Polit-Satire in Berlin: Kabarette sich, wer kann
Truppen-Uschi, Hitler, BER: In der Distel und bei den Stachelschweinen übt die Polit-Satire den Spagat zwischen Tradition und Erneuerung. Das kann mitunter scherzhaft sein.
Das Kabarett ist tot!
Was tun wir hier im Totenhaus
beim Leichenschmaus?
Georg Kreisler
Das Kabarett war nie töter
als jeden Tag in den letzten hundert Jahren.
Mathias Richling
Es heißt, das Kabarett sei tot. Vorbei, nicht mehr zeitgemäß, das Verfallsdatum lange überschritten, deshalb ungenießbar. Es heißt, das Kabarett, es habe sich, auch eine Kunst, selbst zu Grabe getragen. Totgelacht. Ein Bericht über das politische Kabarett muss deshalb immer gleich ein Nachruf sein. Aber stimmt das wirklich?
Wenn das Kabarett tot ist, was passiert dann jeden Abend in der Distel, ehemaliges Ost-Berlin, und im alten Westen bei den Stachelschweinen, wo das Ensemble-Kabarett, diese Sonderform der auf die Bühne gestellten Satire, nach wie vor seine Orte hat, an denen es atmen kann, kein bisschen leise. Die Menschen, sie füllen die Säle ja nicht allein aus morbidem Voyeurismus, für die Totenmesse mit Sektflöte, sie kommen, weil da zwei Berliner Institutionen überdauert haben, in der eigenen Geschichte konserviert.
Erst einmal aber hat das Kabarett an diesem Montagmorgen ein Problem. Im Theatersaal der Distel probt das Ensemble die Wiederaufnahme des Jubiläumsprogramms „Endlich Visionen“.
Es ist das Erfolgsstück des vergangenen Jahres. Nun sind seitdem ein paar Monate in die politische Landschaft gegangen, und deshalb stehen dort auf der Bühne, im Rücken eine große goldene 60, vier Männer und zwei Frauen, die Schauspieler des Hauses, und wissen nicht so recht, wie es gleich weitergehen soll.
Die Musik stoppt, die Schrittfolge stoppt und die Gesichter stoppen auch. Die Distel, der Stachel am Regierungssitz, er sticht noch nicht wieder richtig. Die Taktlosen, sie sind aus dem Takt geraten.
Weil die WM in Brasilien vorbei ist, weil die FDP vorbei ist, vor allem aber, weil auch Klaus Wowereit bald vorbei sein wird. Und nun ganze Textstellen umgedichtet, in die Vergangenheit gesetzt oder gestrichen werden müssen.
Was sagen wir jetzt, Herr Bürgermeister, der Regierende? Alles Müller, oder was?
Klaus Wowereit tritt zurück und im Kabarett steht die Ratlosigkeit mit auf der Bühne.
Sie bekommen es dann aber hin. Dehnen die Silben ein wenig und lassen den Wowereit einfach drin, wo er nicht zu ersetzen ist.
Der Rest funktioniert wie gewohnt. Die Szenen, ein Dutzend Sketche, dazwischen Revuenummern mit Tanz und Gesang, mal ein Rap, eine Rede, eine Talkshowrunde. Einmal stehen zwei Soldaten und ein Vorgesetzter im Feld. Der eine spricht Sachsenanhaltinisch, der andere Rheinisch, der Vorgesetzte Stakkato. Sie testen die neue Drohne der Bundeswehr, Uschi III. Den Flugkörper zur Verteidigungsministerin, der schon am TÜV Rheinland gescheitert ist.
Am Ende bleibt nur der Schrott.
