Gemeinsam gegen den Brustkrebs: Kerstin Rettke zieht im Kampf gegen den Krebs Kraft aus dem Frauenlauf
Auch vom Tagesspiegel geht ein Charity-Team an den Start, um Spenden für Brustkrebspatienten zu sammeln.
Der Tag, der Kerstin Rettkes Leben auf den Kopf gestellt hat, den wird sie nie vergessen. Es ist der 15. Mai 2005. An diesem Tag hat man ihr gesagt, sie habe Brustkrebs: im Alter von 40 Jahren, mit zwei kleinen Kindern. „Die Nachricht traf mich wie ein Schlag ins Gesicht.“ Für Kerstin Rettke bricht in diesem Moment eine Welt zusammen.
Unzählige Gedanken schossen ihr durch den Kopf – vor allem aber hatte sie Angst um das eigene Leben. „Das konnte es einfach noch nicht gewesen sein mit meiner Zeit auf der Erde“, sagt sie. „Ich konnte nicht einfach so aufgeben, kampflos. Allein schon wegen meiner Familie ging das nicht.“ Kerstin Rettkes Stimme wird brüchig, wenn sie sich zurückerinnert. Ihre Kampfansage an den Krebs aber war klar und deutlich. Kraft schöpfte die gebürtige Berlinerin in der schweren Zeit vor allem aus dem enormen Rückhalt, den ihr die Familie gab. „Für meine Angehörigen war das ebenso ein Ausnahmezustand wie für mich“, sagt sie. Vor allem ihr Mann hatte extreme Angst um sie: Erst einige Jahre zuvor hatte er seine Mutter verloren – durch Brustkrebs. Jetzt durfte ihm der Krebs nicht auch noch die Ehefrau nehmen.
Die Familie tat alles, um ihren Alltag erträglich zu machen. Doch selbst die größte Unterstützung kann einen Menschen nicht auf das vorbereiten, was der Heilungsprozess einem abverlangt. Am schlimmsten war für Kerstin Rettke, durch die Chemotherapie ihr langes, dickes Haar zu verlieren. „Das hat mich für die Leute draußen zu einem Aushängeschild gemacht. Jeder wusste sofort – die hat Krebs.“ Zu Hause band sie sich immer ein Tuch um den Kopf, weil sie den Anblick ihrer Glatze nicht ertragen konnte. „Komplett ohne Kopftuch zeigte ich mich erst auf der Reha in Usedom. Da ging das, da waren wir Krebspatientinnen unter uns“, sagt die Berlinerin. Vier Wochen verbrachte sie im März 2006 auf der Insel in der Ostsee. „Wenn ich dort die anderen glatzköpfigen Frauen ansah, war es, als würde ich in einen Spiegel schauen.“
Für Rettke war die Zeit dort eine sehr prägende, die sie lehrte, ihre Erkrankung zu akzeptieren. „Je vehementer man sich gegen den Brustkrebs sträubt, desto schwieriger wird es. Ändern kann man die Diagnose ohnehin nicht mehr – aber man kann an seinem mentalen Umgang mit der Krankheit arbeiten.“ Stimmungsaufhellende Tabletten hat sie abgelehnt. „Wenn man am Boden ist, muss man sich dabei selbst spüren können – und dieses Gefühl nicht betäuben. Nur so schafft man es auch, aus eigener Kraft wieder aufzustehen.“ Kraft, die sie auch aus dem Sport gezogen hat. „Manchmal habe ich den Kopf beim Loslaufen voller negativer Gedanken“, sagt sie. „Aber je länger ich laufe, desto mehr spüre ich, wie all das von mir abfällt und sich positive Gefühle einstellen.“ Das sei es, was sie am Sport so sehr liebe – und was ihr auf ihrem Weg der Genesung enorm geholfen habe.
"An diesem Tag sind wir alle wie eine einzige große Familie"
Schon bevor die Kinderkrankenschwester an Brustkrebs erkrankte, lebte sie sehr aktiv. Sie hat auf eine gesunde Ernährung geachtet, ist geschwommen, Rad gefahren und viel gelaufen. Während ihrer Reha wollte sie an ihr Leben vor der Krankheit anknüpfen und schloss sich kurzerhand der Walking-Gruppe an. Dabei trug die Therapeutin ein bedrucktes Shirt vom Avon-Frauenlauf. Kerstin, die bislang noch nie davon gehört hatte, wurde neugierig: „Als ich erfahren habe, dass damit ein Charity-Lauf gemeint ist, der mit seinen Einnahmen die Brustkrebsforschung unterstützt, war ich sofort Feuer und Flamme.“
Noch im selben Jahr meldete sie sich für ihren ersten Lauf an – und ist mittlerweile seit 13 Jahren dabei. Der Avon-Frauenlauf gilt als größter Spendenlauf Deutschlands und zieht jährlich weit über 10 000 Läuferinnen an. Besonders attraktiv machen ihn seine Voraussetzungen: Dabei ist es jeder Frau selbst überlassen, ob sie fünf oder zehn Kilometer lang joggen oder walken möchte und ob die Zeit gemessen werden soll oder nicht. Damit wird Frauen jeden Fitnesslevels die Teilnahme ermöglicht. „Es ist so toll zu sehen, dass es Jahr für Jahr mehr Frauen werden“, sagt Kerstin, deren Tochter ebenfalls mitläuft.
Am 18. Mai 2019 gehen die beiden jetzt wieder zusammen an den Start. Und das, obwohl Kerstin seit Dezember 2018 wieder an einer neuen Front gegen den Krebs kämpft: Ihre Knochen sind als Folge des Brustkrebses von Metastasen befallen. „Der Schlingel kommt immer wieder ums Eck“, sagt Kerstin. „Man geht immer zwei Schritte nach vorne und einen wieder zurück.“ Doch sie ist und bleibt eine Kämpferin – mit einer unglaublich positiven Lebenseinstellung, die sie sich trotz aller Rückschläge nicht nehmen lässt.
„Meine Strategie ist es, jeden einzelnen Tag in vollen Zügen zu genießen und ihn bewusst zu leben.“ Wenn andere schon längst aufgeben hätten, steht Kerstin wieder auf, das ist zu spüren. „Man darf sich von keinem Krebs der Welt unterkriegen lassen, während man für seine Ziele kämpft." Eines dieser Ziele ist die Teilnahme am Frauenlauf – Spaß mit ernstem Hintergrund: „Der Lauf verbindet. Er zeigt jeder einzelnen Frau: Du bist nicht allein.“ In ihrer Stimme schwingt Vorfreude mit: „An diesem Tag sind wir alle wie eine einzige große Familie.“
SO LÄUFT ES AB
Bereits zum 36. Mal findet am 18. Mai der Avon-Frauenlauf statt. Was als kleine Veranstaltung begann, ist inzwischen zum größten Frauenlauf Deutschlands angewachsen. Ca. 18 000 Teilnehmerinnen werden auf der Strecke durch den Tiergarten in Mitte dabei sein und Spenden für die Berliner Krebsgesellschaft e. V. sammeln. Die Gelder kommen Brustkrebs-Betroffenen zugute. Auf dem Programm stehen ein Fünf- und ein Zehnkilometerlauf sowie eine Walkingstrecke.
Jana Rudolf