Shoppingcenter am Leipziger Platz: Kaufhaus des Bestens
Am Leipziger Platz wächst ein Shoppingcenter der Superlative auf Wertheims altem Areal. Die Baustelle: sechs Fußballfelder groß.
Der Rohbauleiter schiebt bedächtig den weißen Helm ins Genick: „Wir haben im Moment keine schlechte Laune.“ Langsam wandert sein Blick über den grauen Betonblock bis zur Spitze des nächsten roten Krans. Felix Frackowiak meint, dass sich langsam bei den Bauleuten das Gefühl einstellt, wie dieses Haus einmal aussehen wird, wenn’s fertig ist: „ziemlich phänomenal“. Nicht allzu häufig ist man als Bauarbeiter an einem Projekt beteiligt, das für sich wirbt, demnächst das neue Herz der Stadt zu sein. Jetzt ist zu sehen, dass die Bebauung des ehemaligen Wertheim-Areals entlang der Leipziger Straße vorangeht. Noch vor einem halben Jahr blickte man vom Oberdeck des 200er Busses in eine gähnende Grube. Neun Monate nach dem Baustart markieren 14 Kräne die – neben dem Berliner Stadtschloss – größte innerstädtische Baustelle. Sie ist nicht abgeschottet wie die BND-Kaserne in der Chausseestraße, sondern in gut einem Jahr offen für alle, die zwischen dem Leipziger-Platz-Oktogon und der Wilhelmstraße bummeln.
Das „Leipziger Platz Quartier“ auf dem Touristenpfad zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer-Platz-Arkaden wirbt mit der Verheißung „Shopping is coming home“ – eine Erinnerung an Zeiten, als bei Wertheims an diesem Ort die Kassen klingelten. Das einst größte Kaufhaus Europas sucht seinen Nachfolger an vertrauter Stelle. Aber wer erinnert sich noch an die von Alfred Messel entworfene Konsum-Kathedrale, an dieses Haus der Superlative, dessen Beliebtheit heute vielleicht nur mit dem KaDeWe zu vergleichen ist? Lange genug lag das Wertheim in Kriegstrümmern. In den fünfziger Jahren sollte sogar ein riesiges Thälmann- Denkmal an der Voßstraße gebaut werden, später folgten Mauerstreifen, Wachtposten und spanische Reiter – der Leipziger Platz war zur toten Zone geworden.
Wer die sechs Fußballfelder große Baustelle umrundet, registriert, dass die neuen Obergeschosse schon die Nachbarhäuser überragen. Der monatelange Aushub der Grube ist längst Geschichte, aber ein Blick ins Protokoll belegt die Dimension: „Das Material unterhalb der Auffüllschichten mit einer Mächtigkeit von ca. zehn Metern bestand aus Sand. Ein herrliches Material, weiß und perlig wie am Strand. An Spitzentagen waren bis zu 35 Lkw im Einsatz, die bis zu sieben Mal die Baustelle anfuhren. Jeder Lkw lud 17 Tonnen gelockerten Boden. Als die Baugrube vollständig ausgehoben war, waren etwa 280 000 Kubikmeter feste oder 476 000 Tonnen lose Masse bewegt worden. Das ergab, alle Lastwagen hintereinander gestellt, eine Strecke von 580 Kilometern, einmal Berlin – München.“ Und es lief wie am Schnürchen, auch später beim Betonschütten, kein arbeitsfreier gähnender Sonnabend wie auf unzähligen anderen Baustellen an den Straßenrändern Berlins.