"Kabarett muss heute direkter sein"
Später dann sitzt eine mittlerweile 100-jährige Angela Merkel einem 80-jährigen Günther Jauch gegenüber, der sich zitternd auf einen Stock stützen muss. Merkel, die nicht mehr gut hört, lebt jetzt in einer WG mit Helmut Kohl, dem es blendend geht, so lange niemand die Kühlkette unterbricht. Am Ende verabschiedet sich Merkel bei Jauch mit den Worten: Vielen Dank, Herr Bundespräsident. Und beide singen ein Lied.
Kabarett, sagt Dagmar Jaeger nach der Vorstellung in einem Raum neben der Bühne, muss heute direkter sein. Früher, da haben die Leute auch reagiert, ohne dass du etwas genauer benannt hast.
Die Schauspielerin, Ost-Berliner Mädchen, kam 1989 zur Distel, angespült in den wirren Monaten, in denen sich ihr Land auflöste. Wenn Dagmar Jaeger also „früher“ sagt, meint sie auch immer die DDR. Eine Heimat, die Jaeger immer zu klein war, kein Land, eine Zumutung, aber trotzdem immer ein Teil von ihr sein wird. Kannste nüscht machen.
Weil man ohne die DDR weder die Distel noch Jaegers Biografie verstehen kann.
Sie ist damals aus Karl-Marx-Stadt zurückgekommen, wo sie 13 Jahre Theater spielte. Gemeinsam mit Ulrich Mühe und Michael Gwisdek. Eine Wahnsinnstruppe, sagt Jaeger, man spürt, dass sie das genossen haben muss, zu einer Familie zu gehören, die im Wahnsinn zu Hause war.
Mühe und sie sind irgendwann nach Berlin, haben am Berliner Ensemble vorgesprochen. Hörte sich alles gut an, große Zukunft in einem nun nicht mehr kleinen Land.
Mühe ist dann ans Deutsche Theater, sagt Jaeger, und ich wurde schwanger. So einfach ist das.
Junge Schauspielerin, Mutter. Da musste von irgendwatt leben. Die Distel, das Kabarett, es war ein Weg, die Kinder durchzubringen. Nur kurz, übergangsweise.
Wir haben mit der Wiedervereinigung nicht gerechnet, sagt Jaeger, das war dann alles sehr verrückt. Sie standen auf der Bühne und sind der Zeit hinterhergehechelt. Und Dagmar Jaeger tanzte die Veränderungen nach, die sie selbst erst begreifen musste.
Sie war nie Kabarettistin, ist es auch heute noch nicht. Sie ist eine Schauspielerin, die kabarettistische Texte spricht. Texte, die von anderen, von Autoren geschrieben werden. Ihre Kunst besteht darin, Meinung zu spielen und dabei in eine Rolle zu schlüpfen, ohne dass es am Ende aussieht wie eine Rolle. Dagmar Jaeger muss auch immer Dagmar Jaeger sein. Weil das Publikum es spürt, wenn die Wahrhaftigkeit in der Maske geblieben ist.
Es gibt in Deutschland nicht viele gute Kabarett-Schauspieler.
Die Distel, eine Waffe im Kampf der Systeme
Jedenfalls. Dagmar Jaeger, gleicher Jahrgang wie die Distel, ist 25 Jahre später immer noch da, macht immer noch Kabarett. Die kleine Kunst, wie sie sagt. Jaeger betrachtet sich selbst, den Beruf mit dieser feinen Selbstironie, die man sich aneignet, wenn man im politischen Irrsinn aufwächst, und braucht, wenn man den politischen Schwachsinn vertont. Sie erlaubt ihr, den Spaß zu ertragen, ohne darüber ernst zu werden.
Vielleicht, sagt sie, werde ich noch als komische Alte berühmt. Bis dahin aber wartet sie auf den nächsten Einsatz, die nächste Rolle, sitzt auch an diesem Tag wieder in diesem Hinterzimmer, in dem nicht viel ist außer Kaffee, Würfelzucker und eine fast schon erdrückende Gegenwart der Vergangenheit. Die Plakate der früheren Stücke hängen dort hinter Glas. Sie reichen von hier bis an den Anfang der Distel, 61 Jahre rückwärts. „Der Jubel rollt“. „Im Westen geht die Sonne auf“. „Keine Mündigkeit vorschützen“.
