Urteil zu Nachtflügen: Kläger ohne Chance
Ein strengeres Nachtflugverbot wird es für Schönefeld nicht geben. Was bedeutet das Leipziger Urteil für den Betrieb des Flughafens?
Die Politik, die Wirtschaft, der Flughafen und die Fluggesellschaften freuen sich: Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts darf am neuen Flughafen in Schönefeld auch nachts geflogen werden. Anwohner sind enttäuscht und empört, da für sie die Nächte nun sehr kurz werden, wie Anwalt Frank Boermann das Urteil kommentierte.
Warum soll es überhaupt Nachtflüge geben?
Für einen wirtschaftlichen Betrieb seien Flüge auch in die Nacht hinein und bereits am frühen Morgen erforderlich, hatte der Flughafen argumentiert. Nur so sei es möglich, Anschlüsse so zu legen, dass vor allem Geschäftsleute es schaffen, bei ausreichender Zeit für Gespräche und Verhandlungen an einem Tag zu ihrem Ziel und zurück zu fliegen, vor allem, wenn dabei umgestiegen werden muss. Auch Ziele im Interkontinentalverkehr erforderten häufig späte Starts und frühe Landungen. Zudem wollen Fluggesellschaften ihre Maschinen möglichst lang fliegen und nur kurz am Boden stehen lassen, um möglichst hohe Einnahmen erzielen zu können.
Wann darf in der Nacht geflogen werden?
Grundsätzlich sind Starts und Landungen zwischen 5.30 Uhr und 23.30 Uhr zugelassen; jeweils eine halbe Stunde vorher und danach sind auch verspätete oder zu früh ankommende Flüge möglich, außerdem sind Überführungsflüge, auch zur Wartung, gestattet. Keinen Flugbetrieb geben darf es zwischen 0 Uhr und 5 Uhr. Erlaubt sind in diesem Zeitraum aber Post- und Regierungsflüge sowie Notlandungen. Gegenüber dem heutigen 24-Stunden-Betrieb in Schönefeld reduziert sich so die Zahl der Flüge in dieser Zeit im Durchschnitt von neun auf drei.
Wie viele Flüge wird es in der Nacht geben?
Nach Berechnungen des Brandenburger Infrastrukturministeriums wird es im Jahr 2023 im Durchschnitt pro Nacht zwischen 22 Uhr und 6 Uhr insgesamt 77 Flüge geben; im Durchschnitt der sechs verkehrsreichsten Monate sollen es 84 sein. In Spitzen steigt die Zahl auf 103; der Flughafen hatte 113 beantragt. Ermittelt worden waren die Zahlen aufgrund der Angaben der Fluggesellschaften durch ein Gutachten.
Was spricht für ein Flugverbot in der Nacht?
Ganz einfach: Der ungestörte Schlaf. Unbestritten ist, dass das mehrfache Aufwecken durch Lärm zu gesundheitlichen Schäden führen kann. So heißt es in einer Studie des Umweltbundesamtes: „Für Herz- und Kreislauferkrankungen ist nachgewiesen: Im Vergleich zu Personen, die keinem Fluglärm ausgesetzt sind, steigt das Erkrankungsrisiko betroffener Personen mit zunehmender Fluglärmbelastung. Auch bei psychischen Erkrankungen findet sich ein relevanter Befund: Bei Frauen sind die Erkrankungsrisiken für Depressionen signifikant erhöht.“ Der Präsident des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, hatte sich für eine flugfreie Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr eingesetzt. Anwohner prüfen jetzt, ob sie vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen können. Zudem laufen in Berlin und Brandenburg Volksinitiativen mit dem Ziel, ein erweitertes Nachtflugverbot durchzusetzen. Ob die Initiativen zulässig sind, wurde noch nicht entschieden.
Wie begründet das Gericht sein Urteil?
Im Prozess um den Ausbau des Flughafens hatte das Bundesverwaltungsgericht 2006 ein Flugverbot von 0 Uhr bis 5 Uhr angeordnet. Für die Zeit zwischen 22 Uhr und 24 Uhr sowie 5 Uhr und 6 Uhr hatten die Richter von der Genehmigungsbehörde verlangt nachzuweisen, warum der zu diesen Zeiten vorgesehene Flugbetrieb nicht befriedigend in den Tagesstunden abgewickelt werden könne. Bei den danach erfolgten Regelungen für den Nachtflugverkehr habe die Behörde ihren planerischen Gestaltungsspielraum nicht überschritten, urteilten nun die Richter. Die Behörde habe plausibel dargelegt, warum regelmäßiger Flugverkehr zwischen 5.30 und 23.30 Uhr erforderlich sei. Die Stunde zwischen 22 Uhr und 23 Uhr dürfe aber nicht als „bloße Verlängerung des Tagflugbetriebs“ angesehen werden. Zu berücksichtigen sei, dass der Flughafen Berlin-Brandenburg der einzige Verkehrsflughafen für die Hauptstadt und die Metropolregion Berlin-Brandenburg sei.
Wird der Flughafen jetzt ein Drehkreuz?
Eine Drehkreuzfunktion kann nicht angeordnet oder verboten werden. Welche Flüge angeboten werden, entscheiden die Fluggesellschaften. Ein Flugverbot von 22 Uhr bis 6 Uhr hätte ein Drehkreuz aber wahrscheinlich verhindert.
Welche Rolle spielten die Flugrouten?
Der seit einem Jahr ausgetragene Streit um die Flugrouten spielte für die Richter keine Rolle bei ihrer Entscheidung. Der Flugbetrieb – und damit auch der Nachtflug – werde nicht für bestimmte Flugrouten geregelt, sondern für den Flughafen an seinem Standort. Auch bei Änderungen der Routen sollten die Regeln für den Betrieb weiter gelten, argumentierten die Richter. Die Lärmbetroffenheit bleibe immer in einem „Unsicherheitsbereich“.
Wie werden Anwohner geschützt?
Überschreitet der Krach die vorgegebenen Grenzwerte, haben die Anwohner Anspruch auf Lärmschutz in Schlaf-, Kinder- und Gästezimmern. Das betrifft auch Kindertagesstätten, Schulen, Krankenhäuser und Heime, die in der Lärmschutzzone liegen. 25 500 Berechtigte hat die Flughafengesellschaft ermittelt, aber erst mehr als 16 000 hatten ein Jahr vor der geplanten Eröffnung am 3. Juni 2012 den Antrag auch gestellt. Beim Umsetzen kam es bisher oft zum Streit zwischen den Anwohnern und der Flughafengesellschaft. Rund 140 Millionen Euro sind bisher für den Lärmschutz vorgesehen. Ändert sich die Belastung, etwa durch andere Flugrouten, muss nachgebessert werden.
Klaus Kurpjuweit