zum Hauptinhalt
Vor allem Manfred Fischer ist es zu verdanken, dass die Kapelle der Versöhnung wieder gebaut wurde.
© dpa

Pfarrer Manfred Fischer gestorben: Kämpfer für das Mauergedenken

Unermüdlich stritt er für die Bernauer Straße als Gedenkort. Nun ist Pfarrer Manfred Fischer in Berlin gestorben. Ein Nachruf.

Die Nachricht vom plötzlichen Tod des Pfarrers Manfred Fischer ist für jeden, der den 65-Jährigen kannte, nahezu unfassbar. Zu aktiv, zu umtriebig, voller Neugier und zu jung im Kopf und im Herzen, als dass an solch plötzliches Ende zu denken gewesen wäre. Nach einer Operation im Deutschen Herzzentrum wollte sein Herz nicht mehr weiterleben. Die Trauer ist groß. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit erinnert daran, dass nur wenige mit so viel Engagement für das Gedenken an der Mauer gekämpft haben. „Als Pfarrer der Versöhnungskirche musste er mit ansehen, wie das Gotteshaus jenseits der Mauer gesprengt wurde. Nach ihrem Fall hat er alles darangesetzt, das Erinnern an die Zeit der Teilung wachzuhalten.“

Ja, vor allem ihm hat die Stadt zu verdanken, dass an der Bernauer Straße noch Mauerreste stehen geblieben sind. Seine Beharrlichkeit, hier vor den Fenstern seines Gemeindehauses die Vor-Wende-Losung „Die Mauer muss weg!“ nach der Wende nicht in die Tat umzusetzen, hat ihm den Beinamen „Mauerpfarrer“ eingebracht. Fischer nahm für seinen Wunsch, dieses steinerne Monstrum als Zeugnis des real existierenden Arbeiter-und-Mauern-Staates zu bewahren, manchen Streit in Kauf, auch mit seinem Amtsbruder von der anderen Straßenseite. Fischers Motiv war schon 1990 ganz einfach: Wo, wenn nicht hier in der Bernauer Straße, hat sich Weltpolitik abgespielt! Hier sprang einer der Abriegelungs-Soldaten in voller Montur mit Stahlhelm und Kalaschnikow über den Stacheldraht. Das Bild ging um die Welt. Hier seilten sich die Leute von den Fenstern ab, weil die Hauseingänge nach Westen hin, die Hinterfronten der Mietshäuser aber im Osten lagen. Hier wurden nicht nur Fenster zugemauert und Häuser abgerissen, um freies Schussfeld zu haben, sondern eine ganze Kirche, seine Kirche, im Januar 1985 gesprengt.

Zum 50. Jahrestags des Mauerbaus führte er auch Angela Merkel und Norbert Lammert über das Gelände der Gedenkstätte.
Zum 50. Jahrestags des Mauerbaus führte er auch Angela Merkel und Norbert Lammert über das Gelände der Gedenkstätte.
© dpa

Die Wilhelminische Versöhnungskirche war 1894 am Rande des „Roten Wedding“ von Kaiserin Auguste Victoria eingeweiht worden, die meisten Gemeindemitglieder wohnten in Wedding, der nach 1945 zum Französischen Sektor gehörte, während das Gotteshaus im Sowjetischen Sektor stand, nach dem 13. August 1961 im Niemandsland. Bis am 22. Januar 1985 das Kirchenschiff in die Luft flog und sechs Tage später der Turm zur Seite fiel. Dieser Frevel „gemäß Maßnahmeplan für die Erhöhung von Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit an der Staatsgrenze zu Berlin-West“ sollte ebenso im Berliner Gedächtnis bleiben wie die Menschen, die an der Mauer starben. Sein Gemeindehaus wurde zum Hort des Widerstandes gegen das Vergessen, Manfred Fischer organisierte nicht nur den Bau der Kapelle der Versöhnung, in der man die Grundmauern der Vorgängerkirche sehen kann – er kam auch auf die Idee, jeden Tag, wenn die Glocke zur Andacht um zwölf Uhr rief, eines Maueropfers zu gedenken, indem jedermann Biografie, Beweggründe und Ablauf der missglückten Flucht vortragen konnte.

Nur logisch, dass Pfarrer Fischer – neben seinem Beruf, Menschen zu taufen, zu konfirmieren, zu verheiraten und auf dem letzten Weg zu begleiten – seit 2009 Vorsitzender des Fördervereins Berliner Mauer war und dem Beirat der Mauerstiftung angehörte. Stiftungsdirektor Axel Klausmeier sagt, „hartnäckig und gegen alle ökonomischem Bedenken“ habe der Pfarrer den Neubau der Versöhnungskapelle „als besonderes Zeichen im Dreiklang von Gedenkstätte, Dokumentationszentrum und Kapelle konzipiert und durchgesetzt“. Vielleicht hatten manche dem schmächtigen Mann, der aus seiner Geburtsstadt Frankfurt am Main nach dem Studium von Theologie, Philosophie und Kirchensoziologie in die halbe Stadt Berlin gekommen war, nicht zugetraut, dass er nach seiner ersten Predigt am ersten Advent 1975 lange im Schatten der Mauer bleiben würde. Er musste versprechen, wenigstens zwei Jahre durchzuhalten. Daraus sind dann 38 Jahre geworden. Am 28. April 2013 wurde der Gottesmann feierlich entpflichtet, er blieb seiner Gemeinde treu und „bekennend bescheiden“, wie sein Superintendent beim Abschied sagte. Zum Schluss gab es ein Kolloquium zu seinen Ehren, das Bundesverdienstkreuz und viele gute Wünsche. Bleiben werden das alljährlich von ihm angelegte Roggenfeld rund um die Lehmstampfkirche, die er eine „Ladestation für Lebensenergie und Gottesglauben“ nannte, seine Präsenz, seine Bücher. Und seine heitere Lebendigkeit.

Zur Startseite