Die Erinnerungen, sie wurden auch ins Treppenhaus der Distel gemalt. Zitate, Zeitungsausschnitte, Auszüge aus den Stücken. Es ist ein Zeitstrahl, Ulbricht, der Trabant, Honecker. Unten die Karikaturen von Arno Funke, einst Kaufhauserpresser, jetzt Zeichner. Die Gesichter als Zerrbilder des politischen Alltags. Und je nachdem, in welche Richtung der Besucher läuft, kann jede Stufe ein Schritt in die Vergangenheit oder einer in die Zukunft des Hauses sein. Hoch oder runter. Ganz sicher scheint sich die Distel da selbst nicht zu sein.
Auf der Bühne steht an diesem Vormittag, zwischen den anderen Schauspielern, auch ein groß gewachsener Mann, die Haare, nun grau, noch immer lang. Edgar Harter, 67 Jahre alt, seit bald 40 Jahren im Ensemble der Distel, spricht einen Erinnerungstext in den noch leeren Saal.
Früher, sagt er, ausschweifende Geste ins Dunkel, haben wir hier vor sechs Leuten gespielt. Vor der SED, dem Magistrat von Ost-Berlin, und die Stasi saß in Personalunion gleich mit im Raum. Die haben sich das angeschaut, mit grauen Augen.
Die besten Pointen kommen immer wie Ohrfeigen. Harter also steht dort, Harter holt aus.
Geschichtsstunde.
Die Stasi war Stammgast, die Stasi war Stargast
Die Gründung der Distel, sie war damals, 1953, ein Reflex auf den Erfolg der West-Berliner Insulaner, dem Radio Kabarett des Rias, das den Sozialismus regelmäßig mit einem Artilleriefeuer aus Spott und Häme überzog. Die SED, gekränkt und bedingt ablachbereit, musste erkennen, dass Kabarett eine Waffe im Kampf der Systeme sein konnte. Und eröffnete die Distel. Vom Magistrat von Ost-Berlin gab es 20.000 Ostmark, eine Investition in das psychologische Wettrüsten mit der BRD. Der Klassenfeind sollte nichts mehr zu lachen haben.
Doch weil sich Satire, die bissige Schwester der Wahrheit, nur schwer kontrollieren lässt, richtete sich der Blick des DDR-Kabaretts bald ins Innere. Der tatsächliche Feind, der Mangel, lag vor der Haustür und war auch nicht zu übersehen.
Das Kabarett der DDR, geplant als bühnenreife Propaganda, stand bald unter besonderer Beobachtung. Und entwickelte deshalb einen ganz eigenen Ton, eine eigene Sprache. Einen Code in stiller Übereinkunft zwischen Bühne und Parkett.
Das Motto war immer, sagt Harter, auch er nun hinter der Bühne, wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Piek mich, aber tu mir nicht weh. Die Kabarettisten, sie hingen dann doch an den Fäden der SED, Marionetten in einer von der Partei subventionierten Puppenkiste.
Da gab es, sagen wir mal so, sagt Harter mal so, zarte Hinweise. Nicht alles, was bei der Generalprobe gespielt wurde, kam auch zur Aufführung vor Publikum. Die Stasi war Stammgast, die Stasi war Stargast. Gesprochen aber wurde über die Stasi nie. Das war das große Tabu. Auch über Persönlichkeiten zu sprechen ging nicht. Es gab keine DDR-Entsprechung zur Kohl-Birne, den Kanzlerwitzen.
Die Kritik aber, sie fand ihren Weg. Gute Textbücher, sagt Harter, waren wie Torten. Eine Lage was Harmloses, eine Lage was Politisches. Und dann hoffen, dass die Mischung so gut gelungen ist, dass niemand die Bitternis schmeckt.
