Stadtentwicklung: Kleingärtner säen Protest
In Charlottenburg-Wilmersdorf eskaliert der Streit um die bedrohte Kolonie Oeynhausen. Die Betroffenen wollen gegen Investoren vorgehen und den Bezirk verklagen.
Einen schweren Stand hatten Charlottenburg-Wilmersdorfer Politiker am Dienstagabend vor mehr als 300 Kleingärtnern aus der bedrohten Kolonie Oeynhausen in Schmargendorf und Anwohnern der Umgebung. Es ging um die Pläne von Investoren, eine der ältesten und größten Kleingartenanlagen Berlins zum Teil mit Wohnungen zu bebauen.
Bei der von der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) organisierten Einwohnerversammlung in einer überfüllten Schulaula verteilten Kleingärtner Flugblätter, hängten Plakate auf und unterbrachen vor allem Erklärungsversuche von Baustadtrat Marc Schulte (SPD) mit Buh- und Zwischenrufen. Einige hielten als Zeichen des Protestes Schuhe hoch.
Um das geplante Bürgerbegehren des Kleingartenvereins dürfte es zum Rechtsstreit kommen. Denn das Bezirksamt will dabei die Frage, ob die ganze Kolonie per Bebauungsplan gesichert werden soll, um den Satz ergänzen, dass „Entschädigungszahlungen bis zu einer Höhe von 25 Millionen Euro“ an die privaten Grundstückseigentümer fällig werden könnten. Die Kleingärtner werten dies als Versuch, ihre Unterschriftensammlung zu torpedieren und halten die Summe für maßlos übertrieben. Mit einem Widerspruch erreichten sie nur, dass ein weiterer Zusatz entfallen soll, wonach im Bezirkshaushalt „keine Deckung“ für Entschädigungen vorliege.
Frank Sommer, der Sprecher des Kleingartenvereins auf dem Podium, kündigte eine Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Einmischung an; der Verein muss darüber noch entscheiden. „Wider besseren Wissens“ halte der Bezirk am vermeintlich drohenden Schadensersatz fest, sagte Sommer. Überhaupt werde man sich „mit allen Mitteln“ gegen das Bauprojekt wehren.
Die Investoren seien „Heuschrecken“, schallte es aus dem Publikum. Während der Süden der Kolonie dem Land Berlin gehört und gesichert ist, war der nördliche Teil an der Forckenbeckstraße früher Eigentum der Post. Diese verkaufte ihr Areal 2008 für 600 000 Euro an eine Tochterfirma der US-Investmentgesellschaft Lone Star. Auf der Hälfte des Geländes plant der Bauunternehmer Klaus Groth 700 Wohnungen, 147 Parzellen sollen weichen. Die andere Hälfte mit 155 Parzellen bekäme der Bezirk übereignet.
Sommer sprach von einer „Geschichte aus Lug, Trug und der Missachtung von Bürgerrechten“. Siegfried Schlosser von der Piratenpartei zeigte sich „erschrocken darüber, was da alles passiert ist“; seine Fraktion habe erst im September von den Problemen erfahren. Die ehemalige Bauexpertin der Grünen-Fraktion, Sibylle Centgraf, nannte es „undemokratisch, die Planung Finanzverwertern zu überlassen“. Drei Mal habe der Bezirk Bebauungsplanverfahren zur Sicherung der Kolonie gestartet, aber nie zu Ende geführt. Man müsse „Zeichen setzen“ und klar machen, dass „Grün zu Stadt gehört“. Das Prozessrisiko sei „tragbar“.
Schmargendorfer Bürger aus der Nachbarschaft kritisierten den Verlust an Stadtgrün, das als „Frischluftschneise“ und aus weiteren ökologischen Gründen „wichtig auch für kommende Generationen“ sei. Ein langjähriger Kleingärtner sprach von einem „Trauerspiel“: Politiker hätten es versäumt, die Laubengärten zu sichern, obwohl Berlins Flächennutzungsplan (FNP) dies seit Mitte der 80er Jahre vorsehe. Pächter argumentierten, die Investoren hätten daher gar keinen Anspruch auf Entschädigung. Es handele sich um eine „Schimäre“, die vom Baustadtrat verbreitet und von der rot-grünen BVV-Mehrheit nicht hinterfragt werde. Nur ein von den Investoren beauftragter Gutachter habe eine „Drohkulisse“ aufgebaut, zwei andere Gutachter hätten keine Grundlage für Ansprüche gesehen oder mit höchstens 2,3 Milionen Euro kalkuliert. Diese Summe „würden wir aufbringen“, sagten Kleingärtner und forderten, notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht zu prozessieren.
Die BVV-Fraktionsvertreter Heike Schmitt-Schmelz (SPD) und Volker Heise (Grüne) betonten, man habe alle Kleingärten retten wollen – könne es aber leider nicht. CDU-Fraktionschefin Susanne Klose warf der rot-grünen Zählgemeinschaft dagegen vor, „während der laufenden Bürgerbeteiligung vollendete Tatsachen zu schaffen“, eine Zeitnot sei „nicht ersichtlich“. Mitte Januar hatte die BVV gegen die Stimmen der CDU und der Piratenpartei dem von Stadtrat Schulte ausgehandelten Kompromiss für eine Teilbebauung zugestimmt.
Schulte betonte, er habe nach seinem Amtsantritt Ende 2011 „ein halbes Jahr lang versucht, eine Lösung zu finden“. Aber die Senatsfinanzverwaltung habe sich geweigert, für eventuelle Kosten zu bürgen. Auf Landesebene habe jede Unterstützung gefehlt, keine Partei habe im Abgeordnetenhaus die Initiative ergriffen.
Der ehemalige Baustadtrat und heutige Vize-Bürgermeister Klaus-Dieter Gröhler (CDU) fügte hinzu, ein Erwerb des Postgeländes durch den Bezirk sei vom damaligen Finanzsenator Thilo Sarrazin abgelehnt worden.
Auf Drängen der Grünen hat die BVV beschlossen, den Wohnungsbau nicht mit einer baurechtlichen „Befreiung“ zu vereinfachen. Es soll ein „vorhabenbezogenes Bebauungsplanverfahren“ geben. Neues Misstrauen schürte jetzt Schultes Ankündigung eines „beschleunigten“ Verfahrens. Ein solches kann die Bürgerbeteiligung und Umweltprüfungen einschränken, der Baustadtrat betonte aber, darum gehe es ihm nicht.
Investor Groth ist mit einem Bebauungsplanverfahren einverstanden, der bisherige Grundstückseigentümer - die Lone-Star-Tochterfirma Lorac - hat aber noch nicht reagiert. Schulte wies darauf hin, dass der Kompromiss noch platzen könnte und dann womöglich das ganze Privatgelände bebaut würde - und zwar mit drei- statt sechsgeschossigen Wohnhäusern.
Es gibt Anzeichen dafür, dass die Lorac den Kleingärtnern bereits im Februar zum Jahresende kündigen will. Dagegen würden diese voraussichtlich klagen, weil noch kein Baurecht besteht.
Informationen der Betroffenen gibt es unter www.kleingaertnerverein-oeynhausen.de