Theater o.N. in Prenzlauer Berg: Kindertheater nach Lärmbeschwerden vor dem Aus
Das Theater o. N. im Kollwitzkiez, seit 1979 aktiv, spielt vor allem für jüngeres Publikum. Nun kam die Kündigung - weil es Nachbarn zu laut war.
Knaack Klub, Klub der Republik, Bar zum schmutzigen Hobby – die Liste der Kulturstätten im Prenzlauer Berg, die wegen Beschwerden oder Nicht-Verlängerung ihrer Mietverträge verdrängt wurden, ist lang. Nun könnte die Liste um einen weiteren Namen ergänzt werden. 20 Jahre lang war das Theater o.N. in der Kollwitzstraße 53 beheimatet. Nun wird der Mietvertrag der Theatergruppe nicht verlängert und die 14 Künstlerinnen und Künstler könnten ab Juli 2017 auf der Straße sitzen.
Das 1979 als Theater Zinnober gegründete Ensemble war das erste freie Theater der ehemaligen DDR. Zunächst in der Knaackstraße angesiedelt, zog es 1996 in die Kollwitzstraße um. Die Sanierungsarbeiten der Eigentümergemeinschaft, die das Haus Nummer 53 in den 90er Jahren erworben hatte, wurden vom Land Berlin subventioniert. Eine der Auflagen der auf 20 Jahre angelegten Förderung: Im Haus soll Raum für eine Kulturstätte sein. Und so zog das Theater o. N. ein.
"Klar, ein Theater ist eine schöne Sache, aber ..."
Nun läuft die Subventionierung des Landes aus und damit auch die zugehörigen Auflagen. Dagmar Domrös, Mitglied der künstlerischen Leitung des Theaters, kann nicht verstehen, warum sie den Ort verlassen sollen und hofft, das Ruder noch herumreißen zu können. „Wir haben 20 Jahre lang einen guten Mietvertrag gehabt, andererseits hatte das Haus mit uns aber auch gute Mieter.“ In der Kollwitzstraße würden Läden oft kommen und gehen, erzählt Dagmar Domrös.
In der Vergangenheit hatte es allerdings Lärmbeschwerden einiger Mieter gegeben. Eine Bewohnerin des Hauses sagte, dass sie den Theaterbetrieb bei offenem Fenster hören könne, obwohl sie nicht direkt darüber wohne. "Klar, ein Theater ist eine schöne Sache, aber in einem Wohnhaus nicht ideal."
Im kinderreichen Kiez "genau richtig angesiedelt"
Theaterfrau Dagmar Domrös hingegen glaubt, dass die kleine Einrichtung im kinderreichen Bezirk so „genau richtig angesiedelt“ sei. Vor allem Stücke für Kinder stehen auf dem Programm. Aufgeführt werden sie in einem winzigen Theatersaal, der 50 Besucher fasst. Einige aus dem 14-köpfigen Ensemble gehören noch zu den ursprünglichen Mitgliedern. Sie renovierten damals selbstständig die Räume und bauten die Bühne in das Berliner Zimmer.
Die Nachricht über die Nichtverlängerung erreichte das Ensemble während des „Fratz Festivals“ in der vergangenen Woche. Das internationale Fest und Kita-Begegnungsprogramm wird alle zwei Jahre vom Ensemble in verschiedenen Berliner Bezirken veranstaltet, um auch dorthin Kultur zu bringen, wo Theater nicht unbedingt zum Alltag gehört. Um den Standort im Kiez behalten zu können, bemühten sich die Theaterleute nach eigenen Angaben vorab um einen Kompromiss: Sie sagten zu, nach 22 Uhr keine Requisitenumbauten mehr vorzunehmen, reduzierten das Abendprogramm und verzichteten auf laute Konzerte. So sei es zu einer Entspannung der Lage gekommen – doch das ist vorbei.
Miterhöhung und Schallschutz zunächst keine Hürde
Eine angekündigte Mieterhöhung hätte das Ensemble noch stemmen können – die Senatsverwaltung für Kultur hatte bereits zugesagt, die Förderung für das Theater zu diesem Zweck anzuheben. Eine weitere Hürde war die Forderung der Eigentümergesellschaft nach einem angemessenen Schallschutz. Auch hier signalisierte der Kultursenat dem Ensemble Unterstützungsbereitschaft.
Das Theater ließ ein Gutachten erstellen, das jedoch einer Prüfung durch einen von der Eigentümergesellschaft beauftragten Akustiker nicht standhielt. Daraufhin schlugen sie vor, der Zweitgutachter solle einen alternativen Maßnahmenkatalog vorschlagen. Dafür hätte man Zeit benötigt, die die Eigentümerseite aber nicht gewährt habe, berichtet Domrös. Ein Kontakt zur Gesellschaft war am Dienstag nicht möglich.
„Wir hatten gehofft, dass noch etwas Zeit bleibt, um Lösungen zu finden“, sagt auch Daniel Bartsch, Sprecher der Senatskulturverwaltung. Auch die Politik sei von der Entscheidung der Eigentümer überrascht worden. Die Förderung für das Theater o.N. sei aber nach wie vor bis 2019 vorgesehen. Nun werde überlegt, wie geholfen werden könne, etwa mit neuen Räumen.
Theaterprojekte an der Schule betroffen
Uta Lindner, Ensemblemitglied der ersten Stunde, hat die derzeitige Situation schon geahnt. „Wir sind nicht die einzigen Künstler, die wegziehen müssen, auch Theater, angestammte Kneipen und Clubs. Und bildende Künstler verlieren ihre Ateliers“, klagt die Schauspielerin, die selbst schon verdrängt wurde: Aus ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg zog sie wegen zu hoher Mietkosten vor dreieinhalb Jahren aus.
Sie findet die Kündigung auch schade, weil enge Bindungen zu den Kiezbewohnern bestünden – nicht nur zum Stammpublikum, sondern auch zu den Kindern der nahegelegenen Schule, mit denen Lindner jede Woche an Theaterprojekten arbeitet. „Es war ein langjähriges, vielfältiges Zuhause.“ Für sie scheint die Sache schon klar: Am Ende sei das der Lauf der Welt, sagt Lindner. Das müsse man wohl akzeptieren, auch wenn es keinen Spaß macht.
"Wir geben die Hoffnung nicht auf"
Der Rest des Ensembles will aber noch nicht aufgeben: Die Eigentümergesellschaft wird die Räume neu ausschreiben. Das Ensemble will sich noch einmal bewerben, denn sie haben auch Unterstützer. „Es gibt Leute im Haus, die wollen uns haben und finden es super, dass da ein Theater ist“, sagt Dagmar Domrös. „Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass wir uns doch noch einigen können.“
Nina Raddy