Gemeinsame Sache in Neukölln 2017: Kinder machen ihren Kiez hübsch
Im Projekt „RespAct your Neighbourhood“ gehen Schüler die Probleme im Bezirk an. Auch in den Ferien.
„Sauber und ordentlich ist Neukölln überhaupt nicht. Überall sind Hundehaufen.“ Zu wenige Wohnungen gebe es, dafür Betrunkene, die laut schreien. Die Kinder im Sommercamp an der Karl-Weise-Schule wissen viele Geschichten zu erzählen über die Probleme im Kiez. Aber sie wollen ihren Bezirk auch schöner machen. Rund 50 Grundschüler des Projekts „RespAct your Neighbourhood“ engagieren sich für ihre Neuköllner Nachbarschaft. Und das in den Sommerferien. Unter Anleitung von Pädagogen der gemeinnützigen Organisation „Camp Group“ waren sie zehn Tage lang auf Erkundungstour durch den Kiez. „Wir haben in der Hasenheide Tierspuren gesucht. Und wir waren bei der Stadtreinigung“, sagen die Grundschüler.
Müll ist schließlich ein großes Thema, nicht nur in Neukölln. Dass Müll aber nicht nur schlecht ist, haben die Kinder in vielen Workshops festgestellt: Sie haben Müllcollagen gebastelt, die sie in einer Ausstellung im Rathaus Neukölln präsentieren. Sie haben einen Müllparcours veranstaltet, bei dem Plastik, Papier und Kompost in der richtigen Tonne landen sollten. Und sie haben aus alten T-Shirts Stoffbeutel gemacht – Upcycling statt Unmengen von Plastiktüten. Am Aktionstag „Gemeinsame Sache“ wollen die Kinder einen Spielplatz gestalten. Gemeinsam dekorieren sie Bänke, Mülleimer und Wände in bunten Farben.
Die Kinder lernen: Für eine saubere Umwelt muss man kämpfen
„Die Kinder sind sehr problembewusst“, sagt Jana Gottschalk von der Camp Group. „Aber sie bekommen selten den Raum, Probleme zu formulieren.“ Im Sommercamp an der Neuköllner Weise-Schule ist das anders. In der Kiezrallye haben sich die Grundschüler mal ganz genau umgeguckt: Was ist gut an Neukölln? Und was ist schlecht? Die Ergebnisse präsentierten die Kinder am Ende des Ferienlagers vor Politikern im Neuköllner Rathaus. Um vor dem stellvertretenden Bürgermeister oder dem Bildungsstadtrat zu sprechen, muss man natürlich viel Mut aufbringen. „Wir üben mit den Kindern vorher spielerisch, ihre Beobachtungen zu formulieren“, sagt Leonie Beeskow. „Sie sollen verstehen, dass sie Teil ihrer Umwelt sind.“
Die 28-Jährige leitet das Neuköllner Sommercamp. Von der Neugierde der Grundschüler ist sie beeindruckt. Die studierte Sozialwissenschaftlerin wohnt auch selbst in Neukölln. „Es ist auch meine eigene Umwelt, um die es hier geht“, sagt sie und lächelt. Das Recht auf frische Luft, Grünflächen und wenig Lärm – das verstehen Beeskow und Gottschalk unter Umweltgerechtigkeit. Aber dafür muss man kämpfen. Das gilt für Erwachsene genauso wie für Kinder.
Die "Camp Group" arbeitet auch international
„Vielen Kindern fehlen die Vorbilder“, sagt Gottschalk. „Wir wollen ihnen den Kontakt zu Entscheidungsträgern ermöglichen und ihnen zeigen, dass ihre Meinung gehört wird.“ Die Camp Group wurde vor einigen Jahren von der Erziehungswissenschaftlerin Heather Cameron gegründet. Sie will sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen mehr politische Teilhabe ermöglichen. Sport, Spiel und Bildung sollen das Selbstbewusstsein und das Verantwortungsgefühl der jungen Menschen stärken. Die Initiative finanziert sich durch Spenden und öffentliche Fördermittel. Auch in Südafrika ist die Camp Group mit dem Projekt Boxgirls in Kapstadt aktiv.
Das RespAct-Ferienlager gibt es aber nicht nur in Neukölln. Parallel findet ein weiteres in Kreuzberg statt. „Viele Kinder haben nicht die Möglichkeit, in den Ferien zu verreisen“, sagt Koordinatorin Jana Gottschalk. „Im Camp haben sie trotzdem viel Abwechslung vom Alltag.“
Die Kinder sollen sich anschließend mit ihrem Kiez identifizieren
Ein Drittel der Kinder ist erst in den letzten zwei Jahren nach Deutschland gekommen. Sie besuchen häufig die Willkommensklassen der sieben teilnehmenden Grundschulen in Neukölln. Manche Kinder kommen auch aus den Notunterkünften im Bezirk. Diese Vielfalt ist für Beeskow und Gottschalk ein Vorteil: Denn so entstehen im Camp ganz nebenbei Freundschaften zwischen Kindern mit verschiedenen Muttersprachen.
Gottschalk und Beeskow arbeiten eng mit dem Quartiersmanagement zusammen. Wo sind Problemgebiete? Welche Schulen brauchen Angebote? Vom Quartiersmanagement haben sie den Tipp bekommen, zwei Stromkästen in der Schillerpromenade und der Allerstraße zu bemalen. Ausgerüstet mit Sprühfarbe, Schablonen und Schutzkleidung gestalten die Kinder die beiden Netzstationen. Am Ende sollen die Schüler sich mehr mit dem Bezirk identifizieren, den sie aktiv mitgestaltet haben. Denn eigentlich mögen die Kinder ihren Heimatbezirk gerne: „Vor allem die vielen Bäume, die Cafés und die Geschäfte mit Lebensmitteln aus aller Welt.“
Jana Scholz