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Sian Prime leitet das Institute for Creative and Cultural Entrepreneurship an der Goldsmiths University of London und war Gründungsmitglied des National Endowment for Science, Technology and the Arts (Nesta).
© privat

Design-Beraterin Sian Prime: „Kenne dein Geschäftsmodell!“

Von London lernen: Die britische Design-Beraterin Sian Prime über Fördereinrichtungen, Investitionen und die Kühnheit der Kreativen.

Miss Prime, wir sammeln Ideen für die Modestadt Berlin. Auf welche Hindernisse für eine erfolgreiche Selbstständigkeit in einer künstlerischen Branche stoßen Sie immer wieder?

Es sind drei Themen: Finanzierung, das nötige Fachwissen und die Persönlichkeit der Kreativen. Vor allem letzteres ist ein unterschätzter Faktor. Menschen, die als Selbstständige in die Kunst- und Designbranchen einsteigen wollen, brauchen das Selbstvertrauen, ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln, das sowohl zu ihnen als auch zur Branche passt – und sie müssen ehrgeizig sein und das auch ausdrücken.

Wie ist das speziell bei Modedesignern?
Modedesigner haben oft das Gefühl, in einer unglaublich straff organisierten, unflexiblen Branche zu arbeiten: Es gibt zwei Anlässe pro Jahr, neue Kollektionen zu zeigen und sehr standardisierte Formen, auf die eigene Arbeit aufmerksam zu machen. Auch die Kosten für eine Kollektion sind im Vergleich zu anderen Bereichen unglaublich hoch. Ich rate Modedesignern, ihr kreatives Talent, die Fähigkeit zur Innovation von ihrem Produkt auf ihr Geschäftsmodell und die Abläufe in der Branche zu übertragen. Es geht um den Weg zum Endverbraucher.

Sie haben in unterschiedlichen Organisationen gearbeitet, die Designer unterstützen. Eine davon war die einflussreiche „National Endowment for Science, Technology and the Arts“ (Nesta), eine öffentliche Stiftung, die 1998 gegründet wurde.
Nesta war die Idee des Filmproduzenten Lord David Puttnam und des Labour-Politikers John Newbigin. Puttnam fand, dass es von der Wissenschaft bis zur Kunst außergewöhnliche Talente in Großbritannien gab, aber wir neue Wege brauchten, um von einer Idee zu einem Geschäftsmodell zu kommen. Nesta wollte Verfahren dafür entwickeln, wie Innovationen die größtmögliche Wirkung entfalten können.

Im Gegensatz zum British Fashion Council, der vor allem Personen fördert, will Nesta vorhandene Infrastrukturen für Kreative verbessern. Ein Teil Ihrer Arbeit bei Nesta war das „Creative Pioneer Programme“.
Wir wollten herausfinden, was mit der kreativen Kühnheit junger Designer passiert. Oft zeigen sie ja ihre anspruchsvollste Arbeit bei der Abschlusspräsentation ihres Studiums. Ein, zwei Jahre später scheinen viele das Gefühl zu haben, der Markt verlange von ihnen, weniger provokativ zu sein.

Wie muss man sich diese Suche nach neuen Förderungs- und Beratungsansätzen vorstellen?
Wir haben beobachtet, wie Designer und Agenturen, die wir außerordentlich fanden, ihre Firmen führten. Dann luden wir Modemacher ein, uns von ihrer Arbeit und ihren Problemen zu erzählen. Aus diesen Studien entwickelten wir einen eigenen Ansatz, der sicherstellt, dass alle Teilnehmer ihre Finanzierungsmodelle genauso gut verstehen wie jeden anderen Teil ihres Geschäfts.
Nesta berät Politik und Universitäten darin, wie Kreative besser unterstützt werden können.
Heute bieten viel mehr Hochschulen Unterrichtseinheiten dazu an, wie man ein Unternehmen aufbaut. Große Wirkung hatten auch die Empfehlungen des „Creative Britain Report“, der 2008 erschien. Dazu gehörte der Aufbau eines Investitionsfonds von drei Millionen Pfund, um jene zu unterstützen, die schon ein Unternehmen gegründet hatten und somit nicht im Rahmen der Talentförderung unterstützt werden konnten.