Meist haben wir die Stellen aber auch einfach weggespielt, sagt er, die Worte beschleunigt. Oder wir haben die wichtigen Sätze, die kritischen Töne verhustet. So nannten sie das, es war ihr Stilmittel. Das Auslassen wurde zur eigentlichen Kunst des Kabaretts der DDR.
Autoren wie der im vergangenen Jahr verstorbene Peter Ensikat, lange Jahre Leiter der Distel, beherrschten das, die Andeutung. Ensikat schrieb Zeilen, zwischen denen das Publikum lesen musste. Und die Schauspieler mussten so spielen, dass diese Zeilen erkennbar werden. Die besten Pointen, sie fanden nicht statt, sie schwebten unausgesprochen im Saal.
„Alles hat bei uns zwei Seiten – eine schöne und eine sehr schöne.
Den schönen Seiten unseres Lebens begegnen wir alltäglich
in der Straßenbahn, im Konsum, im Betrieb.
Die sehr schönen aber bringen uns Presse
und Fernsehen jeden Tag ins Haus.“
Peter Ensikat, „Vorwärts und nicht vergessen“, 27. April 1974
Heute dagegen scheint die Kunst darin zu bestehen, überhaupt nichts mehr auszulassen.
„Wozu brauchen wir ’nen Hitler,
heute gibt’s Kreditvermittler,
die uns Kohle fix besorgen,
tilgen können wir dann morgen.“
„Endlich Visionen“, 2. Oktober 2013
Man muss eher pöbeln, sagt Dagmar Jaeger. Früher haben wir mit dem Florett gekämpft, sagt auch Harter, heute eher mit dem Zweihandschwert. Ein Eingeständnis, keine Rechtfertigung. Denn: Wir spielen gegen die roten Plätze, sagt Jaeger. Sie müssen, auch das ein Auftrag, neben der Bildung und dem Humor, an jedem Abend 422 Sitze füllen. Die Heizung, den Strom erst mal wieder reinholen. Und immer wieder aufs Neue die Aufmerksamkeit jener Besucher gewinnen, die nach einem langen Tag, Sightseeing, Ku'damm, Brandenburger Tor, noch die Distel abhaken wollen, dann aber, in der Dunkelheit, der schweren Theaterluft, schon nach wenigen Minuten wegdösen. Kabarett aber heißt: wach bleiben. Die Leute aufwecken, mitunter eben auch mit dem lauten Lacher, dem Schenkelklopfer.
Das Ensemble kommt deshalb gar nicht umhin, sich gemein zu machen, gefällig zu sein, die Masse zu umarmen, eher die kluge Pointe für den billigen Witz zu opfern. Ganz normal, Tagesgeschäft.
Kabarett, besonders das im Ensemble, wie es in der Distel angeboten wird, ist eine Turnübung. Nicht nur auf der Bühne, sondern vor allem abseits davon. Ein Spagat zwischen Tradition und Gegenwart. Witz und Wirklichkeit. Den Texten von heute und den Stimmen von damals.
Dieter Hildebrandt hat hier nie gespielt
Aber ist das nur hier so, oder gilt diese Gesetzmäßigkeit auch im alten Westen? Eine Fahrt dorthin war mal eine Fahrt durch den Eisernen Vorhang und vielleicht ging es dem Kabarett, zumindest dem auf der Insel West-Berlin, besser, als die Grenzen noch klar waren. Die Distel, sie hat von der Wende profitiert, sie liegt günstig. Knotenpunkt. Zudem kamen die Wessis, aus Neugier.
Wer aber geht noch dorthin, Tauentzien, Europa-Center. Die andere Seite von Berlin, das andere Kabarett, das noch ein Ensemble tanzen lässt. Stachelschweine. Immer noch guter Name, klingt gleich widerborstig, unangenehm. Klingt gleich auch die Vergangenheit mit.