Ein Mensch, der nicht vom Bau ist und ins quirlige Innenleben eines bald rohbaufertigen Hauses gerät, versteht nur Bahnhof, wenn ihm die Fachwortfetzen um die Ohren fliegen. Ursula Pauen-Höppner von der Arbeitsgemeinschaft Leipziger Platz Nr. 12, versucht, das Geheimnis zu erklären: „Wir haben fünf Rohbauleiter, die dafür garantieren, dass alle Materialien richtig bestellt werden und pünktlich kommen. Es ist wie bei einem gut vorbereiteten Menü: Planung, Einkauf, Arbeitsvorbereitung und Ausführung – alles muss ineinandergreifen. Wir können nicht unorganisiert agieren nach dem Motto: Eh, Atze, wo ist denn nun der Stahl fürs dritte OG?“ Und dann noch ein Lob für die Mannschaft: „Alle tragen dazu bei: die Bauleiter, die Poliere – und die beteiligten Firmen müssen ihren Otto und Jürgen und Ahmed im Griff haben.“
Der Oberbauleiter für den Rohbau, Jörn Assmann, sitzt in seinem Baucontainer, vor sich Telefone, Laptop und Grafiken. Er muss nicht über Pläne diskutieren, die Pläne sind längst da. „Ansonsten braucht man schlaue, zupackende Leute. Und die haben wir.“ Momentan 480 Arbeiter aus Europa. Die bauen, was ihnen die Architektengemeinschaft Pechtold und „nps Tchoban Voss“ vorgegeben hat: vier unterirdische Etagen mit 1000 Autostellplätzen, darüber acht Geschosse. Ab dem dritten werden Mietwohnungen gebaut, darunter glitzert unter einer Glaskuppel die bunte Warenwelt: Gut 93 Prozent der 76 000 Quadratmeter Fläche sind an 250 Geschäfte vermietet, selten zuvor gab es in einem Neubau so viele Cafés und Restaurants. „Der Foodcourt im zweiten Obergeschoss wird der größte und vielfältigste in ganz Deutschland sein“, heißt es beim Investor Harald-Gerome Huth. Seine bisherigen Projekte („Gropius-Passagen“, „Das Schloss“, St.-Annen-Galerie in Brandenburg) werden am Leipziger Platz übertroffen: Die Investitionen samt Grundstückskauf und Innenausbau betragen 800 Millionen Euro. Oberbauleiter Assmann sieht dabei den privaten Bauherren gegen einen öffentlichen im Vorteil: „Der kennt sich überall aus und entscheidet, weil er stets in der ersten Reihe steht.
H.G. Huth bezeichnet sein Projekt für Berlin als „das letzte Puzzleteil, das in Berlins Mitte fehlte, um das zu sein, was alle Touristen und Besucher dort erwarten: interessante Kultur, tolle Architektur und eine der Hauptstadt angemessene Einkaufsmöglichkeit im Herzen der Stadt“. Gibt es in Berlin nicht schon genug Orte, an denen man sein Geld ausgeben kann? Ach was, Huth ist da Optimist. London, Paris, Prag, Hamburg, München geben dem Investor die Gewissheit, dass das Projekt ein Erfolg wird. „Da, wo die meisten Touristen und Sehenswürdigkeiten sind, findet man auch interessante Einzelhandelspunkte.“ Der für ein Shoppingquartier einmalige Mietermix sei für Besucher aus New York oder Oldenburg neu, und die Vermietung von 250 Geschäften spricht dafür, dass sich die Mieter des Erfolgs am Standort Leipziger Platz sicher sind. „Wenn man dann bedenkt, dass das, was wir hier entwickeln, nur das Wiederbeleben einer alten Einkaufsstätte von vor hundert Jahren ist, blicken wir in freudiger Erwartung auf die positiven Effekte für die Stadt Berlin.“
In einem Jahr kann man von der Mohrenstraße überdacht bis zum Potsdamer Platz laufen, eine Mall verbindet den Leipziger Platz mit der Piazza, gibt den Blick frei auf den Bundesrat. Und während man dann in vier Etagen isst, trinkt und kauft, zischt unter dem Haus die U 2 entlang. Der Tunnel ist gut verpackt. Aber das ist wieder ein neues Thema.
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