Warum sollten Politik und Privatwirtschaft die Kreativen unterstützen, statt sie einfach dem Markt auszusetzen?
In diesem Bereich haben schon kleine Summen finanzieller Unterstützung einen großen Effekt. Außerdem sind Geschäftsmodelle in der Kreativindustrie völlig anders als in anderen Branchen, da ist spezielle Beratung notwendig. Die Kultur- und Kreativbranchen sind zudem essentiell für das Wohlbefinden der Menschen – nicht nur derer, die darin arbeiten. Und sie sind eigentlich in jedem Land Wachstumsbranchen.

In Berlin werden derzeit die Rufe nach einer Institution laut, um die Modebranche zu unterstützen. Was würden Sie einem solchen Gremium raten?
Es ist wichtig, mit einer klaren Vorstellung davon zu starten, was sowohl die Branche als auch Beteiligte außerhalb der Branche von so einer Institution erwarten. Dann würde ich ein Programm aufsetzen und erst einmal 18 Monate lang ausprobieren, was die größte Wirkung hat – finanzielle Förderung, Coaching, Peer-to-Peer-Unterstützung, Zugang zu Experten?

Wer sollte in einem Moderat vertreten sein?
Ich würde Leute dazuholen, die nicht aus dem Sektor kommen. Anwälte und Buchhalter etwa, die Teil eines Mode-Businessteams werden können. Man kann in anderen Disziplinen Mentoren finden, die selbst Kreativunternehmen leiten.

Würden Sie einen viel versprechenden Absolventen oder Jungunternehmer eher finanziell oder eher mit Beratung fördern?
Ich würde mich für Coaching entscheiden, damit er oder sie sich über Ziele klar wird, ein Geschäftsmodell entwickeln und umsetzen kann. Von dort aus sollte es möglich sein, an Kapital zu kommen. Ich würde also auch Investoren beraten, damit sich beide Seiten treffen.

Das Gespräch führte Maria Exner.

Sian Prime leitet das Institute for Creative and Cultural Entrepreneurship an der Goldsmiths University of London und war Gründungsmitglied des National Endowment for Science, Technology and the Arts (Nesta).

Immer wieder wird der British Fashion Council (BFC) als mögliches Vorbild für einen deutschen Moderat genannt. Er ist maßgeblich an der Förderung der britischen Designerstars beteiligt. Anfang der 80er Jahre kämpfte die Modebranche in London mit zwei Problemen: Die Fashion Week musste sich nach den Terminen von Mailand und Paris richten und als „Nachlese“ hinten anstehen – und die Modemessen wurden von Unternehmern organisiert, die kaum Interesse an der Entwicklung des Standortes zeigten und sich gegenseitig Konkurrenz machten. Um eine Interessensvertretung der gesamten Branche sicher zu stellen, wurde 1981 die Fashion Industry Action Group gegründet, aus der sich 1983 der British Fashion Council entwickelte. Zunächst misstrauten die Designer dem Rat, der als Sprachrohr der Bekleidungsindustrie galt. Das änderte sich, nachdem es dem BFC 1988 gelang, 100 000 Pfund aus der Privatwirtschaft einzuwerben und noch einmal den gleichen Betrag von der Regierung zu bekommen. So konnte der Rat die British Fashion Awards und das 1993 eingeführte „NewGen“- Förderprogramm für junge Designer finanzieren. Heute ist der BFC das zentrale Organisationsorgan der Londoner Modewoche, vermittelt zwischen Modemachern, Industrie, Presse und Politik. Kritiker werfen dem Council vor, zu stark im Interesse von Konzernen wie Topshop und damit zu Lasten kleiner Firmen zu agieren. Der BFC ist die wichtigste Institution für Mode in Großbritannien. Daneben hat sich die National Endowment for Science, Technology and the Arts, kurz Nesta, als nationale Designförderung etabliert. Nesta fördert nicht nur Einzelpersonen, sondern schaut sich Strukturen und Arbeitsweisen der Kreativbranche an und stärkt diese. Eine Institution wie Nesta könnte für Berlin und den Designstandort Deutschland ein passendes Modell sein.

Maria Exner

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