Die Stimmen von damals, jetzt lauter.
Der Besuch dort, immer auch Rückwärtsgang. Wowereit, Diepgen, Momper, Diepgen, Weizsäcker, Vogel, Brandt.
Die Stachelschweine hatten ihre Hochzeiten in den 60er und 70er Jahren, als sie zusammen mit der Lach- und Schießgesellschaft, Dieter Hildebrandts Münchner Ensemble-Cowboys, das Kabarett als solches verkörperten. Ihre Fernsehauftritte, besonders an Silvester, waren echte Straßenfeger. Und das Kabarett gefiel sich als Bühnen-APO mit festem Sendeplatz und provokantem Liedgut. Und ja, es durfte gelacht werden.
Der Ruf, er stammt noch aus jener Zeit.
Deshalb gehört zu einem Besuch bei den Stachelschweinen auch, dass der Besucher erst einmal vor den Bildern im Foyer stehen bleibt. Dort, zwischen Eingang und Garderobe, ist die Wand bis zur Saaltür mit der Historie tapeziert. Mit Schwarz-Weiß-Fotos, Postkarten aus einem vergangenen Land. Die Bilder, sie sind der Stolz des Hauses, sie zeigen aber auch sein Problem.
Alle, die hier einmal für etwas standen, die Namen, wegen derer sich immer noch Touristen hierher verirren, sind nicht mehr. Günter Pfitzmann, Achim Strietzel und Wolfgang Neuss, der 1952 zwei Programme lang mit seiner Pauke im Untergeschoss rumorte. Oder eben Wolfgang Gruner, auch er ein echter Straßenfeger. Als Otto Schruppke kehrte er, vielleicht der Erfinder der Berliner Schnauze, den Müll der Woche zusammen, nahm die Behörden auf die Schippe, die Politiker. In Sketchen, mit Pointen, so unmöglich zusammengebaut, dass sie nur für ihn, in seiner Schnauze funktionieren konnten.
Gruner, Frontstadtkommentator mit Schultheißfresse, war auf der Bühne ein Urvieh, das bis zuletzt, die Stacheln schon grau, die Stellung hielt, die Nummern der 50er in die Jahrtausendwende rettete.
Wir haben ja jetzt den Neuen, den Langen mit der Wende.
Wie heißt der denn? Wo sie immer sagen, es gibt Rotkohl,
Grünkohl, Weißkohl, Wirsingkohl und Dr. Kohl.
Alle ham 'nen Kopp, nur der Doktor hat 'ne Birne.
Wolfgang Gruner
Gruner starb vor bald 13 Jahren, am 16. März 2002. Er ist noch immer das Gesicht der Stachelschweine. Was nicht zwingend für die Stachelschweine spricht.
Im Europa-Center, daran hat sich nichts geändert, geht man zum Lachen in den Keller. Oder nimmt die Rolltreppe. Unten dann, neben dem Kassenhäuschen mit dem ausgestopften Stachelschwein, im etwas zu fahlen Kunstlicht steht Charlotte Reeck, die Geschäftsführerin, an einem Tischchen und begrüßt die Gäste persönlich, verteilt Gläschen und Lächelchen.
Es ist immer viel zu tun, wenn man es gut machen will, sagt Charlotte Reeck. An diesem Abend feiert das neue Programm Uraufführung, öffentliche Generalprobe. Es ist das Jubiläumsstück der Stachelschweine, 65 Jahre alt. „Deutschland sagt Jein“. Heißt auch: Es soll kritisch bleiben. Hier im Untergeschoss möchten sie noch immer mächtig auf die Pauke hauen.
