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Berlin: Kein Anschluss unter dieser Wartenummer

Was Berliner an Ämtern nervt – und was sie loben.

Es ist genau zwölf Uhr, die Freiheitsglocke läutet vom Turm des Rathauses Schöneberg. Offiziell schließt das Bürgeramt um 13 Uhr; es warten derzeit 22 Leute. Sie wollen Pässe beantragen oder abholen, sich ummelden, einen Anwohnerparkausweis haben oder den P-Schein verlängern. Still und geduldig wird gewartet. Nach der Meinung gefragt, zeigt sich aber mancher unzufrieden. „Ich habe schon in vielen Städten gelebt, aber hier in Berlin ist die Verwaltung am schlimmsten“, sagt eine 53-Jährige, die mit ihrer 24-jährigen Tochter ausharrt. Die Tochter will einen neuen Pass beantragen, die Mutter ihren Pass abholen. Die Tochter hat sich für 12 Uhr einen Termin geben lassen, um 12.10 Uhr ist sie dran. Das ist doch ganz gut? „Ja, aber die hiesige Bürokratie ist so kompliziert, immer muss man zu anderen Stellen“, sagt die Mutter. Sie wünscht sich alle Verwaltungsleistungen aus einer Hand.

Ein Iraner, in Berlin Taxifahrer, kann der Sache trotzdem etwas Positives abgewinnen. „Einen Vorteil hat die deutsche Bürokratie: Man erreicht sein Ziel“, sagt der 60-Jährige. Die Abläufe seien berechenbar, das findet er gut. Gerade sei er zwei Wochen in der Heimat gewesen, um eine Erbschaftsangelegenheit zu regeln, und obwohl er jeden Morgen als Erster in der Behörde gewesen sei, hat das nicht geklappt. „Die sitzen dann da und trinken Tee und schicken einen herum“, sagt er. Das habe ihn schier zur Verzweiflung gebracht, da lobe er sich Deutschland. Beide, die Mutter und der Iraner, sagen noch: „Arztbesuche sind viel schlimmer.“

Das mit dem Tee kommt Miriam Ghazi, 27, allerdings auch aus deutschen Amtsstuben bekannt vor. „Bei der Hälfte der Sachbearbeiter hat man das Gefühl, die holen sich gerade einen Kaffee, machen Pause oder quatschen, obwohl der Warteraum voll ist.“ Sie hingegen verschiebe bei der Arbeit ihre Pause, wenn ein Kunde da sei. Durch einen Abstimmungsfehler zwischen Prüfungsamt und Universität müsse sie jetzt länger auf den Referendarplatz warten, sagt die Juristin, die gerade das erste Staatsexamen abgelegt hat. Generell sei die Kommunikation der Behörden sowohl untereinander als auch mit den Bürgern nicht zufriedenstellend. Heute will sie im Rathaus Charlottenburg einen neuen Pass beantragen. Nach gut zwei Stunden ist sie dran. Warum sie sich keinen Termin hat geben lassen? „Ich brauche meinen Pass in fünf Wochen; der nächste Termin war aber erst in sechs Wochen zu haben. Dann nützt er mir nichts mehr.“

Auch viele andere junge Leute sitzen ohne Termin da. „Ich bin nicht so ein Typ, der vorausplant“, sagt ein 26-Jähriger. Er sei eher spontan gekommen, um sich umzumelden. Um 13 Uhr, als das Amt offiziell schließt, sind noch 32 Wartenummern vor ihm dran. Mehrere Wartende beklagen eine fehlende Dienstleistungsmentalität in den Behörden. „Es ist doch Aufgabe der Verwaltung, für den Bürger da zu sein“, sagt eine Frau. „Es ist nicht richtig, wenn man dann wie ein Bittsteller behandelt wird.“ Oft scheinen Ämter sich auch nicht auf aktuelle Entwicklungen einzustellen, selbst wenn diese absehbar sind – etwa der Run auf Reisepässe und speziell Kinderpässe kurz vor den Sommerferien. Denn pünktlich zur Urlaubs- und Reisezeit trat die Neuregelung in Kraft, dass jedes Kind einen eigenen Reisepass braucht.

„Da sollte das Amt seine Kräfte bündeln“, sagt eine Mutter aus Neukölln. Stattdessen erlebte sie kurz vor den Ferien Folgendes: Im Bürgeramt Blaschkoallee zog sie an einem Donnerstag kurz nach Öffnung des Amtes um 11 Uhr die Wartenummer 36. Nach langer Wartezeit, während der nur sehr selten eine neue Nummer aufgerufen wurde, fuhr sie nach Hause, holte ihre Kinder aus Kita und Schule ab und kam um 16.30 Uhr wieder – ihre Nummer war noch lange nicht dran, und das Wartezimmer war noch viel voller. Der Nummernautomat war längst abgeschaltet, obwohl das Amt offiziell bis 18 Uhr geöffnet hatte. Als sie nach einer weiteren halben Stunde aufgab und sich zum Gehen entschloss, rief eine Frau: „Können Sie mir Ihre Wartemarke geben? Ich habe Nummer 68.“ Die Mutter vergab ihre Marke, da rief eine weitere Frau unter dem Gelächter des Saals: „Kann ich dann die 68 kriegen? Ich habe 105.“ Fatina Keilani

Fatina Keilani

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