder samt Kneipe, gibt es in der Karl-Marx-Straße noch immer, aber das Zentrum der Gemeinde ist dort nicht mehr. Das liegt nun zwei Kilometer südlich am Rathausmarkt, dessen erster Bauabschnitt 2004 mit einem Fest eröffnet wurde.

Zuvor war die Verwaltung vor allem in alten, fast barackenähnlichen Altbauten im Meiereifeld untergebracht, die Baubehörde saß in einer ehemaligen Sonderschule, die Gemeindebibliothek in einem umgenutzten Landhaus. Alles etwas liebenswürdig verhutzelt, den Anforderungen einer modernen Gemeindeverwaltung aber nicht mehr angemessen.

Ein wenig wie eine Trabantenstadt

Dem Rathaus haben sich seitdem in drei Blocks Wohn- und Geschäftshäuser angelagert, auch Läden aus der Karl-Marx-Straße haben sich dort angesiedelt. Zuletzt sind ein Altenpflegeheim und eine Grundschule dazugekommen. Regelmäßig gibt es einen Wochenmarkt, auch Weinfeste und Ähnliches werden gefeiert. Parkplätze findet man dort zeitweise nur noch mit Mühe, Kleinmachnow ist damit endgültig in der Gegenwart angekommen.

So ganz hat sich Manuela Reich mit dem Rathausmarkt noch nicht anfreunden können, er sei etwas künstlich, wirke ein wenig wie eine Trabantenstadt. Das Zentrum Kleinmachnows zwar, aber noch nicht das Herz. Ohnehin empfindet sie das Schwinden des Idyllisch-Verträumten von früher als Verlust, genießt aber auf der anderen Seite die Vorzüge des Heute: die schnelle Anbindung an Berlins Innenstadt, die Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe, verbunden noch immer mit viel Natur, mit Fledermäusen, die zwischen den Baumwipfeln jagen, Eichhörnchen, die über die Straßen huschen, Igeln, Füchsen und, na gut, auch Wildschweinen, die gelegentlich den Rasen umpflügen.

Hat Kleinmachnow also gewonnen oder verloren? Weder – noch und beides zugleich. Ideal wäre für sie ein Mix aus beidem, dem Dörflichen und dem Kleinstädtischen. Vom Ersteren freilich entfernt sich Kleinmachnow immer mehr.

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