Jedenfalls ist Frau Reeck ein bisschen angespannt, das bringt der Beruf einer Kabarettgeschäftsführerin mit sich. Weil man ja ganz alleine dafür verantwortlich ist, dass die Pauken, auf die man hier als Ensemble haut, auch gehört werden. Frau Reeck ist, kann man so sagen, zwischen all den Witzeerzählern, die Generalbevollmächtigte der Ernsthaftigkeit, die Torwächterin des Hauses. Und, nein, mit einem Schauspieler aus dem Ensemble sprechen, das geht leider nicht. Weil das Ensemble ein Kollektiv ohne Star ist. Da bittet Frau Reeck um Verständnis. Lächelchen, Gläschen.
"Wichtig ist, dass wir nicht rückwärts blicken"
Eine Frau macht Theater und hat das hier alles im Griff, deshalb wenig Zeit. Spricht dann aber doch noch zwei Sätze in die eigene Hast, Sätze zur Zukunft des Kabaretts in ihrem Haus, tot oder lebendig. Erster Gong, gleich geht’s los.
Sie sagt: Ich denke, das Ensemble-Kabarett wird immer weiterleben, weil es anders an die Sache herangeht, die Themen anders bearbeitet. Wir spielen hier an jedem Abend zwanzig Einakter, das kann ein Solokünstler gar nicht leisten.
Und die Zukunft, die Vergangenheit, der ganze Spagat?
Sie streicht sich das Lächeln glatt, zupft sich die Antwort zurecht: Wir müssen unseren Ruf jedes Jahr neu festigen, wir sind, das darf man nicht vergessen, ein Touristentheater.
Pause. Dazwischen der nächste Gong. Wenig Zeit. Wichtig ist, sagt Charlotte Reeck, dass wir nicht rückwärts blicken.
Dann muss sie sich um ihr Ensemble kümmern. Vorwärts immer. Es ist ein Satz, wie er auch in der Distel hätte fallen können. Rückwärts nimmer. Das aber ist hier, die Fotografien im Rücken, gar nicht so einfach.
Und so bleibt dann auch ein anderer Satz hängen, den Charlotte Reeck eher beiläufig gesprochen hatte: Die Leute fragen immer nach Gruner, aber auch nach Dieter Hildebrandt. Obwohl der hier nie gespielt hat.
Wenn man wie die Stachelschweine an jedem Abend gegen die eigene Historie anspielt, muss man ganz schön schreien, um die Schnauzen von damals zu übertönen.
„Deutschland sagt Jein“, Generalprobe vor Publikum, das Ensemble spielt eine Zeitungsredaktion, reißerisch, tanzt auf dem Boulevard, schaltet in die Welt, in ein unentschiedenes Land. Zur Mutter, die von ihrem Sohn erfährt, dass er in den Heiligen Krieg zieht, weil er da die besseren Jobmöglichkeiten sieht. Er sagt: Al Qaida ist das neue Interrail. Sie sagt: Nur ohne den Terror der Deutschen Bahn. Er sagt: Islamismus fetzt. Sie sagt: Ja, und zwar andere. Er sagt: Ich habe die Chance auf einen Dienstwagen. Sie sagt: Wahrscheinlich ein Mehrtürer.
Verstehste?
Schaltet auch zu Beate Zschäpe und einem BND-Mitarbeiter, der sie durch ein Loch in der Zeitung beobachtet. Zschäpe soll ihm endlich die Hintermänner des NSU liefern. Sie packt groß aus, es fallen Namen: Göring, Himmler, Hitler. Wowereit, genannt der Partymeister. Merkel, genannt Mutti. Der Kopf der Bande aber ist, halten Sie sich fest: Cem Özdemir!
Nein! Doch! Oh!
Das Publikum ist da schon guter Dinge, den Saal zum Kochen aber bringt eine Szene, in der ein vergreister Hitler, während er, auf einen Rollator gestützt, die großdeutschen Pläne für den Wohnungsbau in Prenzlauer Berg verrät, seinen Schnurrbart aus Isolierband verliert. Die Schwaben und der Führer, das ist ein todsicheres Ding. Ein abgefallener Hitlerbart aber ist unbezahlbar.
