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Der Schuss kommt eh. Eine liberalere Drogenpolitik könnte Junkies vor Risiken schützen.
© dpa

Drogenpolitik in Berlin: Kein Heroin ist auch keine Lösung!

Bei weichen Drogen wie Cannabis wird die Möglichkeit des legalen Verkaufs breit diskutiert. Bei harten Drogen wie Heroin dagegen nicht. Dabei gilt auch hier: Die Illegalität nutzt den besonders Skrupellosen.

Ein trüber Blick, der ab und zu aufflackert, fahle Haut, Furchen im Gesicht. In der einen Hand ein Billigbier, in der anderen eine Kippe, die ab und zu in einen Mund mit Stummelzähnen gesteckt wird. Zwei Männer mit ähnlich fahlen Gesichtern stehen daneben, zischen „... Kippen ...!“ – und bald hat der Mann mit dem Bier eine Hand an der Kehle, die Zigaretten werden ihm weggenommen. Alle drei sacken erschöpft nebeneinander auf die Bordsteinkante, dösen bald.

Das alles geschieht an einem Mittwoch, kurz vor 9 Uhr, direkt vor einer Arztpraxis in einem belebten Kiez – und es passiert so oder ähnlich, seit es diese Praxis gibt. Denn dort holen Heroinsüchtige Methadon ab, den Ersatzstoff. Und so gibt es oft Schlägereien um Nichtigkeiten, schlafen Abhängige bei Minusgraden auf dem Gehweg ein, steigen Dealer – direkt vor der Praxis – aus ihren Autos, um aus den Taschen ihrer Parkas kleine Kügelchen feilzubieten, was nie lange dauert, weil die zerfurchten Gestalten eifrig zugreifen: Heroin ist eben besser als der Ersatz.

Wer solche Szenen beobachtet, kommt irgendwann zum Schluss: Kein Heroin ist auch keine Lösung! Und Methadon ist eben nur Ersatz, der auch unter Ärzten nicht unumstritten ist. Einfach ist die Sache nicht. Drogen sind ein Risiko, auch Alkohol ist für viele einsame Menschen ein tödliches Gift. Heroin freizugeben, das darf nicht bedeuten, dass jedermann im Supermarkt schnupf- oder spritzfertigen Stoff bekommt. Aber schon jetzt gibt es härtere Betäubungsmittel auf Rezept in jeder Apotheke. Trotzdem regt sich niemand über die Medikamentensüchtigen auf, von denen es Zehntausende in dieser Stadt gibt.

Die Zahl der Heroinsüchtigen in Berlin wird seit 20 Jahren auf rund 8000 geschätzt. Sie nimmt, nach allem, was man weiß, nicht zu. Und das, obwohl es Heroin zwar nicht in Apotheken, aber in drei U-Bahn-Linien, an zehn Bahnhöfen und eben vor zahlreichen Arztpraxen zu kaufen gibt. Interessenten müssen nicht mal fragen, geübte Dealer kommen auf Neugierige zu. Profitiert die Gesellschaft da noch von einem Verbot?

Zu den Dealern sei gesagt, dass ihre Konsumenten fast nie am Heroin sterben. Sie sterben an den Streckmitteln, oft Substanzen, die in Backpulver oder Rattengift gehören, die dem Heroin beigemischt werden, um den Verkauf profitabler zu machen. Die Großhändler wiederum gehören zum Härtesten, was die Halbwelt zu bieten hat: Wer mit Heroin handelt, weiß, worauf er sich einlässt, die Strafen sind hoch, oft drohen zehn, zwölf Jahre. Die Männer (seltener Frauen), die Schmuggel und Verkauf organisieren, müssen in engmaschige Netzwerke professioneller Macher eingebunden sein. Die fahlen Gesichter ihrer Kunden dürfen bei ihnen kein Mitleid wecken. Schon in den asiatischen Anbaugebieten fechten archaische Clans und der eine oder andere Verbündete des Westens mit brutalen Methoden ihre Reviere aus. Hat das weltweite Heroinverbot in Afghanistan zu irgendetwas Positivem geführt? In den Zielländern profitieren dann Männer, deren Strukturen dem staatlichen Druck standhalten. Das Verbot begünstigt Menschen, die der Konkurrenz an Skrupellosigkeit überlegen sind.

Gäbe es Heroin aus der Apotheke, wäre dies nicht nur ein Schlag gegen große Warlords in Asien und kleinere in Europa. Es wäre ein Gebot des Humanismus, den Süchtigen – also Schwerkranken – keine gepanschten Stoffe mehr andrehen zu lassen. Und das Milieu ließe sich, wo Süchtige sich nicht mehr vor Methadon-Praxen um Stoff (oder Kippen) kloppen, nachhaltig befrieden.

Wer diesen Text – trotz inneren Ärgers womöglich – bis hier gelesen hat, dem sei noch eine Geschichte erzählt: Ein Drogenexperte spricht seit Jahren auf Veranstaltungen zum Thema. Dort fragt er die Gäste regelmäßig, ob sie Heroin nähmen. Warum nicht?, fragt er dann. Die Gäste antworten fast immer so etwas wie: weil es gesundheitsschädlich ist, oder weil ich diesen Rausch nicht brauche. Die Leute sagen nicht: weil ich sonst in den Knast komme. Nicht Strafandrohung hält viele Menschen von gefährlichen Stoffen ab, sondern Vernunft.

Übrigens: Der Experte heißt Frank Tempel, er war jahrelang Drogenfahnder.

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