Ein Mann mit Perücke macht die Raute
Der Autor, sagt Volker Surmann, nimmt auch den leichten Lacher mit, wenn er schon am Wegesrand liegt. Er muss ja Strecke machen.
Volker Surmann, der Autor, kennt das. Er, unauffällig, randlose Brille, gibt dem Kabarett, dem Ensemble seine Stimme, ist seit zehn Jahre Hausautor der Stachelschweine. Kurzes Wundern, über all die Jahre. Surmann, der sich selbst als Multifunktionssatiriker bezeichnet, sieht erst mal nicht danach aus, als müsste er sofort richtig witzig sein, um jetzt irgendwem irgendwas zu beweisen.
Wenn Charlotte Reeck die Frau vor den Lachern ist, ist Volker Surmann einer der Männer dahinter. Obwohl ihm der Schritt ins Scheinwerferlicht keineswegs fremd ist. Surmann, geboren 1972, ist Mitglied der Lesebühne Brauseboys, ist auch Solokünstler. Und hat deshalb, weil er eben nicht nur im Keller am Tauentzien sitzt, ein gutes Gespür, für das, was geht und was nicht an der Humorfront dieser Stadt. Ihn kann man getrost fragen, nach dem Befinden des Kabaretts.
Er schaut kurz und sagt dann: Es ist nicht totzukriegen. Das stirbt nicht. Es erneuert sich ständig selbst. Aber, sagt er, und es ist ein schweres Aber, eines, das in die Vergangenheit reicht, die Leute beim Kabarett haben sich vielleicht etwas zu lang auf dem guten Ruf aus früheren Jahren ausgeruht. So lange die Busse kamen, so lange zum Messebesuch in Berlin ein Kabarettabend dazugehörte, ging das. Wir sind auf Klassenfahrt nach Berlin immer ins Kabarett gegangen, sagt Surmann. Brandenburger Tor. Ku’Damm. Stachelschweine. Nur ist das heute keine Selbstverständlichkeit mehr.
Das althergebrachte Kabarett, sagt Surmann, wird in die Zange genommen. Von den Comedians, den Poetry-Slammern, die auch Kabarett machen. Mit einer anderen, neueren Sprache.
Die Konkurrenz härter, das Angebot größer. War die Distel vor 20 Jahren noch die einzige richtige Amüsierbühne auf der Friedrichstraße, lockt seit 2002 der Quatsch Comedy Club, nur 800 Meter die Straße runter im Keller des Friedrichstadtpalasts mit den Namen, die jedes Kind aus dem Fernsehen kennt.
Wolfgang Gruner und Peter Ensikat. Oder Thomas Hermanns und Dieter Nuhr. Am Ende ist das auch die Frage nach der Halbwertzeit von Erinnerungen und danach, wie man einen geistigen Nachlass angemessen verwaltet, ohne in der Rückschau, die mitunter der angenehmere Ausblick sein kann, hängen zu bleiben.
Der Spagat.
Ein Privattheater wie die Stachelschweine, eine Geschäftsführerin wie Charlotte Reeck, Realitätsdompteurin im Ensemble-Zirkus, muss sich unter dem Konkurrenzdruck erneuern, ohne das Stammpublikum zu verlieren,
Und Volker Surmann, der Hausautor, ist am Ende einer von denen, die bestimmen, mit welcher Sprache, welchem Tempo das Kabarett diesen Weg der Erneuerung gehen kann, gehen soll.
Das Kabarett, sagt Surmann dann auch, so ernst wie vielleicht einer sein muss, der für Geld witzig sein soll, hat ein sehr traditionsbewusstes Publikum. Sehr treu. Auch in den Sehgewohnheiten. Die Leute wollen sehen, was sie kennen. Von der Bühne, aus den Fernsehformaten. Und es soll, bitteschön, gegen die da oben gehen, aber nicht eigene Lebensgewohnheiten hinterfragen.
Das ist bei den Stachelschweinen so, in der Distel, aber auch in den Programmen der Solokünstler, auf den Bühnen der Konkurrenz, wenn das Abo-Publikum der Wühlmäuse sein Recht aufs Erwartbare einfordert.
Die Autoren, sie nennen das, hinter vorgehaltener Hand, die Kabarettpolizei. Ein Kontrollorgan in den vordersten Reihen, das ein Zeigefinger-Kabarett alter Schule wünscht.
Als Autor muss man versuchen, das aufzubrechen, sagt Surmann.
Und klingt dabei wie ein Ernährungsberater, der in einem Seniorenstift gerne Trennkost einführen würde, am Ende aber wieder den Bassermann-Teller Geschnetzeltes in die Mikrowelle stellen muss. Damit die Stimmung nicht kippt.
Der Kern des Kabaretts: Alles geht nur zu einer bestimmten Zeit
Zwei Tage später, am Wiederaufnahmeabend, ist die Distel ausverkauft. Endlich Visionen. Keine roten Plätze, nirgends. 61 Jahre Distel, geht immer noch. In den hinteren Reihen sitzt eine Reisegruppe, Generation Kabarett, und nickt die Pointen ab, macht ein Häkchen hinter jeden Witz. Lacht kaum. Was bleibt, ist das Klatschen.
Der Gang ins Kabarett, er ist hier auch ein Ablasshandel, bei dem man andere dafür bezahlt, dass sie das Politischsein einen Abend lang übernehmen. Ein bewusstes Outsourcen der eigenen Empörung, die deshalb aber gleich noch heftiger ausfallen muss.
Da bleibt wenig Platz für die Zwischentöne, das Florett, von dem Dagmar Jaeger und Edgar Harter gesprochen haben.
Kanzlerin ist jetzt wieder, wenn sich ein Mann in Frauenkleidern eine graue Perücke aufsetzt, die Mundwinkel fallen lässt und die Hände vor dem Bauch zur Raute faltet.
Dem Kabarett geht es da gar nicht anders als der Kanzlerin in ihrem bunten Tunika-Kleid bei den Salzburger Festspielen. Beide fühlen sich wohl mit den Klamotten von früher.
Dieses Schenkelklopferlachen, hatte Dagmar Jaeger ein paar Tage zuvor noch gesagt, das Alltägliche, das hat Peter Ensikat nie gewollt. Deshalb war er ein so großes Glück für die Distel. Weil er ihr etwas Philosophisches geben konnte. Mit Sätzen, die geleuchtet haben.
Jaeger hatte diesen Worten dann noch etwas nachgelauscht. Und es war zu spüren, wie sehr ihr Peter Ensikat fehlt, seit diesem 18. März 2013. Mit Ensikat, so schien es, ist auch das Kabarett ein wenig mehr gestorben. Zumindest aber hat es einen Teil seiner Seele verloren.
Aber vielleicht ist das der Kern des Kabaretts: Alles geht nur zu einer bestimmten Zeit.
Volker Surmann hat für das aktuelle Programm bei den Stachelschweinen eine Szene geschrieben, die nicht zu passen schien in die Stampftaktung, die Atemlosigkeit, mit der das Ensemble während der Generalprobe durch die Pointen stürzte. Kurz vor dem Ende hielt das Stück für einen Moment inne. Das Publikum schien durchzuatmen. Und im Lichtkegel stand ein Schauspieler, in den Händen eine Urne. Feierlich, andächtig. Es war ein stiller Moment, voll beißender Selbstironie.
Ich mochte den Gedanken, sagt Volker Surman, dass sich das Kabarett selbst beerdigt, um danach ungeniert weiterzumachen. Es täuscht quasi seinen Tod vor.
Die Regisseurin hatte auf dieser Szene bestanden. Nach der Generalprobe wurde sie gestrichen.
Dieser Text ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen.